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Thorsten Drücker spielt Gitarrenkonzerte des 20./21. Jahrhunderts
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- Geschrieben von Peter Päffgen
- Kategorie: Gitarre & Laute ONLINE
Gee’s Bend: Gitarrenkonzerte des 20./21. Jahrhunderts
Werke von Elmer Bernstein, Malcolm Arnold, Michael Daugherty
Thorsten Drücker, Gitarre; WDR-Rundfunkorchester, Rasmus Baumann
Aufgenommen zwischen September und Dezember 2010, erschienen 2011
Querstand VKJK 1211, im Vertrieb von CODAEX
… in allen drei Konzerten exzellent …
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Thorsten Drücker spielt Gitarrenkonzerte … keines von Rodrigo oder Castelnuovo-Tedesco, auch nicht von Brouwer und schon gar nicht von Vivaldi. Von den drei Konzerten, die er zusammen mit dem WDR-Rundfunkorchester unter Rasmus Baumann für seine CD eingespielt hat, ist eines halbwegs bekannt, das von Malcolm Arnold (1921—2006) nämlich, das Julian Bream gewidmet ist, die beiden anderen eher nicht. „Gee’s Bend for electric guitar and orchestra“ ist eine Welt-Ersteinspielung und das Konzert von Elmer Bernstein (1922—2004), mit dem das Programm eröffnet wird, hat bisher nur Christopher Parkening auf CD vorgestellt. Er hat den Komponisten zu dem Werk angeregt und ihm ist es gewidmet.
Elmer Bernstein war, als er sein „Concerto for guitar and orchestra“ schrieb, ein vielbeschäftigter Komponist … allerdings weniger von „E-Musik“, was auch immer man darunter verstehen mag. Elmer Bernstein belieferte Hollywood und zwar sehr erfolgreich. „The Magnificent Seven“ (1960) „The Ten Commandments“ (1956) „The Blues Brothers“ (1980) oder „Wild Wild West“ (1999) sind nur ein paar Beispiele für die insgesamt über zweihundert Filme, die er mit Musik versehen hat. Für die Musik zu „Thoroughly Modern Millie“ hat er 1967 gar einen „Oscar“ bekommen.
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Neue Platten, März 2011
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- Geschrieben von Peter Päffgen
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Siempre Nuevo [Siempre Nuevo]: First Steps
Werke von Scarlatti, Bach, Granados und Piazzolla
Aufgenommen im August 2009, erschienen 2010
ArcoViva Praha [ArcoDiva] UP 0137-2131, im Vertrieb von Klassik Center Kassel [Klassik Center]
… natürlich hat die Konkurrenz nicht geschlafen …
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Die Fuge a-Moll von Johann Sebastian Bach kennen wir als Teil seiner Sonate für Violine solo BWV 1001 und natürlich auch als Fuge BWV 1000 für Laute. Bach hat das Stück dazu um ein Präludium erweitert und beides dann als Präludium und Fuge d-Moll BWV 539 für Orgel bearbeitet. Auf diese Version geht die Transkription von Tilman Hoppstock zurück, die das Duo „Siempre Nuevo“ auf seiner Debüt-CD spielt … und diese Transkription bzw., um genau zu sein, deren Vorlage halten Überraschungen bereit. Natürlich hat Bach, als er eine Bearbeitung für Orgel anfertigte, die Möglichkeiten dieses Instruments genutzt und den Satz erweitert. Entstanden ist eine im Vergleich mit den beiden anderen uns bekannten Versionen große Orgelfuge – und diesen Eindruck vermittelt auch die neuerliche Reduktion der Transkription für zwei Gitarren deutlich. Ich frage mich, warum die Fuge von Gitarrenduos nicht häufiger gespielt wird … deren Transkription von Hoppstock übrigens als Nº 99 031 im Prim-Verlag [Prim Verlag] in Darmstadt erschienen ist!
Das Duo „Siempre Nuevo“ wird dem Stück gerecht, überakzentuiert für meine Begriff hie und dort, bringt aber den Orgelduktus sehr gut rüber, den diese Version des Stücks ausstrahlt … die Gitarristen haben keine Kalkanten dabei und doch hat man gelegentlich Orgelluft in der Nase … nehmen Sie als Beispiel nur die große Schlusskadenz!
Mit einem schroffen Kontrast wechselt das Programm: Von Granados gibt’s anschließend alle „Valses Poeticos“ in einer Transkription von Thomas Müller-Pering, dem Hochschullehrer der beiden agierenden Gitarristen Patrick Vacik und Matìj Freml. Beide kommen aus Tschechien und studieren [!] in Weimar.
Die große romantische Geste der Granados-Walzer liegt den beiden Musikern, aber ihnen gelingen auch die schnelleren Tänze des spanischen Komponisten. Der geistreich-witzige Walzer Nº. 4 zum Beispiel, überschrieben mit „Allegro humorístico“, gefällt mir sehr gut, obgleich ich auch hier ein paar überpointierte Effekte glätten würde. Gleich danach gibt’s schwingende, kreisende Walzerseligkeit Wiener Art … und das können sie, die beiden Musiker aus den ehemaligen Habsburger Ländern … obwohl ich bei genauerer Betrachtung feststelle, dass Patrick Vacik in Kempten (im Allgäu) geboren ist und doch – laut Booklet – „aus Tschechien stammt“ und in München gelebt hat. Na ja!
Am Schluss des Programms noch der Meilenstein des Repertoires des ausgehenden 20. Jahrhunderts, Piazzollas „Tango-Suite“. Jeder, der etwas auf sich hält, hat dieses Stück im Programm und wenn möglich aufgenommen. Dabei ist es im Besitz der Assad-Brüder … (war ein Scherz!) Nein, für Sergio und Odair Assad ist das Stück geschrieben. Die beiden waren die Ersten, die es gespielt und eingespielt haben und für viele Jahre musste sich jedes Duo an den Assads messen lassen. Das hat sich geändert. Selbst Sergio und Odair haben die Suite mittlerweile neu eingespielt, weil sie nicht wirklich zufrieden waren mit der ersten CD.Na ja, das Duo „Siempre Nuevo“ spielt das Kultstück der achtziger und neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Geschrieben hat es Piazzolla 1983, die erste Aufnahme der Assads kam 1985 bei GHA in Brüssel heraus.
Das blinde Verstehen der beiden brasilianischen Gitarristen war es immer, das ihre Aufnahme von allen späteren unterschied – blindes Verstehen, was Sychronizität auch bei hohem Tempo angeht, aber auch bezüglich agogischer Freiheiten. Assad & Assad haben den Duo-Markt beherrscht … aber natürlich hat die Konkurrenz nicht geschlafen, wie das Duo „Siempre Nuevo“ beweist. Es ist anders, was sie da spielen, es ist weniger lasziv, es ist gerader und „geordneter“. Aber es ist eine Sicht der Dinge, eine andere und sehr berechtigte Art der Herangehensweise.
Magdalena Kaltcheva: [Kaltcheva] Elogio de la Guitarra
Werke von Scarlatti, Albéniz, Giuliani und Rodrigo
Aufgenommen im Mai 2010, erschienen 2011
NCA [NCA] 60219, im Vertrieb von Membran [Membran]
… Was kann da noch schiefgehen? …
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Dies ist Magdalena Kaltchevas zweite CD bei der gleichen Gesellschaft. Die junge Frau ist 1987 in Sofia zur Welt gekommen, gehört also zu den Küken der internationalen Gitarrenszene. Sie hat an verschiedenen Wettbewerben teilgenommen und hat auch in mehreren, oft osteuropäischen oder ehemals osteuropäischen, auf dem Treppchen gestanden. Heute studiert sie in Köln bei Hubert Käppel.
Magdalena Kaltcheva ist bemerkenswert versiert in dem, was sie tut. Sie ist virtuos und kostet das auch aus. Sie spielt eloquent und überzeugt … und auch das gern. Und fehlt etwas?
Wie kann es anders sein, bei einer Musikerin in ihrem Alter müssen Wünsche offen bleiben! Ist es das dezidiert Eigene, das ihr fehlt? Der Mut aufzutrumpfen, selbst wenn die eigene Meinung vielleicht unausgegoren oder schlicht falsch ist? Ist es die virile Kraft, die man in ihren Interpretationen doch vermisst – man verzeihe mir diese vielleicht machohaft anmutende Fragte, aber Kraft gehört in solistischer Musik zu den primären Eigenschaften, die ein Interpret mindestens vortäuschen muss. Die eben gestellten Fragen haben nur am Rand mit dem sportiven Virtuosentum zu tun, das sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat und mit dem wir Namen wie Franz Liszt, Niccolò Paganini oder auch Giulio Regondi verbinden (ganz zu schweigen von ein paar Musikern unserer Tage, die ihren Job nur noch sportiv sehen). Sie haben zu tun mit den exhibitionistischen Zügen, die solistische Stücke (a priori) haben.
Und Magdalena Kaltcheva? Nun, ich habe es schon geschrieben: Ihr Spiel ist nahezu perfekt, es ist ausgewogen und ausgeglichen – aber fehlt ihm vielleicht trotz allem dieses Jota an Diabolischem; dieses Anmaßen, dass alles, was da präsentiert wird, auf die einzig richtige Art geschieht; Pulverdampf vielleicht, den man in der Luft wähnt, weil irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann?
Am Schluss des Programms von Magdalena Kaltcheva stehen zwei Stücke von Mauro Giuliani: „Grande Ouverture“ op. 61 und „Rossiniana“ Nº 6 op. 124. Als der junge Mauro im Jahr 1806 in Wien ankam, weil er dort bessere Aussichten auf eine einträgliche Karriere vermutete, kannte man die Gitarre durchaus – aber weniger als Konzertinstrument, sondern als „galantes Spielwerk, höchstens als angenehmes Accompagnement kleiner, leichter Gesangstücke“. Giuliani machte Furore, die Wiener und vor allem die Wienerinnen lagen ihm zu Füßen. Die Musikwelt staunte, dass auf einem so erbärmlichen, kleinen Instrument eine so vollstimmige und „große“ Musik hervorzubringen war. Nach Konzerten von Mauro Giuliani in Wien lag der Pulverdampf, vom dem eben die Rede war, in der Luft. Und hier, bei Magdalena, riecht man ihn auch! Vielleicht könnte die Musik noch etwas theatralischer sein, vielleicht könnten die Kontraste schroffer wirken, vielleicht wäre überhaupt etwas mehr große Geste angesagt? Alles ist noch ein wenig brav und unentschlossen, es kommt ein wenig zögerlich und harmlos herüber. Aber Magdalenas Karriere ist gerade in ihrer Entstehungsphase … wenn sie jetzt schon jeden überzeugte, was bliebe noch zu tun?
Magdalena Kaltcheva ist im Begriff, eine veritable Karriere zu starten. Alles, was dazu nötig ist, hat sie im Portefeuille: musikalische Begabung, (ganz offenbar) Arbeitsmoral, Orientierungssinn, was Musikgeschichte und Repertoire angeht, und sie hat den richtigen Lehrer. Was kann da noch schiefgehen?
Guitar4mation [Guitar4mation]: Sonada del alma
Werke von Tomás Gubitsch, Rodrigo, Szymanowski, de Falla, Martin Schwarz, Ginastera, Piazzolla, Consuelo Velásquez
Aufgenommen zwischen 2005 und 2009, erschienen 2010
GRAMOLA [Gramola] 98901, im Vertrieb von Codaex [Codaex]
… purer Spaß! …
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Das Ensemble Guitar4mation hat sich in Wien zusammengetan, dabei stammen die vier Musiker aus drei verschiedenen Ländern: Petr Saidl ist Tscheche, Micha³ Nagy Pole und Martin Wessely und Martin Schwarz sind Österreicher … was die vier Musiker bei genauerer Betrachtung dann aber doch als Angehörige einer zusammenhängenden kulturellen Einheit ausweist. Und so spielen sie auch – das vorwegnehmend!
Auch, wenn Stücke verschiedener Herkunft auf dieser CD vereint sind, Tango und Spanien sind die Stichworte, die das Programm beherrschen. Es geht los mit „La Otra Calesity“ von Tomás Gubitsch, von dem auch „Te accordás de mi?“ zu hören ist, zwei sehr spannende, neue Tangos, die auf der einen Seite an Stücke von Astor Piazzolla erinnern, auf der anderen aber vor allem harmonisch schon weit von ihnen entfernt sind. Der Weg vom Modetanz zur modernen Kammermusik, den Piazzolla mit seinem „Tango Nuevo“ eingeschlagen hat, hier ist er weitergegangen worden. Gubitsch, Jg. 1957 [Gubitsch], stammt aus einer slowakisch-jüdischen Familie und ist in Argentinien geboren. Seit vielen Jahren lebt er in Paris, wo er unter anderem ein Tango-Quintett unterhält, für das die beiden hier vorgeführten Stücke auch geschrieben sind. Die sehr hörenswerten Gubitsch-Arrangements auf dieser CD stammen von dem Quartett-Mitglied Martin Schwarz.
Fünf fragile, zarte und klangsinnliche Préludes von Karol Szymanowski stehen auf dem Programm, Stücke, die beginnen, sich irgendwie in flüchtigen Andeutungen und Ahnungen verlieren und zu keinem konkreten Ende führen. Szymanowski (1882—1937) war sehr von den Impressionisten beeinflusst, von Claude Debussy (1862—1918) vor allem, und man überschrieb sein Werk gern mit „Polnischer Impressionismus“. Als Szymanowski die hier eingespielten Préludes schrieb, war er gerade einmal 18 Jahre alt und studierte an der Akademie in Warschau. Und er horchte nach Paris, wo gerade Musikgeschichte geschrieben wurde: Neben Debussy bereisten dort Erik Satie (1866—1925), Paul Dukas (1865—1935) oder Maurice Ravel (1875—1937) neue musikalische Welten, die Szymanowski auch zu seinem Ziel machte.
Und Guitar4mation spielt Sätze von Manuel de Falla (1876—1946) aus „La Vida Breve“, durchaus in Gitarristenkreisen bekannte Musik – allerdings in neuen, sehr überzeugenden Arrangements für vier Gitarren. Die „Quatro Piezas Españolas“ hat Martin Schwarz in seinen Arrangements nicht künstlich aufgeplustert, und so sind sehr schöne Charakterbilder entstanden, von denen mir „Montañesa“ besonders gefällt. Sehr schön und fragil!
Am Schluss des Programms, als Zugabe sozusagen, spielen und singen die vier Gitarristen noch „Besame Mucho“ von Consuelo Velásquez und runden damit das eigene Vergnügen, das sie an der Musik und an ihrer Präsentation hatten, ab. Purer Spaß!
Realmente Duo
Luciano Damiani, Mandolino, Michele Libraro, Chitarra
Werke von Maximo Diego Pujol, Peppino d’Agostino, Bartolomeo Bortalazzi, Daniel Binelli, Paganini u.a.
Aufgenommen im Februar 2010
ART 060 CL [Art Classic]
… Diese CD anzuhören macht höllischen Spaß! …
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Auch dieses CD beginnt mit einem Tango: „Tango en Mottola“ von Máximo Diego Pujol, den italienischen Höhepunkt erreicht das Programm aber mit „O sole mio“ von Eduardo di Capua in einem, wie kann es anders sein, hinreißenden Arrangement von Roland Dyens. Italienischer geht’s nimmer! „Nessun dorma“ könnte vielleicht noch dagegenhalten, aber das hat man sich erspart.
Aber ganz abgesehen davon haben Luciano Damiani und Michele Libraro keine Mühen gescheut, Populäres und allzu Populäres für ihre instrumentale Besetzung zusammenzutragen und zu arrangieren. Sogar das einzige „klassische“ Werk, „Tema con variazioni“ op. 10, 4 von Bartolomeo Bortolazzi, bezieht sich auf ein höchst populäres Thema … ich kann vor lauter Schreck nicht sagen, was genau es ist, aber jeder Alpenländler wird es sofort erkennen!
Ansonsten gibt es die vermutlich bekannteste Milonga aller Zeiten, „Alfonsina y el mar“ von Ariel Ramírez, „Variationen für Mandoline und Gitarre“ von Leonhard von Call usw. usw., alles Stücke von durchschnittlich fünf Minuten Dauer, sieht man von den „Klassikern“ Bartolazzi und von Call ab. Die sind länger.
Aber, und jetzt wird sich manch jemand wundern: Diese CD anzuhören macht höllischen Spaß! Trotz Mandolinentremolo und trotz „O sole mio“! Wenn man sich jeden klassischen Dünkel von der Backe streicht, wenn man sich an Musik erfreuen kann und nicht belehrt werden möchte, dann, na ja, macht diese CD Spaß!
Change is Gonna Come
Petri Kumela [Kumela]
Werke von Hagen, Bach, Sor, Maw, Wennäkoski und Dowland
Aufgenommen im März 2010
ALBA Records ABCD 313 [Alba] im Vertrieb von Klassik Center Kassel [Klassik Center]
… keine schwulstige Dramatik …
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Petri Kumela hat sich da für den Titel seiner neuen CD mit einem Schild fotografieren lassen, auf dem steht, es müsse sich etwas ändern. Dringend! Was sich ändern muss, das verrät er erst im Booklet … und es wird einem auch klar, wenn man das Programm der CD näher betrachtet. Alle Stücke, die Petri da eingespielt hat, sind Variationssätze, von der Chaconne von Johann Sebastian Bach bis zu „Balai“ von Lotta Wenniäkoski.
Es geht los mit Variationen von Joachim Bernhard Hagen (1720—1787), und schon dieses Stück besteht aus Variationen über Variationen, denn eigentlich ist es von Pietro Locatelli (1695—1764) und dann von Hagen für Laute eingerichtet und mit einer eigenen Variation versehen worden. Die neuerliche Transkription für Gitarre wirkt sehr schön, nimmt dem Stück auch nichts an Größe und Eleganz und schon hier präsentiert sich Petri Kumela als Interpret, bei dem die Stücke, die er spielt, gut untergebracht sind … mindestens kann man das für die barocken Teile seines Programms annehmen, denn auch die folgende Chaconne gefällt mir so, wie er sie darstellt. Hier ist kein Gitarrenstück aus der Chaconne gemacht worden, wie man es so oft hört, hier ist einfach die Chaconne auf einer Gitarre statt auf einer Violine gespielt worden. Nein, das ist keine Sophisterei, ich möchte lediglich der Tatsache anerkennend Ausdruck verleihen, dass Petri Kumela einen großen Bogen um in das Stück hineintranskribierte oder hineininterpretierte Gitarrenvirtuosität gemacht hat, auch um selbstverliebtes Schöntönen. Er hat das Musikstück, dessen Bedeutung hier nicht betont werden muss, nur sehr zurückhaltend harmonisch aufgeplustert und überhaupt sehr schlicht belassen. Also: keine symphonischen Anmaßungen, keine volltönigen Harmonisierungen, keine schwulstige Dramatik.
Dann kommt Fernando Sors „Fantaisie“ op. 7 und auch diesem Meisterwerk erweist Petri Respekt. Der zweite Satz, ist der, der hier ins Programm passt: Thema mit Variationen … aber auch das einleitende Largo ist mehr als hörenswert. Zurückhaltend, sehr übersichtlich phrasiert, sehr delikat und „nachhaltig“ akzentuiert. Ein feines Vergnügen! Dabei macht Petri aus den Variationen keine Bravour-Variationen … jedenfalls keine, die im Medaillenspiegel landen könnten. Das ist Virtuosität, wie sie vor 200 Jahren durchaus goutiert und manchmal sogar gefeiert wurde – aber keine sportive, wie sie heute mitunter – falsch verstanden – ausgelebt wird.
Und dann wird’s spannend: „Music of Memory“ von Nicholas Maw (1935—2009), gut zwanzig Minuten Musik in einem Satz … einem Variationssatz natürlich. Maw war Engländer und hat bei Lennox Berkeley in London und später bei Nadia Boulanger und Max Deutsch studiert.
Wie Sphärenmusik geistert das Thema des Intermezzos aus Felix Mendelssohn-Bartholdys a-Moll-Streichquartett durch das Stück, als unausgesprochenes Thema sozusagen, als Motto, um das sich „Music of Memory“ dreht. Nie wird das „Thema“ vorgestellt wie bei einem traditionellen Variationssatz und die Variationen greifen auch nicht Phrasen oder Wendungen des Materials von Mendelssohn auf um mit ihnen zu spielen. Eher geht es darum, dass sich wie ferne Gedanken Erinnerungen an romantische Musik immer wieder ins das Bewusstsein des Komponisten drängen und seine umhergeisternden Gedanken und Ideen durchkreuzen, begradigen, ordnen … dann aber wieder verschwinden … nein, entschwinden. An Benjamin Britten erinnert mich das Stück immer wieder, an dessen „Nocturnal“ op. 70 für Gitarre besonders, auch an die Passage am Schluss, in der – wie aus dichtem Nebel aufsteigend – das Thema erscheint.
Dies ist ein eindrucksvolles Stück, eines von zweien übrigens, die Maw für Gitarre solo geschrieben hat. Neben „Music of Memory“ gibt es noch eine „Little Suite for Guitar“ und weiterhin „Six Interiors for Tenor and Guitar“.
Lotta Wennäkoskis „Balai“ folgt – und auch das ist ein bemerkenswertes Stück Musik! Das französische Wort „balai“ meint einen Wischmopp, auch einen Besen und auch einen Besen, den Schlagzeuger verwenden; eine Bürste, einen Quast. Das Stück „Balai“ besteht aus durchgehenden rhythmischen Figuren, aus Abwandlungen des Themas „Streichen“. Wir hören das Streichen einer Gitarrensaite oder auch mehrerer Saiten … ohne Bürste oder Besen; das Lagenwechsel-Quietschen, sonst mit allen Mitteln gemieden – hier wird es zur Klangfarbe.
Am Schluss erinnert mich das Programm noch einmal an Benjamin Brittens „Nocturnal“, denn auch das Programm von Petri Kumela endet mit einem Stück von John Dowland. Da, bei Britten, war es ein Lied („Come heavy sleep“), hier ist es die Farewell-Fantasie, eine der kühnsten Kompositionen von Dowland, eine chromatische Fantasie, die viele harmonische Überraschungen bereithält, und die in tiefer Melancholie einen Abschied begeht.
Dies ist wieder einmal eine sehr überzeugende CD von Petri Kumela! Wieder ist es ein überraschend frisches und ausgewogenes Programm und wieder ist es, was die Darbietung angeht, eine Freude!
Grondona plays Johann Sebastian Bach
Aufgenommen zwischen August 2008 und Mai 2010
Stradivarius STR 33868 [Stradivarius], im Vertrieb von Klassik Center Kassel [Klassik Center]
… Grondona wird der musikalischen Vielfalt gerecht …
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Stefano Grondona spielt auf dieser CD nur ein paar der üblichen Lautenwerke von Johann Sebastian Bach, Prélude BWV 999 und Fuge BWV 1000 nämlich und danach PFA BWV 998, er rahmt dieser Klassiker des Gitarrenrepertoires aber ein mit Werken, die man ansonsten nie in dieser Besetzung hört: Er beginnt mit der Toccata e-Moll BWV 914, eigentlich für Klavier geschrieben, und schließt mit 16 kleinen Stücken, die als „Pieces from the »Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach«“ überschrieben sind. Sie, diese Stücke, sind nicht alle aus dem Notenbüchlein und nicht einmal alle von Johann Sebastian, aber das gibt Grondona im Kleingedruckten an und soll hier nur als marginale Anmerkung verstanden werden. Das Programm ist stimmig und ausgewogen.
Die Toccata, mit der das Programm eröffnet wird, geht gut auf der Gitarre, phasenweise sogar exzellent … schlösse sie nicht mit einer lebhaften dreistimmigen Fuge, die sehr pianistisch geschrieben ist. Diese Fuge verlangt viel von einem Gitarristen und natürlich ist Stefano Grondona auch bei ihr über alle Zweifel erhaben – nur, die elegante Leichtigkeit, mit der Gustav Leonhardt oder vielleicht Ton Koopman sie auf dem Cembalo spielen würden, die kann er nicht erreichen. Man hört ihm die Mühe an, die es macht, vor allem in Passagen, in denen beide Hände (auf dem Klavier) gleiche Figuren zu spielen haben, auch noch konsequent zu artikulieren und zu phrasieren. Und dies, das konsequente Durchhalten von Betonungsmustern und das unter anderem daraus sich ableitende stringente Phrasieren und Ordnen, das zeichnet eigentlich Stefano Grondonas Spiel aus. Man höre in diesem Zusammenhang die 1000er Fuge oder auch die aus „PFA“: Grondonas Bemühen, das Wiedererscheinen der jeweiligen Themen -- selbst in trunkierter Form – durch Setzung gleicher Akzente herauszuheben, fällt auf, weil er es ungewohnt konsequent walten lässt.
Für mich sind die „kleinen“ Stücke am Ende des Programms sein Höhepunkt. In ihnen offenbart sich eine unglaubliche Vielfalt, eine Mannigfaltigkeit zwischen Menuetten und Polonaisen, zwischen Marsch, Musette und dann der abschließenden Aria, die nicht aus dem Notenbüchlein stammt, die aber spätestens seit Glenn Gould jeder kennt: Es ist die Aria, das Thema der Goldberg-Variationen BWV 998.
Und Grondona wird der musikalischen Vielfalt gerecht. Ich bin nicht mit all seinen Tempi glücklich, auch hie und dort nicht mit der Art, wie er ein Stück fließen lässt oder nicht. Aber eines erfreut mich bei seinem Spiel immer wieder, und das ist die Detailliebe, mit der er der Musik begegnet und die Konsequenz, mit der er seine Ideen verfolgt.
Noch ein Wort zu Booklet und Sonstigem: Der (einzige) Hauptartikel im Booklet heißt „Bach: The Baroque Gesture and the Decontextualised Guitar: Notes by Stefano Grondona on an Unusual Theme“. Das ist tatsächlich ungewöhnlich, denn es gibt wenige Informationen zu den Stücken des Programms noch zu deren Entstehung. Dafür werden Anmerkungen zur „Gitarre an sich“ geliefert, die schließlich Antworten auf die Frage bereithalten, warum Stefano für seine Bach-CD zwei Torres-Gitarren verwendet hat (SE 111 und SE 107, beide aus dem Jahr 1887). Er bezeichnet die Instrumente von Antonio Torres als ideale Überbringer älterer musikalischer Werke und da besonders der Werke von Johann Sebastian Bach, weil sie, die Instrumente, keine Gitarren mehr sind, sondern die Spiritualisierung kultureller und musikalischer Ideale, die, unabhängig von Zeit und musikalischem Stil, als optimale Medien dienen. Na ja!
Hans Werner Henze, Guitar Music 1
Franz Halász, Guitar
mit Colin Balzer, Tenor, Débora Halász, Piano, Gottfried Schneider, Violin, Sophia Reuter, Viola,
Sebastian Hess, Cello, Karsten Nagel, Bassoon
Aufgenommen zwischen November 2003 undHanuar 2004, erschienen 2006
NAXOS 8.557344 [Naxos]
Hans Werner Henze: Guitar Music 2
Franz Halász, Guitar
mit Anna Torge, Mandolin, Christina Bianchi, Harp, ensemble oktopus, Konstantina Gourzi
Aufgenommen zwischen November 2003 und November 2008, erschienen 2010
NAXOS 8.557345 [Naxos]
… mehr als eine Dokumentation …
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Hans Werner Henze ist ein umstrittener und gleichzeitig auf der ganzen Welt anerkannter und umworbener Komponist, eine schillernde Figur der internationalen Musikszene. Und dieser Mann hat für Gitarre komponiert … mehr als nur ein Stück, weil vielleicht Andrés Segovia ihn darum gebeten hätte, nein, Hans Werner Henze hat die Gitarre immer wieder in Stücken eingesetzt, erstmalig 1958 in seiner „Kammermusik 1958“, zuletzt 1986 in seiner „Ode an eine Äolsharfe“.
Franz Halász hat auf zwei CDs alle Gitarrenstücke von Henze eingespielt, alle Gitarrenstücke und alle kammermusikalischen Werke, in denen die Gitarre verwendet wird, zum Beispiel also auch die „Drei Fragmente nach Hölderlin“ aus der „Kammermusik 1958“ und „Neue Volkslieder und Hirtengesänge“ für Fagott, Gitarre und Streichquartett, geschrieben 1983, revidiert 1996.
Dass und warum Hans Werner Henze umstritten ist, erklärt sich aus der eigenartigen künstlerischen Ambivalenz, die ihn und sein Œuvre umgibt. Als „Mann der Widersprüche“, der zeit seines Lebens „zwischen allen Stühlen“ saß, der „Deutschlands Vorzeigekomponist“ wurde und gleichzeitig als „Neoromantiker“ diskreditiert wurde, schildert ihn Jens Rosteck in seiner Biographie mit dem Titel „Rosen und Revolutionen“ [s. Rezension]. Mit den Darmstädtern der Nachkriegszeit und ihrem Vordenker Theodor W. Adorno hat er gebrochen, weil er „die strenge Dodekaphonie oder gar die Serialität, bei der alle Parameter prädeterminiert waren, vermied“ und so zog er Kritik und auch Häme einiger Kritikerpäpste auf sich. Besonders DER SPIEGEL schoss ich auf Hans Werner Henze ein: „Sein [Henzes] Floß treibt, wie alle Henziaden, im Sog der Konterrevolution. Während sich Nono, Berio und Boulez seit annähernd zwanzig Jahren durch Serien, Aleatorik und Elektronik zur neuesten Musik vortasten, ist Henze der alte Ästhet, der gepflegte Epigone, der geschmäcklerische Eklektizist geblieben.“
Der Vorwurf des Eklektizismus, von dem sich die Komponisten der Nachkriegszeitgeneration weit entfernt glaubten, traf Henze dabei nicht wirklich. Ein Revolutionär hat er nie sein wollen … aber nimmt nicht auch die Vokabel Revolution auf Vorhandenes Bezug, das nämlich, was verkehrt werden soll?
Die orthodoxen Komponisten der Nachkriegszeit waren nach dem überlebten Desaster der Überzeugung, dass sämtliche philosophischen und ästhetischen Maximen grundsätzlich überdacht und radikal verändert werden mussten – aber dem in diesem Zusammenhang vielzitierten Diktum von Adorno, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben sei barbarisch, folgte Hans Werner Henze damals und auch später nicht. Hört man die hier wiedergegebenen „Drei Tentos“ und auch die „Drei Fragmente nach Hölderlin“ aus der „Kammermusik 1958“, ahnt man seine Auseinandersetzung mit Webern und der Idee des Seriellen — gleichzeitig schwant einem aber, warum er sie für Gitarre geschrieben hat. Bei aller Atonalität sind sie nämlich ausgesprochen „romantisch“ und melodiebetont.
Und Franz Halász wird dem romantischen Anspruch dieser Stücke gerecht, wie die anderen Sänger und Instrumentalisten dieser beiden CDs auch. Der Tenor Colin Balzer singt die selten zu hörenden „Fragmente nach Hölderlin“, er spricht sie, er singt die stimmlich sehr anspruchsvollen Lieder … sehr gut verständlich und sonor. Am Schluss der ersten CD gibt es „Neue Volkslieder und Hirtengesänge“ für Fagott, Gitarre und Streichtrio und sie sind für mich eigentlich die Entdeckung dieser Aufnahme: Hier ist es Henze gelungen, Volkstümliches und moderne Klänge so miteinander zu vermählen, dass sich beide Aspekte selbstbewusst nebeneinander behaupten können. Die sieben Einzelsätze gehen auf Steirische Bauernlieder zurück.
Die zweite und wesentlich jüngere CD enthält „Carillon, Récitatif, Masque“ für Mandoline, Gitarre und Harfe als Highlight und natürlich abschließend die „Ode an eine Äolsharfe“, die Henze 1986 für David Tanenbaum geschrieben hat. Das erstere Werk lebt von der sehr eigenen klanglichen Nebeneinanderstellung dreier Zupfinstrumente. In „Carillon“ wird, wie der Titel vermuten lässt, mit Glockenklängen gespielt und mit italienischen Aspekten, die von der Mandoline bereitgehalten werden. „Récitatif“ ist sehr melodiebetont, frei heraus tonal und „Masque“ schließlich ist ein kontrapunktisches Spielen, ein Für- und Gegeneinander gleichberechtigter Stimmen.
Die Äolsharfe am Schluss ist ein Konzert für Gitarre und Instrumentalensemble, dessen Besetzung in ungeheuer breit gefächerte und vielfältige Klangwelten führt. Das „ensemble oktopus“ unter Konstantia Gourzi wird den Ansprüchen dieses Werks mehr als gerecht, lässt die Klangwelten auf uns als Zuhörer wirken … aber bei allem Klangzauber ist das Werk als Ganzes kein kammermusikalisches – dafür ist die Gitarre zu exponiert, zu „solistisch“.
Franz Halász als Solist und Initiator dieser Aufnahmen, wartet noch mit den beiden Sonaten der „Royal Winter Music“ auf, die zum Anspruchsvollsten gehören, was es an Gitarrenmusik gibt. Vor ihm hat sich gerade einmal eine Handvoll Gitarristen der Aufgabe gestellt, beide Sonaten aufzunehmen … und das hat wenig damit zu tun, dass nicht mehr Musiker dazu in der Lage gewesen wären. Aber es ist so, dass man mit „Koyunbaba“ schneller Claqueure findet— und damit geben sich immer mehr Musiker zufrieden. Sie tremolieren lieber mit Erinnerungen an die Alhambra ihre Zuhörer in den Schlaf, als ihnen Musiken nahe zu bringen, die der Gitarre und schließlich ihnen selbst zu neuem Ansehen verhelfen könnten.
Die beiden CDs mit Musik von Hans Werner Henze sind mehr als eine Dokumentation (aber das sind sie, nebenbei bemerkt, auch). Sie zeugen von der großen musikalischen Vielfalt des Schaffens Henzes und von der hohen interpretatorischen Kunst der beteiligten Musiker. Franz Halász ist sehr sensibel mit den zum Teil fragilen Kunstwerken umgegangen und hat auch in den selbstbewussten, klangmalerischen Shakespeare-Bildern seine Klasse gezeigt. Ihn als Richard III. in Gloucester zu hören, ist eine mystische Begegnung und gleich danach, in Romeo and Juliet, erlebt man Henzes kritischen Kommentar zu der zur Karikatur verkommenen Balkonszene. All das kommt in den Interpretationen von Franz Halász auf die Bühne, bravo!
Live aus San Quentin
- Details
- Geschrieben von Markus Grohen
- Kategorie: Gitarre & Laute ONLINE
Buzzy Martin, Live aus San Quentin: Bericht aus einem der härtesten Gefängnisse der Welt, München 2011, Irisiana, 817-2635-4453-6271, € 17,99
Am 24. Februar 1969 hat Johnny Cash im San Quentin State Prison ein legendäres Konzert gegeben, das später auf Schallplatte veröffentlicht wurde. Die Platte war ein Riesenerfolg. Weder das Konzert noch die Platte erwähnt Buzzy Martin in seinem Buch „Live aus San Quentin“ – nur der Autor des Klappentexts weist darauf hin, wie auch auf die Konzerte von B.B. King und Metallica.
Buzzy Martin, ein ganz normaler Gitarrist und Gitarrenlehrer aus Grand Rapids in Michigan, hat dort, in dem berüchtigten Knast mit der größten Death Row der westlichen Welt, Gitarrenunterricht gegeben. Und wie es ihm dabei ergangen ist, darüber hat er ein Tagebuch geführt … das jetzt bei Irisiana vorliegt.
Buzzy Martin beginnt mit mehr als drei Seiten Danksagungen – Habilitanden, die üblicherweise akademische Lehrer dankend erwähnen, sind selten mehr Gönnern verpflichtet, als er. Danach erzählt er, wie er an den Job in San Quentin gekommen ist. Buzzy hatte ein Programm entwickelt, das unter dem Namen „Music for Kids at Risk“ an Jugendstrafanstalten und Erziehungsheimen erfolgreich eingeführt war: „Was ich diesen Kindern und Jugendlichen biete, ist die einzigartige Gelegenheit, Neuland zu betreten, ein Risiko einzugehen und durch die Magie der Musik zu erfahren, welche Kraft in konstruktivem, schöpferischem Handeln liegt. […] Meine Hoffnung war, durch die Ausweitung meiner Musikkurse auf San Quentin nicht nur den Insassen dort zu helfen, sondern darüber hinaus den Horror des Gefängnisalltags hautnah zu erleben und diese Erfahrung an die gefährdeten Jugendlichen weiterzugeben, um sie so zu otivieren, ihr Leben zu ändern, bevor es zu spät ist.“
Dann erzählt er etwas über „Q“, wie San Quentin genannt wird. Gebaut worden ist der Knast zwischen 1852 und 1854 – ursprünglich für 3317 Häftlinge. Heute sind rund 6000 Gefangene dort plus 500 im Todestrakt … San Quentin ist die offizielle Hinrichtungsstätte des Staates Kalifornien. „Manchmal dauert der Aufenthalt [im Todestrakt] Jahre, bedingt durch das System der Gnadengesuche.“ 422 Menschen sind hier hingerichtet worden, davon vier Frauen.
Lieske Spindler Guitars: Bottom's Dream
- Details
- Geschrieben von Peter Päffgen
- Kategorie: Gitarre & Laute ONLINE
Lieske Spindler Guitars: Bottom’s Dream
Guitar Duos by Lieske, Mingus & Piazzolla
Aufgenommen im September 2010, erschienen 2011
Challenge Classics CC72511, im Vertrieb von Sunny Moon, Köln
Isaac Albéniz: Evocación
Lieske Spindler Guitars
Aufgenommen im Juni 2008, erschienen 2010
BONUS-CD Wulfin Lieske, solo: Werke von Isaac Albéniz
Aufgenommen im August 1994
Challenge Classics CC72374, im Vertrieb von Sunny Moon, Köln
… haarscharf an der Grenze zum Banalen …
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Wulfin Lieske und Fabian Spindler sind seit 2008 ein Paar … musikalisch gesehen, natürlich! Die Albéniz-CD war ihre erste gemeinsame Platte.
Dass die beiden Musiker Werke von Isaac Albéniz (1860—1909) für ihre Debüt-CD ausgewählt haben, verwundert nicht, hat doch Wulfin Lieske, der „Seniorpartner“ des Duos, vor rund fünfzehn Jahren schon einmal seine Wertschätzung für diesen Komponisten und seine Werke auf einer Solo-CD kundgetan. Diese Aufnahme bekommt man als Käufer der Duo-CD obendrauf.
Die Klavierstücke von Isaac Albéniz gehören seit Jahren zu den Schlachtrössern des Gitarrenrepertoires – und sie wirken so blutsverwandt mit ihren Adoptivinstrumenten, dass immer wieder aufs Neue erklärt wird, Albéniz habe, als er sie zum ersten Mal auf der Gitarre (oder auf zwei Gitarren) gehört hatte, dem Klavier (für diese Stücke) abgeschworen. Auch hier wird wieder in diese Richtung suggeriert: „Das ist es, was ich entworfen hatte! Ich schwöre, dass ich dieses Stück nie wieder auf dem Klavier spielen werde“ soll Albéniz gesagt haben [so „zitiert“ im Booklet] … aber wann und wo, wird nicht belegt. Es ist zwar bekannt, dass Albéniz (1860—1909) seinen Freund Miguel Lobet (1878—1938) mit Transkriptionen seiner Werke gehört hat … aber mehr nicht! [Walter Aaron Clark: Isaac Albéniz – Portrait of a Romantic, Oxford 1999].
Zum Tod von Gustav Leonhardt (30.5.1928—16.1.2012)
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- Geschrieben von Peter Päffgen
- Kategorie: Florilegium
Der Cembalist, Organist, Dirigent, Musikologe, Lehrer und Herausgeber Gustav Leonhardt (30. 5. 1928—16.1.2912) war einer der bedeutendsten Exponenten der „Alte Musik-Bewegung“. Zwischen 1947 und 1950 hat er Cembalo an der Schola Cantorum Basiliensis studiert, danach Musikwissenschaft in Wien. Dort wirkte er später auch als Professor bis er 1954 wieder in sein Heimatland, die Niederlande, zog. Dort lehrte er fortan am Amsterdamer Konservatorium. Gustav Leonhardt hat die Szene der „Alten Musik“ entscheidend mitgeprägt. Mit seinem „Leonhardt Consort“ und in Zusammenarbeit mit Nikolaus Harnoncourt, den er in Basel kennengelernt hatte, spielte er zwischen 1971 und 1990 erstmalig sämtlich Bach-Kantaten auf LP bzw. CD ein, daneben entstanden andere epochale Aufnahmen von Cembalo- und barocker Ensemblemusik. Das folgende Interview erschien 1984 in Heft 2 meiner Zeitschrift „CONCERTO—Das Magazin für Alte Musik“. Gerd Berg, damals Plattenproduzent bei der Kölner EMI und Initiator der legendären Plattenreihe „Reflexe“, stellte die Fragen. Das Interview entstand im „Bürgerhaus Bergischer Löwe“ in Bergisch Gladbach, wo noch am gleichen Abend ein Konzert von Gustav Leonhardt mit dem Cellisten Anner Bylsma stattfinden sollte. Anner Bylsma stieß später zu den Gesprächspartnern und wurde in das Interview einbezogen.
Dirigieren ist der einfachste Beruf Gerd Berg im Gespräch mit Gustav Leonhardt
CONCERTO: Wenn man Sie im Konzert mit Ihren alten Weggefährten hört, wenn man Sie an Cembaloabenden Ihren so ganz schnörkellosen Bach spielen hört, dann kann man sich kaum noch vorstellen, welche Aufregung das damals verursacht hat, als Sie zum ersten mal aufgetreten sind. Ich weiß noch aus eigener Erfahrung, wie eigenartig diese Mischung von Leuten war: die einen, die sofort überzeugt waren und die anderen, die das ungeheuer befremdet hat.
LEONHARDT: Die gibt es noch heute, aber die kommen nicht mehr, das hat sich getrennt.
CONCERTO: Sie sind eine der Gestalten, die am konsequentesten und unberührtesten ihren Weg gegangen sind, ohne ganz spektakuläre Wege gegangen zu sein, um die große Masse des Publikums auf einen Schlag gewinnen zu wollen. Wie hat sich das entwickelt? Welcher Gedanke hat Sie bestimmt, als Sie anfingen?
LEONHARDT: In erster Linie war es die wie auch immer geartete Liebe zur Musik des 18. Jahrhunderts, dann ist das 17. dazugekommen. Aber das war das erste; auch im elterlichen Hause habe ich sehr viel Musik gehört, ich wurde mitgenommen in Konzerte, und das hat es mir angetan. Das Weitere kann ich nicht erklären, es wurde immer professioneller, man entdeckte mehr Sachen, aber einer Entwicklung war ich mir nie bewusst. Das Einzige, was mich immer nur interessiert hat, war die Musik selbst. Karriere war und ist mir ganz gleichgültig. Ich kann mich freuen, dass es sehr gut gegangen ist. Am Anfang war es sehr schwer, aber das hat mich auch nicht bekümmert. Ich tue nichts wegen meines Publikums, ich tue es für ein Publikum, aber nicht wegen … CONCERTO: Sie sind dann an der Schola Cantorum in Basel gewesen, bei Müller. War für Sie klar, dass Basel der Ort war, wo Sie hingehen wollten?
LEONHADRT: Ja.
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Laute, Theorbe, Barockgitarre … Alte Musik in neuen Aufnahmen
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- Geschrieben von Peter Päffgen
- Kategorie: Gitarre & Laute ONLINE
Ronn McFarlane ♦ Oleg Timofeyev und Ensemble SARMATICA ♦ Céline Scheen, Eduardo Egüez (Luth & Théorbe), Philippe Pierlot (Basse de Viol) ♦ Paul Beier ♦ A Garden of Eloquence ♦ Lutz Kirchhof ♦ Bernhard Hofstötter ♦ Nigel North ♦ More Hispano: Vicente Parilla, direction, Raquel Andueza, soprano ♦ Constantinople & Françoise Atlan
The Art of Vivaldi’s Lute
Ronn McFarlane, Lute
The Bach Sinfonia, Daniel Abraham
Aufgenommen im Mai 2010, erschienen 2011
SONO LUMINUS DSL-92132, Im Vertrieb von NAXOS
… der auf Wirkung zielende Musiker …
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Die „Lautenkonzerte“ von Antonio Vivaldi (1678—1741) kennt hier jeder. Speziell das Konzert D-Dur RV (Ryom-Verzeichnis 93) ist von vielen namhaften Gitarristen (natürlich auf der Gitarre) gespielt und eingespielt worden … auch von weniger namhaften, denn vor unüberwindbare spieltechnische Probleme stellt der Solopart dieses Konzertes nicht.
Aber ganz abgesehen von der Frage, ob das Konzert auf der Laute oder der Gitarre gespielt werden soll, ist es keineswegs geklärt, für welches Instrument es von Antonio Vivaldi überhaupt konzipiert war. In den handschriftlichen Partituren, die uns als Quellen dienen, ist ausschließlich die Rede von einem „Leuto“. Das kann ein Synonym von „Liuto“ oder „Lauto“ sein, den italienischen Bezeichnungen für die Laute, es kann aber auch als Hinweis auf ein anders geartetes oder anders dimensioniertes Instrument zu verstehen sein.
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Neu bei Editions Orphee
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- Geschrieben von Redaktion
- Kategorie: Gitarre & Laute ONLINE
Diese Neuerscheinungen sind am 19. Dezember 2011 zur Besprechung eingegangen. Rezensionen werden nach Veröffentlichung mit der folgenden Liste verlinkt.
Alexei Agibalov: Sonata Nº 1 for the 7-string guitar, Columbus 2010, PWYS-95, US-$ 9,95
Mark Delpriora: Variations on a Theme by Sor. Variazioni Attraverso l’Ottocento for guitar, Columbus 2011, PWYS-101, US-$ 18,95
François de Fossa: Première Fantaisie op. 5 for solo guitar, edited by Matanya Ophee, Columbus 2010, PWYS-15B, $ 8.95
— Ouverture de l’Opéra „Le Calif de Bagdad, Musique de Boildieu arranged for guitar solo, edited by Matanya Ophee, Columbus 2010, PWYS-15E, US-$ 8,95
— La Tyrolienne Variée op. 1 for solo guitar, edited by Matanya Ophee, Columbus 2010, PWYS-15a, US-$ 6,95
— Cinquième Fantaisie sur L’air des Folies d’Espagne op. 12, edited by Matanya Ophee, Columbus 2010, US-$ 6,95
— Quatre Divertissements extraits fait des Oeuvre de J. Haydn op 13 for solo guitar, edited by Matanya Ophee, PWYS-15d, US-$ 12,95
Stephen Goss: Under Milk Wood Variations for guitar quartet and narrator, Partitur und Stimmen, Columbus 2009, EICM-21, US-$ 29,95
Joseph Haydn: The „Creation“-Fugue for solo guitar, Transcribed, in the style of Fernando Sor by Mark Delpriora, Columbus 2010, PWYS-98, US-$ 6,95
Richard Pick: School of Guitar. The Guitar in Pedagogy, Practice, Performance, Columbus 1992 [NA 2011], RTFT-16. US-$ 39,95
Máximo Diego Pujol: Tango Errante for Guitar, Columbus 2011, PWYS-102, US-$ 8,95
Ilya Shatrov: On the Hills of Manchuri. Waltz for guitar solo (version for both the 6 and 7-string guitars), edited by Matanya Ophee, Columbus 2010, PWYS-99, US-$ 4,95
Fernando Sor: Ariettina dedicated to the Princess Zinaida Volkonskaya for Voice and Piano or Guitar, Guitar transcription by Matanya Ophee, Columbus 2011, DTMO-11, US-$ 9,95
Narciso Yepes, Sharon Isbin et. al. … Neue CDs
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- Geschrieben von Peter Päffgen
- Kategorie: Gitarre & Laute ONLINE
Narciso Yepes: The Beginning of a Legend
Werke von Rodrigo, de Visée, Rameau, Scarlatti, Bach, Sor, Milan und Sanz
Aufgenommen zwischen 1953 und 1957, erschienen 2011
IDIS 6620 (Istituto Discografico Italiano) im Vertrieb von Klassik-Center, Kassel
… erfrischend unperfekt …
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Narciso Yepes (1927—1997) hat das „Concierto de Aranjuez“ am 16. Dezember 1947 öffentlich im Teatro Nacional in Madrid gespielt – bei seinem ersten Konzert in der spanischen Hauptstadt. Wenig später, noch im Jahr 1947, spielte er die Schweizer Uraufführung des Werks mit dem Orchestre de la Suisse Romande in Genf unter Ataúlfo Argenta. Yepes war zwanzig Jahre alt! Am 9. November 1940 war das Konzert in Barcelona uraufgeführt worden – mit Regino Saínz de la Maza und dem Orquesta Filarmónica de Barcelona unter César de Mendoza Lassalle.
1950 fuhren das Spanische Nationalorchester und Narciso Yepes nach Paris, um dort das Concierto aufzuführen. Das Konzert im Théâtre des Champs Elysées besiegelte den Welterfolg des Stücks … und schließlich interessierte sich die Plattenindustrie für das Werk. 1956 oder 1957 nahm Yepes das Konzert mit dem Orquesta de Camera de Madrid unter Ataúlfo Argenta auf (London International TW 91019), wenig später mit dem Spanischen Nationalorchester unter dem gleichen Dirigenten (DECCA SXL 7000).
Die ältere der beiden Aufnahmen des Konzerts durch Narciso Yepes ist auf der vorliegenden CD veröffentlicht … und zwar mit allen Unzulänglichkeiten, die sein Spiel damals enthüllte und die die noch junge Plattenindustrie noch nicht gemeistert hatte. Wenn Yepes später als der präziseste Gitarrist galt – und das meine ich eher ironisch im Sinne von pingelig –, dann hat er hier geschlurt und gehuddelt, wie ich es von ihm nie erwartet hätte – auch nicht in seiner Jugendzeit. Aber dass ein jugendlicher Wettbewerbsteilnehmer problemlos durch die flotten Passagen des Konzerts eilt ohne mit der Wimper zu zucken, wie das heute der Fall ist, davon war die Gitarristenkaste vor über fünfzig Jahren noch weit entfernt. Das Spiel von Yepes auf dieser Aufnahme jedenfalls klingt erfrischend unperfekt.
Michael Erni spielt Barrios
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- Geschrieben von Peter Päffgen
- Kategorie: Gitarre & Laute ONLINE
Barrios Passion: Agustín Barrios Mangoré
Aufgenommen und erschienen 2010
GUILD GMCD 7356
… Virtuose Leichtigkeit liegt Michael Erni nicht…
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Francisco Tárrega, Jota
Aufgenommen 2008, erschienen 2009
GUILD GMCD 7332
Italienische Gitarrenkonzerte von Mauro Giuliani und Antonio Vivaldi
Michael Erni, Orchester “Il Divertimento”
Erschienen 2006
Eigenproduktion
Die neueste Produktion von Michael Erni, der hier schon einmal ob einer CD mit Werken von Albéniz und Granados besprochen worden ist (in Ausgabe XVII/1995/Nº 2), enthält Stücke von Agustín Barrios. Zwei weitere, eine mit Tárrega und eine mit italienischen Konzerten für Gitarre und Orchester, sind auch noch neu genug, dass sie hier mindestens Erwähnung finden sollten.
Das Tárrega-Programm beginnt Erni mit einem Stück von Julián Arcas (1832—1882). Dessen „Gran Jota“ hat Francisco Tárrega (1852—1909) unter seinem Namen herausgegeben und, um ganz ehrlich zu sein, ich selbst habe das Stück in meiner Tárrega-Ausgabe (Budapest 1995) kommentarlos als eines von Tárrega veröffentlicht. Schwamm drüber … aber auch der große Emilio Pujol hat das Stück im Werkverzeichnis seines Buchs über Tárrega gelistet.
152.500 US-$ für Hauser-Gitarre bei Christie's!
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- Geschrieben von Redaktion
- Kategorie: Gitarre & Laute ONLINE
Am 16. September 2011 haben wir von einer Auktion berichtet, die bei Christie's in New York am 14. Oktober stattfinden sollte. Wir haben über verschiedene Zupfinstrumente berichtet, die versteigert werden sollten. Speziell erwähnt wurden dabei eine elektrische Gitarre von James L. D'Aquisto mit einem Schätzpreis von US-$ 20.000. Sie kam für 32.500 unter dem Hammer. Die elektrische Gitarre von John D'Angelico (Schätzpreis US-$ 20.000) ging für US-$ 27.500. Die Gibson-Mandoline, die mit US-$ 70.000 bis 90.000 geschätzt war, wurde für US-$ 104.000 verkauft.
Eine Flamenco-Gitarre von Daniel Friedrich von ca. 1962 (Schätzpreis 6.000—8.000) wurde für US-$ 7.500 versteigert, die Gitarre von M. Fernandez (geschätzt 3.000—5.000) ging für 10.265, die Gitarre von Antonio Emilio Pascual Viudes (7.000—9.000) für 8.750 und die von Francisco Simplicio (15.000—25.000) für 15.000 US-$.
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Väterchen Franz ist tot!
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- Geschrieben von Peter Päffgen
- Kategorie: Florilegium
Franz Josef Degenhardt, geboren am 3. Dezember 1931 in Schwelm, lebt nicht mehr. Am 14. November 2011 starb er in Quickborn. Franz Josef Degenhardt war als Rechtsanwalt Partner in einer Hamburger Sozietät, als Dichter und Schriftsteller bleibt er mit vierzehn Romanen und anderen Büchern in Erinnerung … Franz Josef Degenhardt war eine Stimme der 68er-Bewegung … so steht’s in Wikipedia. Für mich war er nicht eine, sondern die Stimme der 68er-Bewegung. Und er war der Poet der 68er-Bewegung. Einer, der keine Parolen krakeelt hat, sondern seine Hörer in sein Denken einbezog und ihnen etwas abforderte. Wenn ich heute die Geschichte von Horsti Schmandhoff höre oder Degenhardts Schilderung des deutschen Sonntags. Oder „Vatis Argumente“ und die vom „Notar Bolamus“, dann bin ich konfrontiert mit scharfer Kritik, verhöhnender Ironie und sogar bitterer Häme … aber ich höre etwas anderes. Ich höre, zum Beispiel, in grazilen Trippelschritten vorgetragen:
Hütchen, Schühchen, Täschchen passend,
ihre Männer unterfassend,
die sie heimlich vorwärts schieben,
weil die gern zu Hause blieben
und habe die Szene vor mir. Die Bilder liefert das Lied … diskret aber in Farbe!
Und auf eines können wir uns verlassen:
„hier darf jeder machen was er will! Im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung versteht sich."
Außerdem war Franz Josef Degenhardt das linke Gewissen derer, die sich nicht getraut haben. Das Feigenblättchen für die, die sich 1968 und später über alles Mögliche aufgeregt, die aber immer brav den Mund gehalten haben, weil sie ja sonst vielleicht aufgefallen wären. Nein, mit den Schmuddelkindern haben sie nicht gespielt, aber heute wollen sie als Achtundsechziger oder Linksintellektuelle gelten … es sei denn, die Stimmung spricht dagegen, weil christliche Politiker wieder Jagd auf linke Politchaoten machen, die ihnen Wählerstimmen stehlen. Dann halten sie wieder den Mund. Franz Josef Degenhardt hat nie einen Hehl aus seiner politischen Gesinnung gemacht. 1961 trat er der SPD bei, wurde aber zehn Jahre später ausgeschlossen, weil er aufrief, die DKP zu wählen … der er 1978 dann auch beitrat. Als (übrigens: promovierter) Anwalt war er Partner in einer Hamburger Kanzlei, die mehrere Mitglieder der RAF vertreten hat … aber mit so was haben Politiker der Mitte auch schon Hans-Christian Ströbele diskreditieren wollen, weil sie Rechtstaatlichkeit mit Rechtsstaatlichkeit verwechselt haben. Auf die Burg Waldeck, dahin, wo sein Geist immer sehr lebendig war, wollte Väterchen Franz nicht mehr kommen. Es würde dort nur noch Folklore ohne Tiefgang vorgeführt. Gut, auf der Waldeck haben Reinhard Mey, Hannes Wader oder Schobert und Black mit ihm zusammen viele Jahre ihre Lieder gesungen und ausprobiert. Allerdings hat Franz Josef Degenhardt das Politische seines Denkens und das Politische seiner Lieder nie aufgegeben. Auch nicht, als er auf die Achtzig zuging. Jetzt ist er tot … aber wie gern hätte ich gehört, was er über die Bankenkrise, die Schuldenkrise und alles, was da noch kommen wird, gesungen hätte! Väterchen Franz war immer ein guter Kommentator und Berater. Aber jetzt ist er tot!
Foto: © Reinhard Kaufhold
Grete Wehmeyer (5.X.1924—18.X.2011)
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- Geschrieben von Peter Päffgen
- Kategorie: Florilegium
Heute haben wir sie zu Grabe getragen, die Pianistin und Musikologin, die Querdenkerin, Kölnerin und Weltenbürgerin Grete Wehmeyer. Mit Büchern über Eric Satie und Edgar Varèse hat sie sich in den siebziger Jahren einen Namen gemacht, danach hat sie die „Entschleunigung von klassischer Musik“ betrieben bzw., um genau zu sein, hat sie sich zunehmend mit der wissenschaftlichen Erforschung von Tempo und Geschwindigkeit in der Aufführung klassischer Musik befasst. „Bach zügig, Mozart äußerst frisch, Beethoven geduckt dahinsausend, Chopin und Liszt rasant – so muss klassische Musik sein, so entspricht sie unserem Lebensgefühl, so klingt sie von Schallplatten, aus dem Radio, im Konzertsaal und im Opernhaus. Schnell muss Musik gespielt werden, wie Autos und Züge schnell fahren müssen, damit wir nicht nervös werden.“ [Grete Wehmeyer, prestißißimo: Die Wiederentdeckung der Langsamkeit in der Musik, Hamburg 1989 und Reinbek 1993]
Das Thema „Tempo und Geschwindigkeit“ hatte sie aus Japan mitgebracht, wo sie zwischen 1982 und 1984 eine Gastprofessur für Klavier an der Musashino-Akademie ausgefüllt hatte. Aber auch vorher waren ihr Themen aus diesem Bereich nicht fremd. In „ARS MUSICA—MUSICA SCIENTIA“ [Festschrift Heinrich Hüschen zum fünfundsechzigsten Geburtstag, Köln 1980], schrieb sie zum Thema: „Die Kunst der Fingerfertigkeit und die kapitalistische Arbeitsideologie“: „Die heutigen Höchstleistungen auf allen Musikinstrumenten und im Gesang sind ebenso das Produkt kapitalistischen Geistes wie der gegenwärtige Höchststand von Industrialisierung und Technisierung. Die Basis ist hier wie dort die Ideologie der Arbeit, die als Preis Askese fordert. Der »Prozess der Zivilisation« hat hier wie dort zu erheblichen Restriktionen der ungezwungenen menschlichen Äußerungen im Täglichen wie auch in der Kunst geführt.“
Noch vor Japan hat sie sehr pointiert ihr Buch „Carl Czerny und die Einzelhaft am Klavier oder die Kunst der Fingerfertigkeit und die industrielle Arbeitsideologie“ [Kassel u.a. 1983] geschrieben, als aber 1988 die Arbeit „Wiedergeburt der Klassiker: Anleitung zur Entmechanisierung der Musik“ von Willem Retze Talsma erschien, wuchs die „Initiative Wehmeyer“ rasch. Ich erinnere mich an einen Abend in der Geibelstraße, als die Forderung, klassische Musik nur noch im halben Tempo zu spielen, von einem prominenten Kölner Vertreter der Schallplattenindustrie beklatscht wurde … schließlich könne man, so meinte er, auf diese Weise doppelt so viele LPs verkaufen. 1990 erschien Grete Wehmeyers Buch „Zu Hilfe! Zu Hilfe! Sonst bin ich verloren: Mozart und die Geschwindigkeit“.
Frank Bungarten erhält ECHO-KLASSIK 2011
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- Geschrieben von Redaktion
- Kategorie: Gitarre & Laute ONLINE
Frank Bungarten hat als Instrumentalist des Jahres im Fach Gitarre den Echo-Klassik-Preis erhalten und zwar für seine Villa-Lobos-Einspielung, die hier besprochen worden ist. Der Kommentar von Echo-Klassik lautet:
Ein Ausnahmegitarrist erweist dem bedeutendsten Komponisten Lateinamerikas seine Referenz:
Frank Bungarten präsentiert uns die Gitarrenwerke von Heitor Villa-Lobos und dokumentiert damit drei wesentliche Schaffensphasen des Tonschöpfers, der als Cellist begann, die Gitarre als Autodidakt erlernte und der Musikwelt als „klingende Seele Brasiliens“ mehr als 1.000 Werke für alle denkbaren Besetzungen hinterließ.
Die folgende Vita und das Foto stammen von der Homapege des Künstlers unter http://www.FrankBungarten.de:
Frank Bungarten spielt seit frühester Jugend Gitarre, begann sein Studium an der Musikhochschule Köln im Alter von 17 Jahren und unterrichtete mit 24 Jahren bereits seine eigene Klasse an der Musikhochschule in Hannover. Mit dem ersten Preis im Gitarrenwettbewerb von Granada, verliehen von Andrés Segovia, begann seine internationale Karriere.
Er spielte als Solist sein außerordentlich umfangreiches Repertoire in über 40 Ländern der Erde und gab über 100 internationale Meisterkurse.
Seine zahlreichen CD - Einspielungen, unter anderem die Erstaufnahme aller Violinsolowerke J.S. Bach's in eigenen Transkriptionen gelten als Maßstab in der Fachwelt.
Er wurde dafür mit dem "Preis der Deutschen Schallplattenkritik", dem "Audio Reference", und zuletzt dem wichtigsten Deutschen Musikpreis "Echo Klassik" als "Instrumentalist des Jahres" ausgezeichnet.
Frank Bungarten ist Professor an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Eine zweite Professur in Luzern gab er in diesem Jahr zugunsten seiner künstlerischen Aktivitäten auf.
Er spielt regelmäßig auf den wichtigsten Musikfestivals, zunehmend auch mit hochrangigen Kammermusikpartnern.
Gitarre & Laute ONLINE gratuliert herzlich!
Julian's Favorite Albums
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- Geschrieben von Peter Päffgen
- Kategorie: Gitarre & Laute ONLINE
Julian Bream: My Favorite Albums
10 CD/in dieser Zusammenstellung erschienen 2011
RCA/SONY CLASSICAL 88697316212
Natürlich, der große Inspirator des letzten Jahrhunderts, was die klassische Gitarre angeht, war Andrés Segovia (1893—1987). Er hat Komponisten angeregt, für sein Instrument zu schreiben, er hat Hochschulen für die Gitarre geöffnet und weltweit in den großen Konzertsälen gespielt und seine Zuhörer für die Gitarre eingenommen.
Die Generation Gitarristen, die nach 1945 gelernt und studiert hat, wählte schon andere Vorbilder. Julian Bream war eines der einflussreichsten und wichtigsten. Auch er hat viel für das Repertoire getan, auch er hat sein Instrument in den großen Konzertsälen der Welt vorgestellt und, jetzt wird es speziell, er hat neben der Gitarre auch noch die Laute in das Gedächtnis der Menschen zurückgerufen. Die Renaissance-Laute, muss man präzisierend sagen, und auch nicht die Renaissance-Laute, die später von den historisch orientierten Lautenisten gespielt wurde. Julian Bream hat seine Lauten so bauen lassen, dass er sie mit seiner Gitarren-Spieltechnik spielen konnte. Das heißt, er hat relativ schwere und dickwandige Instrumente gebraucht, welche die wesentlich höhere Saitenspannung aushielten, und er hat, was die Chörigkeit der Laute angeht, Modifikationen vorgenommen. Julian Breams Lauten hatten mindestens die beiden obersten Chöre einzeln besaitet – nur so konnte er mit seinem Fingernagelanschlag auf der Laute zurechtkommen.
Nun bitte ich inständig darum, mich nicht falsch zu stehen! Ich will Julian Bream keineswegs wegen seines Lautenspiels zusammenfalten. Etwa, weil er „historisch inkorrekt“ gespielt oder weil er das Instrument seiner Spieltechnik angepasst hat und nicht umgekehrt? Julian Bream hat viel für das englische Lautenlied getan und viel für die englische Lautenmusik des frühen 17. Jahrhunderts. Und er hat das musikalisch so überzeugend getan, dass er viele Besucher seiner Konzerte erst an diese Musik herangeführt hat. Und er hat in Soloabenden gern beides gespielt: in der ersten Hälfte Laute und in der zweiten Gitarre.1955 hat Bream seine erste Platte aufgenommen, und zwar für DECCA, dann folgten vier Platten für das Label WESTMINSTER, zwei 1956 und zwei weitere 1957. Bevor schließlich die lange Zusammenarbeit mit RCA begann, erschien eine weitere Platte bei DECCA, das war 1958. Von den sechs LPs der Zeit vor der RCA enthielten zwei englische Lautenlieder, aufgenommen zusammen mit Peter Pears, eine Lautenmusik und drei Gitarrenmusik.
Couperin, Weiss, Kalivoda in Tabulatur bei UT OPRHEUS
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- Geschrieben von Peter Päffgen
- Kategorie: Gitarre & Laute ONLINE
François Couperin, Les Barricades Mistérieuses, Transcription for Baroque Lute by Miguel Yisrael, Bologna 2010, UT ORPHEUS EDIZIONI SDS 10. ISMN 979-0-2153-1842-7, € 10,95
Silvius Leopold Weiss, Sonata Nº 11 in A-major (S-C 16), Sonata Nº 15 in F-minor (S-C 21) for Baroque Lute, Edited by Michel Cardin, Bologna 2010, UT ORPHEUS EDIZIONI, SDS 11. ISMN 979-0-2153-1843-4, € 16,95
Georg Adalbert Kalivoda, Partita in F-major from the Buenos Aires Ms for Baroque Lute, Edited by Michael Treder, Bologna 2011, UT ORPHEUS EDIZIONI, SDS 12. ISMN 979-0-2153-1844-1, € 11,95
Das Besondere an diesen Ausgaben ist, dass sie nur die originalen Tabulaturen bereithalten und keinerlei Übertragungen. Da Tabulaturen strikt instrumentenspezifisch sind – weil sie bekanntlich nicht den Ton notieren, den man erzeugen soll, sondern die Griffstelle auf dem Griffbrett des jeweiligen Instruments – sind diese Ausgaben nur für Barocklautenspieler gedacht und nur von Barocklautenspielern benutzbar. In einem Fall, der Komposition „Les Barricades Mistérieuses“ von François Copuperin, liegt sogar die Transkription eines Stücks vor, das für Cembalo überliefert ist. Hier haben wir es also mit Musik zu tun, die für die moderne Ausgabe nicht aus der Tabulatur, sondern in die Tabulatur übertragen worden ist.
Weiterlesen: Couperin, Weiss, Kalivoda in Tabulatur bei UT OPRHEUS
Op. 15 von Mauro Giuliani … Neue Ausgaben
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- Geschrieben von Peter Päffgen
- Kategorie: Gitarre & Laute ONLINE
Die C-Dur-Sonate op. 15 von Mauro Giuliani gehört zu den eher seltener öffentlich gespielten Werken für Gitarre … in den „bevorzugten Konzertprogrammen“ jedenfalls, wie Thomas Müller-Pering im Vorwort seiner neuen Ausgabe des Werks bedauert. Wenn man bedenkt, dass die Wiener Universal Edition als Verlegerin mit dieser Neuausgabe bereits die dritte Edition der Sonate vorlegt, kann die Nachfrage nach den Ausgaben allerdings so schlecht nicht gewesen sein. Außerdem ist die UE-Ausgabe nicht die einzige auf dem internationalen Musikalien-Markt. 1985 standen bei Moser[1] außerdem die von Ruggero Chiesa, Daniel Benkö, Bruno Tonazzi, Frank Nagel/Philippe Meunier und von anderen. Dazu kommen solche, die nur den ersten Satz der Sonate enthalten – mal einfach als „Allegro“, auch „Allegro spirito“ oder „Allegro spiritoso“ und, so soll Karl Scheit den Satz in seiner kompletten Ausgabe der Sonate überschrieben haben, als „Allegro spirituoso“[2]. Bei letzterer Bezeichnung kann es sich freilich nur um einen Lapsus linguae seitens des Katalogkompilators handeln.
Der zitierter Katalog ist nun über 25 Jahre alt und sicher sind weitere Neuausgaben von op. 15 hinzugekommen. Schon 1988 schrieb Matanya Ophee: „Beim letzten Zählen fand ich rund zwanzig Ausgaben der Sonate op. 15 in Umlauf“[3]. Diese Zahl zeigt nicht nur, dass der Moser-Katalog schon drei Jahren nach seinem Erscheinen dringend revisionsbedürftig war, er bekräftigt mich auch in meiner Einschätzung, dass die Sonate von Mauro Giuliani alles andere als ein Ladenhüter war und ist. Tatsächlich sind seitdem weitere neue Ausgaben hinzugekommen – zwei davon liegen mir gerade vor:
Mauro Giuliani, Sonate op. 15, hrsg. V. Fabio Rizza, Bologna 2011, UT ORPHEUS EDIZIONI CH 127, € 9,95
Mauro Giuliani, Sonate C-Dur op. 15, hrsg. v. Thomas Müller-Pering, Wien u.a. 2010, UE 34482, € 12,50
Es ist im Zusammenhang mit den Neuerscheinungen über die Quellenlage im „Fall Giuliani op. 15“ zu reden, auf die auch Matanya Ophee schon eingegangen ist und die auch von Fabio Rizza im Vowort seiner neuen Ausgabe behandelt wird.