Fernando Sor: Sonates op. 14 & op. 22, Fantaisies op. 7 & op. 20
Giuseppe Carrer, guitarra Lacôte 1840
Aufgenommen im April und Mai 2009
Tritó TD0085
… so viel hinreißend Schönes …
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Die Sor-CD von Giuseppe Carrer ist zustande gekommen dank einer Förderung durch die „Sociedad Sor de Barcelona“, der Fernando-Sor-Gesellschaft von Barcelona, wo Fernando Sor am 13. Februar 1778 geboren wurde. Besonders dort, in seiner katalanischen Heimat, wird der Gitarrist und Komponist als einer der ganz Großen seines Metiers verehrt und seit einiger Zeit auch von Gitarristen, die der historischen Aufführungspraxis verbunden sind, gewürdigt. Giuseppe Carrer gehört in diese Riege historisch orientierter Musiker, und das belegt nicht nur der Hinweis auf dem Cover, gespielt würde auf einer Gitarre von René Lacôte von 1840.
Katalanisch an dieser Aufnahme sind freilich nur Komponist und Plattenlabel … Giuseppe Carrer ist Italiener und hat bei Ruggero Chiesa in Mailand studiert. Forschungen zur Aufführungspraxis gehören zu seiner musikalischen Arbeit und das zeigt auch der Text, den er seiner Sor-CD beigegeben hat. Dort geht es um „changements“, um die Freiheiten, die Komponisten der Zeit Sors ihren Interpreten gegeben haben. Dionisio Aguado schrieb dazu in seiner Gitarrenschule von 1843: „El ligado, la apoyatura, el mordente, etc. dan un nuevo realce a la exprésión, si se usan oportunamente y no se multiplican demasiado“. Diese gezielt unpräzise Anweisung, man solle Verzierungen bei Gelegenheit aber nicht im Übermaß verwenden, gab den ausübenden Musikern alle Freiheiten und forderte ihren Geschmack … der natürlich heute, rund zweihundert Jahre später, eine in keiner Weise verlässliche Entscheidungsinstanz mehr sein kann. Zu vielen musikalischen Wandlungen hat er sich in der Zwischenzeit beugen müssen. Den Interpreten von heute bleibt nur, alles an Informationen in sich aufzunehmen, was über den musikalischen Geschmack der damaligen Zeit Aufschluss verspricht, und alle Zwänge zu berücksichtigen, die bestimmte interpretatorische Manieren diktieren oder verbieten. Zwänge legt zum Beispiel die Andersartigkeit der damals verwendeten Instrumente auf. Auf einer Lacôte von 1840 kann nicht so beherrschend laut gespielt werden wie beispielsweise auf einer Humphrey heutiger Zeit. Dafür sind Arpeggien auf einer kleineren, alten Gitarre mit größerer Eleganz und Leichtigkeit zu spielen als auf einer unserer Zeit. Die empfindlichen Darmsaiten, dies ist ein weiteres Beispiel, die vor zweihundert Jahren verwendet wurden, konnte man mit Nagel-bewehrten Fingern nicht so aggressiv attackieren, wie wir das mit modernen Nylon- oder Carbon-Saiten gewohnt sind.
Die Sor-CD von Giuseppe Carrer hat mich sehr beeindruckt und sie tut es immer noch, auch nach mehrmaligem Hören. Ich bin eigentlich der Überzeugung, dass Fernando Sor seine Freude an Giuseppes Spiel gehabt hätte … wäre da nicht der eine oder andere Zweifel.
Wenn ich den ersten Satz der Sonate op. 22 höre, dann erlebe ich gelegentlich ein Virtuosengehabe, das ich bisher nur von sich jugendlich gerierenden Prahlhänsen kannte. Hier ist aber ein Musiker am Werk, der sich gleich zu Beginn als einer ausweist, der so spielen will, wie es zur Entstehungszeit der Musik Usus gewesen ist … und eine so kraftstrotzende Virtuosität war zu Sors Zeit nicht möglich.
Ähnlich ergeht es mir mit dem Menuett der gleichen Sonate. Das zieht Giuseppe Carrer durch wie es ein „moderner“ Gitarrist tut. Da höre ich den eleganten Dreier-Tanz nicht mehr, wie er noch im späten 18. Jahrhundert gepflegt worden ist.
Natürlich wissen wir, dass einige Gitarristen damals, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, auch wegen ihrer Virtuosität so berühmt waren. Aber war es die gleiche Art von Virtuosität, wie wir sie heute immer wieder hören und wie ich sie auch bei Giuseppe Carrer entdecke? In op. 7 von Fernando Sor höre ich bei Carrer so viel hinreißend Schönes, so viel Gesangliches, im „Gran Solo“ eine Introduktion voller Tragik und tiefem Ausdruck. Stören mich vielleicht wegen dieser Glücksmomente die zwischendurch eingestreuten modern-virtuosen Einlagen besonders? Für mich besteht da ein Ungleichgewicht.
Giuseppe Carrers Sor-Platte ist ein exquisites Vergnügen … und doch stellt sie mich vor Fragen. Eine davon dreht sich um die Grenzen der historischen Aufführungspraxis und darum, ob der Fortschrittsglaube, der uns früher wohl alle beseelt hat, nicht doch noch Einfluss hat und eine konsequente HIP (historically informed performance) unmöglich macht.
Link auf YouTube: Giuseppe Carrer spielt das „Grand Solo“ op. 14 von Fernando Sor (Upload am 29.03.2009). Dabei spielt er eine Gitarre Santos Hernandez von 1928