Molinaro: Danze e Fantasie da
Intavolatura di Liuto Libro I, Venezia 1599
Ugo Nastrucci, lute
Aufgenommen im März 2017, erschienen ℗ 2019
Laute: 8chörige Laute von Matteo Baldinelli, Assisi 2016
BRILLIANT CLASSICS 95401
… vergleichsweise schwerfällig und recht wenig göttlich …
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Ugo Nastrucci selbst hat die sleeve-notes zu seiner CD geschrieben … und er hat – schon, wo es um Angaben zur Biographie des Lautenisten und Komponisten Molinaro geht – überraschend Neues herausgefunden und vor seinen Hörern und Lesern ausgebreitet. Zum Beispiel ist lange behauptet worden, Molinaro sei 1615 oder 1616 gestorben und er sei Priester gewesen. Nastrucci weist nach, dass Molinaro erst 1636 gestorben und am 16. Mai des gleichen Jahres in der Genueser Kirche San Siro beerdigt worden ist. Priester war er nicht, sondern – glücklich, wie es heißt – mit einer Geronima de Franchi verheiratet, der Witwe eines Edelmanns namens Paolo Battista Aicardi.
Simone Molinaro war „artis musicae eximiis doctor“ und schließlich Kapellmeister am Palazzo Ducale im Auftrag der höchsten politischen Instanz der Republik Genua. Angeredet wurde er mit „magnifico“.
Molinaro war Neffe von Giovanni Battista della Gostena, der in Wien bei Philippe de Monte ausgebildet worden war und dem man einen großen Einfluss auf Molinaros Karriere nachgesagt hat (siehe hierzu Claudio Sartori: Art. Molinaro, Simone, in: MGG1/Bd. IX, Sp. 434–435). Ob dem so war, ob Molinaro seinem Onkel della Gostena also wirklich so viel verdankte, lässt sich nach dem heutigen Wissensstand nicht mehr nachweisen. Was wir wissen, ist, dass Molinaro neben seinem Band mit Lautentabulaturen, diverse Vokalwerke komponiert und herausgegeben hat, die bei namhaften Druckern und Verlegern erschienen sind. 1613 hat er zudem eine Ausgabe der sechs Bände mit fünfstimmigen Madrigalen von Gesualdo da Venosa betreut, die er offenbar dem Genueser Publikum ans Herz legen wollte.
HIC ET NUNC aber geht’s um die Lautenkompositionen, die uns von Simone Molinaro überliefert sind. Ein Band von 1599 ist es, von dem übrigens 1978 ein Faksimile, herausgegeben von Orlando Cristoforetti im Verlag SPES (Studio Per Edizioni Scelte) in Florenz erschienen ist. Einzelsätze daraus sind immer wieder in Schallplatten-Anthologien aufgenommen worden aber auch reine Molinaro-Einspielungen sind erschienen. Zum Beispiel hat Paul Beier eine davon herausgebracht [NUOVA ERA 6923], eine weitere Yasunori Imamura [HARMONIA MUNDI HM 825-2] und schließlich möchte ich besonders die Aufnahme von Paul O’Dette herausstreichen. Er, Paul O’Dette, hatte immer schon eine besonders frische, besonders jugendlich-virtuose Art, sich der Lautenmusik des 16. Jahrhunderts zu nähern … wobei man die Vokabel „virtuos“ bitte nicht missverstehen mag. Gemeint ist keineswegs jenes sportive Rasen und Rennen, das in der musikalischen Interpretation rund dreihundert Jahre nach Molinaro Einzug gehalten hat und seitdem kaum auszurotten ist.
Nein, gemeint ist das Spiel, das Francesco da Milano vermutlich den Beinamen „il divino“ eingebracht hat: „der Göttliche“. Auf Darmsaiten – anderes Saitenmaterial hatten die Lautenisten zur Zeit Molinaros nicht – war ein Spiel, bei dem Tempo und Laustärke im Vordergrund standen, nicht möglich. Auch mehr oder weniger durchgehendes Legato konnte man kaum spielen – all das ist auf den modernen Nylonsaiten möglich, auch auf modernen Darmsaiten, die robuster und belastbarer sind, als die, die Ende des 16. Jahrhunderts angefertigt wurden.
Ugo Nastrucci spielt a=440 Hz und benutzt vermutlich Nylonsaiten. Die Leichtigkeit, die ich eben in Paul O’Dettes Spiel hervorgehoben habe, geht seinem leider ab. Ugo spielt vergleichsweise schwerfällig und recht wenig göttlich. Von einem Bemühen um Legato – zugegeben, das ist ein hehres Ziel, aber auf einem Zupfinstrument wie der Laute sehr schwer zu realisieren – merke ich wenig. Überhaupt fehlt mir Sanglichkeit!
Molinaros Lautenwerke entstanden, als sich am Komponieren – ausgehend von Norditalien – Wesentliches veränderte. In dieser Wandlung spielten die Lauteninstrumente eine gewichtige Rolle. Das „Urinstrument“, die Laute selbst, der Chitarrone und die Theorbe bekamen mit der Monodie und der Oper neue Bedeutung, weil sich ein paar Musiker – Literaten und Künstler der Florentiner Camerata – in einer Idee von „Historischer Aufführungspraxis“ zusammengetan hatten. Man wollte die „Oper des antiken Griechenlands“ wiederbeleben und hatte den Eindruck, dass die Lauteninstrumente ihrer Zeit dem historischen Vorbild am nächsten kamen. Geboren wurde das, was wir Monodie nennen.
Die solistische Lautenmusik von Simone Molinaro – die jedenfalls, die wir in seinem Tabulaturbuch finden – enthält Saltarelli, Passamezzi, Gagliarden, diverse Fantasien und Tänze. Sein Spiel war virtuos und künstlerisch ausgeziert. Molinaro war ein großer Künstler seiner Zeit, kein Hasardeur und doch ein Virtuose.