Giuliani pop

Dowland First Booke of Songes and AyresJohn Dowland (1563–1626): First Booke of Songes or Ayres
Grace Davidson, soprano; David Miller, lute.

Aufgenommen im April 2016, erschienen ℗ 2018
Lauten: 7chörige Laute von Martin Haycock 1992 und 7chörige Laute von Michael Sprake 1979
SIGNUM CLASSICS RECORDS SIGCD553, im Vertrieb von NOTE1
… überzeugend und fesselnd …

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Grace Davidson ist nicht die erste Sängerin, die das komplette „First Book of Songes or Ayres“ von Dowland aufgenommen hat, meist werden allerdings Anthologien von Lautenliedern unterschiedlicher Komponisten zusammengestellt oder Lieder von Dowland – dann allerdings die anderen drei Bücher einbeziehend: „Second Booke“, „Third Booke“ und „Musical Banquet“.
Dowlands „First Booke of Songes or Ayres“ war, als es 1597 bei dem Londoner Drucker und Verleger Peter Short (on Bredstreet hill at the sign of the Starre) herauskam, ein sensationeller Erfolg. Es ist in fünf Neuauflagen erschienen, Textzitate findet man in Liedern zeitgenössischer Dichter und Komponisten und schließlich hat Dowland mit seinen Texten, die von Tränen und Melancholie geprägt sind, die Gefühlswelt einer Generation mindestens beschrieben, vielleicht aber auch geprägt.
Grace Davidson ist Sopranistin … und damit entspricht sie nicht meiner persönlichen Präferenz … ich höre englische Lautenlieder nämlich lieber von Tenören. Die Lieder sind ja (mindestens bei Dowland) so eingerichtet und veröffentlicht, „that all the partes together, or either of them severally may be song to the Lute, Orpherian or Viol de gambo“. Meine Vorliebe hat dabei nichts mit Frauenfeindlichkeit zu tun, mir scheinen die Texte nur, wenn sie aus Männerkehlen vorgetragen werden, besser verständlich zu sein … aber wie so oft: Heute ist alles anders! Grace Davidson singt unaufgeregt, klar und – ja! – mit enormer Textverständlichkeit, die ihr quasi in die Wiege gelegt worden ist, als sie in London geboren wurde. Dort, am Royal College of Music, hat sie auch studiert. Es ist die perfekt ausgewogene Mischung von Zurückhaltung und gesanglichem Vibrato, die ihre Interpretationen so überzeugend und fesselnd macht.


Grace Davidson singt keinerlei Ornamentierungen und entspricht damit mehr als einem Theoretiker der musikalischen Aufführungspraxis. Man kann da geteilter Meinung sein und tatsächlich sind auch zeitgenössische handschriftliche Einträge in Liederbüchern bekannt, die nahelegen, dass mindestens Versuche mit dem Verzieren von Gesangslinien unternommen worden sind. Da aber die Gegner jeglicher embellishments apodiktisch darauf bestehen, es sei nicht verziert worden, sollte man diese Haltung mindestens in Betracht ziehen – auch, wenn unwiderlegbare Beweise nicht vorliegen. Das in der englischen Lautenmusik der Zeit vorherrschende formale Prinzip A—A‘—B—B‘ usw. mit divisions spricht eigentlich für eine Vorliebe fürs Diminuieren und Verzieren, aber haben wir nicht gerade von Theresa May gelernt, dass man im Vereinigten Königreich Vorlieben vertreten und gleich danach ungestraft das Gegenteil fordern darf?
Grace Davidson jedenfalls hat uns eine sehr überzeugende Dowland-CD vorgelegt – ganz egal, wie unsere eigenen Vorstellungen auch sein mögen!
David Miller, der Lautenist der Aufnahme, muss hier natürlich erwähnt werden … auch, wenn er „nur“ der Begleiter ist. Es spielt makellos, ungeziert und uneigennützig.