Giuliani pop

Federico Moreno Torroba: Complete Music for Solo Guitar & Guitar Quartets
Angelo Colone, Guitar und (in den Quartetten) Massimo de Lorenzi, Andrea Pace, Cristiano Policappelli
Aufgenommen zwischen 2016 und 2019, erschienen ℗ 2019
Gitarren von Alfonso Savastani, Mario Rosazza Ferraris, José Ramirez
5 CDs, BRILLIANT CLASSICS 95343
… Außerdem können auch Interpretationen „berechtigt aber nicht notwendig“ sein …

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Durch Andrés Segovia ist Federico Moreno Torroba (FMT) an die Gitarre gekommen. Das erste Werk, das er für das Instrument geschrieben hat, war seine „Danza in E“ von 1919, die er ein Jahr später in seine „Suite castellana“ einband. Mit ihr begann eine viele Jahre gepflegte fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Komponisten und Segovia, eine Zusammenarbeit, die für beide Seiten erfolgreich war. Aber dass Segovia eine so beispiellose internationale Karriere vor sich hatte, konnte zu der Zeit niemand ahnen … nicht einmal, dass das mit der Gitarre überhaupt möglich war. Es gab kein nennenswertes Repertoire für das Instrument, keine akademischen Ausbildungsstätten, keine internationalen Wettbewerbe. Die Gitarre fand in der „klassischen Musik“ (noch) nicht statt … aber das sollte sich in dem beginnenden zwanzigsten Jahrhundert schnell und grundsätzlich ändern.
Man bedenke im Zusammenhang mit der Chronologie des Œuvre von FMT, dass er 1920, als er sein erstes Gitarrenstück vollendete, bereits mehrere Zarzuelas geschrieben hatte, die ausnahmslos in namhaften Theatern uraufgeführt worden waren: „Las decididas“ (UA [Uraufführung]) 1912, „Como los ojos de mi morena (UA 1919), „Las fuerzas ocultas“ (UA 1920), „Cuidado con la pintura“ (UA 1920) und „Artistas para fin de fiesta“ (UA 1920) – als diese Bühnenwerke aufgeführt wurden, war der Komponist gerade neunundzwanzig Jahre alt oder jünger! FMTs letztes große Bühnenwerk wurde am 11. Oktober 1966 im Teatro Maravillas uraufgeführt: „Ella – lírico dramático“. Jetzt war Federico Moreno Torroba fünfundsiebzig Jahre alt und stand am Ende seiner Karrriere.

Als Segovia anregte, FMT solle doch für ihn Gitarrenstücke komponieren, war Moreno Torroba keineswegs um Kompositionsaufträge verlegen – die Auftragslage war glänzend, würde ein Betriebswirt heute sagen. 1936, als der Spanische Bürgerkrieg begann, änderte sich die Situation zwar – für Amüsement, wie es von Zarzuelas geboten wird, bestand immer weniger Nachfrage – trotzdem schrieb FMT rund einhundert Bühnenwerke mit Musik (hauptsächlich Zarzuelas, zwei Opern). Aber auch der Film war zum Konkurrenten für Theaterschaffende geworden.
Angelo Colone hat – zusammen mit seinen Quartett-Partnern — alle Werke für Gitarre solo und die Gitarrenquartette von Moreno Torroba aufgenommen. Was präsentieren die Musiker uns nun – auf fünf CDs? Ist es eine Dokumentation … oder ein XXL-Kunstgenuss? Ist es ein eher wissenschaftliches oder ein künstlerisches Unternehmen, dessen Ergebnis sie uns darbieten? „Die Menge macht’s nicht“ … könnte man sagen und tatsächlich ist eine Produktion mit fünf CDs keinesfalls höherwertig als eine, die nur ein paar zentrale Werke zusammenfasst. Im Gegenteil müssen Aufnahmen, die „Gesamteinspielungen“ abliefern, auch solche Kompositionen enthalten, die sonst nirgends und nimmer Chancen bekommen hätten, auf CD zu erscheinen. Vielleicht, weil sie nicht wichtig genug sind? Oder nicht attraktiv genug? B-Ware, die haben auch große Komponisten schon produziert. Fünf Stunden Gitarrenmusik von demselben Komponisten sind – bei allem Respekt – nur schwer zu vermitteln. Die Einzelsätze sind selten länger, als drei oder vier Minuten lang – und doch!
Außerdem können auch Interpretationen „berechtigt aber nicht notwendig“ sein. Angelo Colone hat nicht nur Referenz-Einspielungen vorgelegt, unter den einhundertsieben Einzelsätzen der CD-Edition befinden sich auch solche, auf die man gerne verzichten hätte. Colone ist kein Gitarrist, der sich besonders um musikalische Details bemüht, im Gegenteil: Bei dem einen oder anderen Satz und der einen oder anderen Wendung hätte ich mir etwas mehr Sorgfalt gewünscht.