Nocturnal – Jakob Lindberg, Lute
Werke von Anthony Holborne, Edward Collard, Daniel Bacheler, John Danyel, William Byrd, Benjamin Britten, John Dowland und John Johnson
Aufgenommen im August 2017, erschienen ℗ 2018
Lauten: 8-chörige Renaissance-Laute von Michael Lowe, 1982; 7-chörige Laute (in Mandora-Stimmung) von Michael Lowe, 1992
BIS-CD und SACD 2082, im Vertrieb von Klassik Center Kassel
… weniger aufgeregt und aufregend …
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Jakob Lindberg hat wieder einmal ein CD-Programm zusammengestellt, das originell und frisch wirkt … dabei hat man den Eindruck, nichts an Lautenmusik sei überliefert, was er noch nicht auf LP oder CD vorgelegt hätte. Gut, Benjamin Brittens „Nocturnal“ habe ich von ihm noch nicht gehört – weder auf der Gitarre, noch auf der Laute. Aber Bacheler und Johnson (zum Beispiel)? Ich würde mich wundern, wenn von diesen Meistern Stücke vorlägen, die wir von Jakob Lindberg noch nicht gehört haben! Und bitte, wenn ich Aufnahmen von Jakob Lindberg gehört habe, dann war das immer zu meinem und, wie ich annehme, zu unser aller großem Vergnügen!
Lindberg hat es einfach nicht nötig, die Kassenschlager des Repertoires immer wieder aufs Neue zu spielen … gemeint sind beispielsweise die Kompositionen in Robert Dowlands Anthologie „Varietie of Lute Lessons“. Nein, er spielt beispielsweise gerne Tänze und „airs and tunes“, mit denen er der englischen Lautenspiel-Kultur im frühen siebzehnten Jahrhundert näherkommt, als mit den Erzeugnissen der musikalischen Hochkultur … deren Exponenten er freilich auch spielt. Aber das oft anonyme Repertoire, das in den zahllosen englischen Lautentabulatur-Handschriften überliefert ist, die in Colleges und Bibliotheken aufbewahrt und gepflegt werden, spiegelt besser wider, was an Musik in den Häusern und nicht so sehr in Schlössern und Residenzen gepflegt und gespielt wurde.
Auf der jetzt vorliegenden CD hat Jakob Lindberg ein besonderes Werk in sein Programm aufgenommen, Benjamin Brittens Nocturnal op. 70. Es handelt sich dabei – Sie alle, Gitarristen und Lautenisten, werden das Stück kennen – um eine der Ikonen des Repertoires für Gitarre [sic], entstanden im 20. Jahrhundert. Sie ist auf Anregung von Julian Bream entstanden, der sie auch weltweit bekannt gemacht hat.
Julian Bream ist bekanntlich Lautenist und Gitarrist, er hat das Nocturnal allerdings (nur) auf der Gitarre vorgetragen … obwohl die Laute im Gefüge der Komposition durchaus eine Rolle gespielt hat und spielt. Das Nocturnal ist nämlich ein Satz von Variationen, denen als Thema das Lautenlied „Come Heavy Sleep“ von John Dowland zugrunde liegt. Das Thema hört man bei Britten allerdings nicht zu Beginn des Stücks, sondern am Ende der Komposition, die quasi auf „Come Heavy Sleep“ als Motto oder Basis hinarbeitet.
Man muss sich nun fragen, ob das Nocturnal – auf der Laute gespielt – der Version für Gitarre überlegen ist – klanglich vielleicht oder aufgrund anderer spieltechnischer Anforderungen. Die Version für Laute, die Jakob Lindberg selbst bearbeitet hat, klingt erwartungsgemäß „runder“, wärmer und in sich geschlossener – die Gitarrenversion spitzer und irgendwie virtuoser und präsenter. Mir gefällt die neue Fassung ob ihrer klanglichen Ausrichtung besser – aber das hängt sicher mit meinen allgemeinen musikalischen Präferenzen zusammen. Die Lautenversion des Nocturnal kommt mir irgendwie passender vor – aber vielleicht ist es auch Jakob Lindberg, der weniger aufgeregt – nicht aufregend! – spielt, als es Gitarristen oft tun?
Wie gesagt, Jakob Lindberg spielt gerne Tänze und „airs and tunes“ aus der eher volkstümlichen englischen Lautenmusik … und das hört man! Sie kommt einem nämlich, wenn er sie spielt, so vertraut vor, so selbstverständlich und natürlich, als er würde er nie etwas anderes spielen, als wären ausgerechnet diese Stücke seine alltägliche Beschäftigung.
Der Vogel übrigens, der die spartanisch dekorierte Titelseite der modernen CD ziert, ist eine Nachtigall. Sie, „the nightingale“ stand und steht symbolisch für Sangeskunst schlechthin und wird in zahlreichen Liedern – auch und vielleicht besonders in Lautenliedern der Zeit Dowlands und Holbornes – besungen.
Und nun: Was noch fehlt, ist das Hohe Lied auf Jakob Lindberg, den Lautenisten. Er hat eine besondere Vorliebe für englische Lautenmusik … aber das hat beispielsweise Paul O’Dette auch. Aber Paul hat zudem ein ausgeprägtes Faible für Virtuosität … das Jakob Lindberg unter Kontrolle hat. Englische Lautenmusik lebt ja bekanntlich weitgehend von dem Formmodell a-a‘-b-b‘, von Variationsfolgen also, und das lädt Interpreten naturgemäß zu virtuosen Kommentaren ein. Der eine nimmt die Einladung an, der andere nicht. Jakob Lindberg ist eher vorsichtig. Es ist ein Vergnügen, ihm zuzuhören … vor allem, wenn er so stimmige und in sich geschlossene Programme präsentiert, wie heute.