Giuliani pop

SDS 11SDS 12François Couperin, Les Barricades Mistérieuses, Transcription for Baroque Lute by Miguel Yisrael, Bologna 2010, UT ORPHEUS EDIZIONI SDS 10. ISMN 979-0-2153-1842-7, € 10,95

Silvius Leopold Weiss, Sonata Nº 11 in A-major (S-C 16), Sonata Nº 15 in F-minor (S-C 21) for Baroque Lute, Edited by Michel Cardin, Bologna 2010, UT ORPHEUS EDIZIONI, SDS 11. ISMN 979-0-2153-1843-4, € 16,95

Georg Adalbert Kalivoda, Partita in F-major from the Buenos Aires Ms for Baroque Lute, Edited by Michael Treder, Bologna 2011, UT ORPHEUS EDIZIONI, SDS 12. ISMN 979-0-2153-1844-1, € 11,95

Das Besondere an diesen Ausgaben ist, dass sie nur die originalen Tabulaturen bereithalten und keinerlei Übertragungen. Da Tabulaturen strikt instrumentenspezifisch sind – weil sie bekanntlich nicht den Ton notieren, den man erzeugen soll, sondern die Griffstelle auf dem Griffbrett des jeweiligen Instruments – sind diese Ausgaben nur für Barocklautenspieler gedacht und nur von Barocklautenspielern benutzbar. In einem Fall, der Komposition „Les Barricades Mistérieuses“ von François Copuperin, liegt sogar die Transkription eines Stücks vor, das für Cembalo überliefert ist. Hier haben wir es also mit Musik zu tun, die für die moderne Ausgabe nicht aus der Tabulatur, sondern in die Tabulatur übertragen worden ist.

Die Ausgabe mit zwei Weiss-Sonaten (SDS 11) hat Michel Cardin angefertigt, der den gesamten Inhalt der sog. Londoner Weiss-Handschrift [GB-Lbl Add. 30387] auf 13 CDs eingespielt hat (eine Besprechung dieser Quellen-Gesamteinspielung wird hier bald erscheinen). Die Hauptquelle für beide Sonaten ist die erwähnte Londoner Handschrift, dort stehen sie auf fol. 74v—78r (Nº 11) bzw. fol. 100v—105r (Nº 21). Die Numerierung in der vorliegenden Ausgabe (S-C 16 und 21) bezieht sich auf die Weiss-Gesamtausgabe bei Peters/Bärenreiter (dort stehen sie in Bd. I und II [Tab] bzw. III und IV [Übtr.]) und das Sigel offenbar auf die beiden Herausgeber dieser Ausgabe: Douglas Alton Smith (S) und Tim Crawford (C).Am Schluss der Ausgabe steht ein Kritischer Bericht, hier kurz mit „Variants“ überschrieben. Darüber heißt es: „These variants are essentially additions from other sources of the same work, not a systematical list of all the differences (except for a few major ones).“ Natürlich findet man diese „additions“ auch im Kritischen Bericht der Gesamtausgabe (Band IV). Michel Cardin benutzt die in der Gesamtausgabe eingeführten Abkürzungen für Quellen, allerdings ohne sie zu erklären und aufzulösen. Das ist für einen Benutzer, der die neue Ausgabe fürs praktische Musizieren verwenden möchte, in Ordnung – er kann allerdings ganz auf den Kritischen Bericht verzichten. Der Herausgeber oder Wissenschaftler aber, der auf die Variantenliste angewiesen ist, wird die Gesamtausgabe konsultieren müssen.

 

Die Tabulatur-Schrifttypen, die für die Ausgaben der Reihe verwendet werden, sind gut lesbar, der Satz ist mit der Software „Django“ angefertigt. Das „Stichbild“ ist sehr groß – vielleicht hätte man etwas kleiner setzen und damit Wendestellen sparen können?
Die Partita von Georg Adalbert Kalivoda (SDS 12) steht in dem „Buenos Aires-Manuskript“, über das der Herausgeber Michael Treder im Vorwort seiner Edition berichtet. Die Handschrift war im Besitz des Musikwissenschaftlers Paul Nettl (1889—1972), als dieser 1939 auf der Flucht vor NS-Verfolgung in die Vereinigten Staaten von Amerika emigrierte. Die Biblioteca Nacional in Buenos Aires [RA-BAn] hat die Handschrift 1941 erworben, wie Wolfgang Boetticher (RISM Bd. B VII, S. 67—68) schreibt. Ob sie heute noch in ihrem Besitz ist, konnte Treder leider nicht bestätigen.

Die präziseste Beschreibung der Handschrift hat Josef Klima geliefert [„Die Lautenhandschrift 13769 der Nationalbibliothek Buenos Aires, die sogenannte Kalywodahandschrift“, Wiener Lautenarchiv, Reihe A, Nr. 25, Maria Enzersdorf bei Wien 1982]. Klima zitiert eine andere Signatur als Boetticher, da er aber ein thematisches Verzeichnis mit den Incipits aller Stücke in Tabulatur und Übertragung liefert, lässt sich die Identität der Handschrift leicht nachweisen. Die enthaltenen Stücke von Silvius Leopold Weiss hat auch Markus Lutz online aufgelistet.

Die Partita F-Dur von Georg Adalbert Kalivoda ist eine höchst interessante Bereicherung des Repertoires spätbarocker Lautenmusik.

Schließlich ein Stück von François Couperin [1668—1733], einem der Musiker am Hof von Louis XIV (SDS 10). Couperin hat Tasteninstrumente gespielt, niemals Laute oder Theorbe … seine Musik hatte aber große Ähnlichkeit mit der Lautenmusik seiner Zeitgenossen. Der „style luthé“ war es, der „Lautenstil“, der auch bei Cembalisten en vogue war. Robert de Visée (1660—1732) hat verschiedene Stücke von Jean-Baptiste Lully (1632—1687) für Theorbe übertragen, die in der Handschrift des Vaudry de Saizenay überliefert [F-B, 279.152 und 279.153] sind. Diese wichtige Handschrift ist, nebenbei bemerkt, 1980 bei Minkoff in Faksimile erschienen und ich kann nur empfehlen, davon ein Exemplar zu kaufen, wenn es angeboten wird. Wer weiß, wie lange es noch Lagerbestände von Minkoff-Ausgaben gibt!

Miguel Yisrael hat die Couperin-Ausgabe bearbeitet und ihm ist mit seiner Transkription ein Experiment geglückt. Er hat sich in die Kollegen und Zeitgenossen von Couperin, de Visée oder Forqueray hineingedacht und hat das getan, was die Musiker am Hof des Sonnenkönigs auch getan haben. Er hat ein Stück Musik, das ihm gefallen hat, für sein Instrument eingerichtet … und damit hat er unversehens ein reizendes originales Stück Lautenmusik geschrieben. Weil es die Kollegen vor dreihundert Jahren auch so gemacht hätten!

Joël Dugot, Direktor der Cité de la Musique in Paris hat der Ausgabe ein kluges Vorwort mit auf den Weg gegeben. Offenbar haben ihm „Baricades Mistérieuses“ auch gefallen!