Aljibe de Madera – Homenaje a Andrés Segovia
Javier Riba, Guitarra Vicente Arias (Madrid, 1900)
Werke von Tárrega, Debussy, de Falla, Halffter, José Maria Franco, Vicente Arregui, Gaspar Cassadó, Adolfo Salazar, Pedro Sanjuan, Albéniz
Aufgenommen im Februar 2012
Tritó TD 0094
… in fast klassischer Manier, sehr sensibel, sehr detailgenau …
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Andrés Segovias Todestag hat sich am 2. Juni 2012 zum fünfundzwanzigsten Mal gejährt. Seinem Andenken ist diese CD gewidmet. Sie enthält, und dafür muss man dem Interpreten und den Verantwortlichen des Labels danken, nicht die „großen Werke“ seines Repertoires, die Chaconne etwa, Stücke von Federico Moreno Torroba oder Manuel Ponce, nein, Javier Riba hat Stücke aus Segovias Jugendzeit ausgewählt, Stücke, die heute zum Teil vergessen sind.
Kennen Sie beispielsweise die „Romanza“ von José Maria Franco (1894—1971), die Segovia – das verrät Angelo Gilardino im Booklet – auf seiner zweiten Argentinien-Tournee im Jahr 1921 gespielt hat? Oder die Barcarolle „Canço en el mar“ von Jaume Pahissa (1880—1969)? Sie gehörte in Segovias „repertorio oculto“, sein geheimes Repertoire, das er nie spielte oder auf Platte aufnahm. Über Pahissa schrieb Segovia sogar in seiner Autobiographie (New York 1976), dieser sei nie interessiert gewesen, für Soloinstrumente zu schreiben oder für Kammermusikgruppen … dabei war das Manuskript von Pahissas „Canço en el mar“ schon seit 1919, also über fünfzig Jahre im Besitz des Gitarristen.
Javier Riba spielt auf einer besonderen Gitarre, einem Instrument von Vicente Arias aus dem Jahr 1900. Genau dieses Instrument soll es gewesen sein, auf dem ein Anwalt namens Gabriel Ruiz de Almodóvar im Jahr 1905 im Beisein des jungen Segovia gespielt hat. Segovia schrieb über diese Begegnung in seinen schon zitierten Memoiren: „What a wonderful discovery it was for me to hear him play one of Tárrega’s preludes“ – es war die erste Begegnung des Zwölfjährigen mit klassischer Gitarrenmusik und vermutlich auch seine erste mit Tárrega.
Wir wissen, dass Gabriel Ruiz de Almodóvar Kunde bei dem Gitarrenbauer Vicente Arias gewesen ist und wir wissen auch, dass Javier Riba vor einigen Jahren die Gitarre, auf der er seine CD aufgenommen hat, aus dem Nachlass von Ruiz de Almodóvar in Granada gekauft hat. Gehen wir also – der Legende willen – davon aus, dass es genau dieses Instrument gewesen ist, dessen Klang Segovia im Jahr 1905 für die klassische Gitarre begeistert hat – das jedenfalls behauptet Angelo Gilardino im Booklet der CD. Sollte die Annahme falsch sein, ist es jedenfalls ein hervorragend erhaltenes und klingendes Instrument des gleichen Instrumentenbauers und es stammt aus dem Jahr 1900. Würde passen! [Eine Abhandlung über die Arias-Gitarre haben Javier Riba und John Ray im Internet veröffentlicht. Enthalten sind Fotos von Marian Peón]. Javier Riba beginnt sein Programm mit sieben Preludios von Francisco Tárrega, genau dem Repertoire also, das Segovia vor gut hundert Jahren in Granada begeistert hat. Wir hören einen sehr fein spielenden und differenzierenden Interpreten, der keinen Wert auf Lautstärke oder Virtuoses legt, sondern die Musik einfach wirken lässt, wie sie ist. Er sieht die Bedingungen für historisch richtiges oder annähernd adäquates Spielen von Musik nicht mit der Wahl des Instruments erfüllt, wie das sonst so oft der Fall ist, sondern bemüht sich, der Spielweise der Gitarristen der ersten Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts möglichst nahe zu kommen.
Wie oft haben wir erleben müssen, dass „ganz normale Gitarristen“ eine Laute, eine Vihuela oder eine „Barockgitarre“ in die Hand genommen haben und sich damit als Vertreter der „Alten Musik“ ausgegeben haben, als Hüter des musikalischen Erbes sozusagen; wie oft haben wir Schallplatten, von Orchestern zum Beispiel, gehört, auf denen an prominenter Stelle zu lesen war „AUF ORIGINAL–INSTRUMENTEN“, auf denen aber genau so gespielt wurde, wie sonst auch – nur auf alten Instrumenten oder deren stickum modernisierten Nachbauten. Das Deckmäntelchen der historischen Aufführungspraxis, das sich Interpreten damit umtaten, haben sie gelegentlich auf Pressefotos auch noch tatsächlich getragen … was das aufgesetzte Historisieren völlig decouvrierte.
Auf der neuen CD von Javier Riba ist nirgends die Rede von Aufführungspraxis. Außerdem haben wir – trotz der originalen Aufnahmen von Miguel Llobet – eine nur vage Vorstellung davon, wie Gitarristen zu Anfang des 20. Jahrhunderts gespielt haben. Und doch scheint mir die Aufnahme von Javier Riba daran orientiert zu sein, wie wir uns das Spiel von Llobet, Pujol und ihren Zeitgenossen vorstellen; auch das von Tárrega übrigens, das Riba deutlich weniger romantisierend vermutet, als es heute oft wiedergegeben wird. Javier spielt die Stücke in fast klassischer Manier, sehr sensibel, sehr detailgenau.
Schon das Repertoire, das auf der CD „Aljibe de Madera“ angeboten wird, verdient allen Respekt! Die „Deuxième Arabesque“ von Claude Debussy zum Beispiel ist in Transkription für Gitarre unbekannt. Wir wissen zwar, dass Andrés Segovia eine eigene Bearbeitung dieses Klavierstücks im Programm seines Debüt-Konzertes in Madrid am 6. Mai 1913 hatte, eine Transkription ist aber nicht überliefert … also hat Javier Riba eine angefertigt, die er auf der CD spielt. Es ist eine zarte, verspielte musikalische Miniatur, die wie für Gitarre geschrieben zu sein scheint.
An bekannteren Stücken sind die „Homenaje“ von Manuel de Falla, seine „Romance des pescador“ und die wunderbare „Canción del Fuego Fatuo“ aus „El Amor Brojo“ zu hören, die Riba besonders gut gelungen ist. Am Schluss steht „Córdoba“ von Isaac Albéniz, das musikalische Bild der Stadt, in der Javier geboren wurde und heute Professor für Gitarre ist. Auch dieses Stück behandelt er mit großer Sorgfalt und Achtung und so führt er seinen Zuhörern die mystische Schönheit seiner Stadt vor, in der man heute noch zwischen den Welten der Mauren, die im Jahr 711 die Stadt eingenommen haben, und der der andalusischen Christen lebt.
Noch ein Wort zum Titel der CD: „Aljibe de Madera“. Ein „Aljibe“ ist eine Zisterne, ein „Aljibe de Madera“ eine hölzerne Zisterne. Alles klar?
Ein „Aljibe de Madera“ kommt in einem Gedicht von Federico Garcia-Lorca vor: „Las seis cuerdas“. Hier heißt es:
La guitarra,
hace llorar a los sueños.
El sollozo de las almas
perdidas,
se escapa por su boca
redonda.
Y como la tarántula
teje una gran estrella
para cazar suspiros,
que flotan en su negro
aljibe de madera.
Es gibt verschiedene Übersetzungen in alle möglichen Sprachen … keine kann wirklich Licht in die sehr spanische Metaphorik bringen.
Die CD „Aljibe de Madera“ von Javier Riba ist in jeglicher Hinsicht gut erdacht und gemacht. Ein potentieller Käufer wird interessiert, weil das Cover klarmacht, um was es geht und keine viel zu oft gedruckten Gemälde oder historischen Fotos verwendet; wer sich für Gitarrenmusik interessiert, sieht und hört, dass nicht wieder „Recuerdos de la Alhambra“ oder die „spanische [sic] Romanze“ verbraten wird; wer gern etwas über die eingespielten Werke liest, findet höchst informative Informationen in Angelo Gilardinos Booklet-Text und wer sich gern von guter und gut präsentierter Musik berühren lässt, ist ohnehin bestens aufgehoben. Was noch?