Weiss in Nostalgia
Alex McCartney, Baroque Lute
Werke von Silvius Leopold Weiss
Aufgenommen im Juni 2018, erschienen ℗ 2019
Laute: 13chörige Laute von James Marriage, 2008; Laute von Klaus Jacobsen nach Leopold Widhalm, 2015
VETERUM MUSICA VM019, EAN 0–793611–630253
… The juice is credibly worth the squeeze …
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Das Label Veterum Musica in Glasgow ist klein. Sehr klein. Es bezeichnet sich selbst als „micro record label“ und ist – wie sein Name sagt – spezialisiert auf Aufnahmen mit Alter Musik, dargestellt von kleinen Ensembles und Solisten: „We specialise in recording small ensembles and soloists.“ Der Lautenist Alex McCartney gehört nicht nur zum „Stammpersonal“ des Labels, er hat es gegründet und er ist sein Spiritus Rector.
Die CD, um die es jetzt geht, enthält zwei Suiten von Silvius Leopold Weiss – beide aus der Londoner Weiss-Handschrift. Die frühen Lautenwerke des großen Silvius Leopold Weiss sind für elfchörige Laute überliefert, allerdings befand sich die Laute in einem ständigen Veränderungsprozess, der fast immer Besaitung und Stimmung betraf. Die Musiker der damaligen Zeit ließen nicht ständig neue, den veränderten Bedürfnissen angepasste Lauten für sich bauen, sie modifizierten die vorhandenen Instrumente entweder selbst oder ließen sie von Lautenmachern umbauen. Fast immer beschränkten sich die notwendigen Veränderungen auf Steg, Griffbrett und Wirbelkasten – Corpus und Decke, die beiden Bauteile, die höchstes Expertenwissen voraussetzen, blieben erhalten.
Alex McCartney spielt auf der CD dreizehnchörige Lauten … obwohl die Musik, die er präsentiert, eine Laute mit „nur“ elf Chören voraussetzt. „I have recorded these early Weiss suites on a 13 course lute, playing the additional bass strings as notated slightly later by period lute players (perhaps even Weiss, himself) in the MS, but also adding a few of my own choosing where it seemed appropriate, and with careful consideration oft he musical lines.“ Aber ist dies nicht der angemessenste Umgang, mit dieser Musik? Haben vor der Frage, wie sie mit den Wandlungen ihres Instruments, der Laute, umgehen sollten, nicht auch der große Silvius Leopold Weiss gestanden? Alex bittet regelrecht um Absolution dafür, dass er hie und dort einen Bass hinzugefügt hat, einen Bass, den auch sein Kollege Weiss gelegentlich bei seinen Zeitgenossen, die „modernere“ Lauten spielten, abgeguckt und hineintransponiert hätte? Es ist eine eher mutige Aufführungspraxis, der Alex McCartney hier entspricht und keine Verschwörung gegen die Harnoncourts unserer Zeit! Die Zeit der historisch orientierten Spielweise, bei der jede Phrase und schließlich jeder Ton erst mit einem Guru der Szene abgesprochen werden musste, ist zum Glück vorüber – auch die, als man auf der Bühne unbedingt selbstgestrickte Pullover und Socken und auf keinen Fall einen Frack tragen durfte. Dafür sind die Regeln, nach denen ältere Werke aufgeführt werden, mittlerweile zu sehr Allgemeingut geworden. Die Brandenburgischen Konzerte mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan kann man sich auch nicht mehr vorstellen.
Alex McCartney lebt uns die Musik von Silvius Leopold Weiss förmlich vor. Er spielt sie, als hätte er nie etwas anderes getan und sich nie mit anderer Musik beschäftigt, als mit dieser. Wie ein- und auszuatmen, das einem auch niemand beibringen muss. Er selbst schreibt im Booklet wie sein Umgang mit Silvius Leopold Weiss sich für ihn darstellt: „Playing Weiss, for me, often has the effect of feeling like the more effort I put in, the more I get out of it. To put it another way: the juice is credibly worth the squeeze.“ „The juice is credibly worth the squeeze,“ ein treffendes Wort!
Von Alex McCartney werden wir sicher noch hören – die Aufnahmen, die uns bisher vorliegen, sind jedenfalls vielversprechend! Sein Spiel klingt vertraut und zwar in fast jeglicher Hinsicht. Zwar neigen Lautenisten ohnehin selten zu virtuosen Exzessen – oder sagen wir besser so: Ihre Virtuosität spielt sich auf einer anderen Ebene ab, als beispielsweise die sportiver juveniler Gitarristen – und wenn Alex McCartney spielt, strahlt das durchgehend eine Eleganz aus, in der er nie und nimmer – auch nicht in den Momenten höchster musikalischer Ekstase – die Contenance verlieren könnte. Bravo!