Giuliani pop

Roland Dyens: Concerto Métis with String Orchestra … and selected works
Enno Voorhorst, Gitarre; The String Soloists
Aufgenommen: September 2017, erschienen ℗ 2018
Gitarre: Simplicio 1927, Kopie von Federico Sheppard

COBRA RECORDS COBRA 0066, im Vertrieb von Klassik Center Kassel
… auf der ganzen Welt berühmt …

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Enno Voorhorst Roland DyensIch habe über seinen Tod berichtet — und oft über seine Konzerte, seine Kompositionen und über Gelegenheiten, wo wir uns getroffen haben … irgendwo auf der Gitarrenwelt. Nie in Paris oder in Köln, dafür in San Diego, New Orleans, Kraków und anderswo. Roland Dyens ist am 29. Oktober 2016 gestorben. Er war mein Freund … nein mehr: Roland Dyens war der Freund aller Gitarristen, Musiker und Musikfreunde. Roland war Kosmopolit und er war Franzose. Roland war der klassischen Musik verbunden und gleichzeitig dem Chanson und dem Jazz.
Enno Voorhorst hat jetzt eine CD mit Werken von Roland Dyens herausgebracht: das „Concerto Métis“, der zweite Satz aus dem „Concerto en si“ („Sérénade“) und solistische Kompositionen – gipfelnd in seinem sicher bekanntesten Stück, dem „Tango en Skaï“. Spätestens diese Petitesse hat ihn auf der ganzen Welt berühmt gemacht – erst als Zugaben-, dann als Repertoirestück. Tout-Paris hat den Tango gespielt, und Roland freilich auch. Hier, auf der CD von Enno Voorhorst, kann man ihn mit Orchester hören, was dem Stück natürlich eine neue Dimension gibt.
Saudades N°1 bis N°3 gibt es auf der CD zu hören – mit weniger Weltschmerz übrigens, als João Gilberto in seiner „Chega de Saudade“ zum Ausdruck gebracht hat, dem vielleicht ersten Bossa-Nova überhaupt. Später hat Agustín Barrios seine „Chôro da Saudade“ geschrieben und gespielt.
Roland Dyens trifft die Stimmung, die das Wort „Saudade“ umschreibt, sehr genau – es ist von einer Jury, bestehend aus Linguisten und Dolmetschern, in der „Liste der unübersetzbaren Wörter der Welt“ auf „Platz 1“ gewählt worden. Gut, dass uns Komponisten wie Roland Übersetzungshilfen geben … selbst, wenn auch die nicht übersetzbar sind.

 Enno Voorhorst ist mit der Musik von Roland Dyens per Du, das wird einem beim Hören seiner neuesten CD rasch deutlich. Überhaupt findet er leicht Zugang zu den jeweiligen Werken, die er als Interpret bearbeitet. Von interpretatorischen Eigenheiten, wie Gitarristen sie oft angenommen haben, ist er weit entfernt – er dient der Musik und nicht ausschließlich oder mindestens überwiegend sich selbst oder seinem eigenen Ruhm und Ansehen … wie zahlreiche Kollegen. Beispiele: Werke von Komponisten, die mit der Spieltechnik der Gitarre vertraut, selbst also Gitarristen sind, enthalten – selbstverständlich, möchte man fast sagen – Passagen, in denen die Gitarre, das Medium, nach allen Möglichkeiten ins rechte Licht gerückt wird. Ihre Schöpfer kennen die idiomatischen Möglichkeiten und Grenzen Ihres Instruments und nutzen sie. Da werden Läufe und Figuren so auf das Griffbrett gelegt, dass sie leger in hoher Geschwindigkeit präsentiert werden können. Andere Passagen – solche, die melodiebetont sind – werden von den genannten Komponisten natürlich in die „Schokoladenlagen“ des Griffbretts gelegt, die also, in denen das Instrument ohne großen Aufwand glänzend klingt – beispielsweise ①–③/V–VII (Saiten 1—3, Lagen fünf bis sieben). Das hat Segovia schon gewusst und genutzt … und jetzt kommt er, der langen Rede kurzer Sinn: Es gibt Gitarristen (zu denen Enno dezidiert nicht gehört, im Gegenteil!), die solche Passagen für sich nutzen, auskosten und schließlich falsch gewichten. „Schnell“ gehört nicht an Stellen, wo „schnell“ geht, „schnell“ gehört an Stellen, wo der Komponist „Schnell“ wollte oder will. Das Gleiche gilt für „süß“ oder „schnulzig“. Der große Andrés Segovia hat oft da „süß“ oder „schnulzig“ gespielt, wo sein Instrument es hergegeben hat. Aber das – bitteschön! – ist so etwas, wie eine Zufallsinterpretation und heute heruntergekommen zu einer Art „historischer Aufführungspraxis“ … „historisch“ insofern, als immer noch viele spielen, wie zu Don Andrés‘ Zeiten! Sie wissen wovon ich rede?
Enno Voorhorst! Er ist eine Art Muster für werkdienliche Interpretationen. Er will nicht glänzen mit dem, was er da spielt – auch, wenn er es oft tut – und er ist auch kein musikalischer Altruist. Aber er weiß, was er da vor sich hat, Partituren nämlich, bei denen die Komponisten jede Note, jeden Strich und jeden Atemzug vorgedacht und aufgeschrieben haben. Und er nimmt das, was die Komponisten da liefern, ernst. Dass er diese Roland Dyens-CD herausgebracht hat, dafür müssen wir ihm danken! Wie gesagt: Roland war unser Freund!