Mozzani, Respighi: Complete Music for Guitar
Giulio Tampalini, Guitar
Aufgenommen im April 2016, erschienen ℗ 2017
Gitarre: „Luigi Mozzani“ aus dem Besitz von Andrés Segovia (1936)
BRILLIANT CLASSICS 95230
… offen für Details und fürs Ganze …
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Luigi Mozzani (1869–1943) war nicht nur Gitarrist und Komponist, er war außerdem oder gar eigentlich ein ingeniöser Gitarrenkonstrukteur, der zu einer Zeit tätig war, als allenthalben am Idealtypus einer klangvolleren und vor allem lauteren Gitarre gearbeitet wurde … klangvoller und lauter, als es die Überbleibsel der klein mensurierten Gitarren der Zeit Regondis oder von Caspar Joseph Mertz waren. Das Instrument sollte endlich einen Stammplatz im Kanon der Kulturinstrumente erobern und sichern … und dafür musste es auch in größeren Konzertumgebungen wahrnehmbar sein.
Größere Gitarren wurden gebaut und solche mit zusätzlichen Saiten und voluminösen Klangkörpern. Außerdem war inzwischen der spanische sechssaitige Gitarrentyp von Antonio de Torres bekannt, der sich sehr schnell durchsetzen sollte und zum Standard wurde. Mozzani selbst soll, wie Angelo Gilardino im Booklet der CD berichtet, den neuen Gitarrentyp in Italien gefördert und empfohlen haben — auch bei den einflussreichen Instrumentenmachern Giovanni Battista Guadagnini zum Beispiel und bei Gennaro Fabricatore.
Allerdings kennen wir Luigi Mozzani hauptsächlich wegen der großen, vielsaitigen Harfengitarren, die er „Chitarra-lyra“ nannte … aber vermutlich sind uns vornehmlich diese Instrumente und zwar wegen ihrer monströsen Bauart in Erinnerung. Mozzani hat sie erdacht, entwickelt und auf der ganzen Welt gespielt. Er hat sich mit ihnen fotografieren lassen … selbst gebaut hat er sie allerdings nie. Mozzani war kein Instrumentenbauer, unterhielt aber mehrere Werkstätten in Cento, Bologna und Rovereto, wo unterschiedliche Zupfinstrumente hergestellt wurden.
Luigi Mozzani ließ sich mit seinen Gitarren fotografieren, außerdem wird er ihretwegen in der neueren Spezialliteratur erwähnt und gepriesen. Giovanni Intellisanos Buch „Mozzani – Un Liutaio e la sua Arte“, Cento 1990, bildet zahlreiche Mozzani-Gitarren ab – etliche davon vom Konstrukteur selbst gespielt.
Die vorliegende CD hat Giulio Tampalini auf einer Gitarre aus dem Besitz von Andrés Segovia eingespielt, die den Namen (oder vielleicht die Typbezeichnung?) „Luigi Mozzani“ trägt. Sie ist, so schreibt Angelo Gilardino, der sich intensiv mit dem Nachlass Segovias befasst hat, 1936 in Mozzanis Werkstatt in Bologna angefertigt worden und hat Segovias berühmte Gitarre von Ramírez-Hernández (1912) ersetzt. Segovia kannte Luigi Mozzani – das geht aus der Widmung hervor, die er auf ein Künstlerfoto an Mozzani geschrieben hat (s. Giovanni Intellisano S. 75). Außerdem ist dort (S. 76) der Briefwechsel Segovia—Mozzani in Faksimile wiedergegeben.
Das Buch von Giovanni Intellisano ist zwischenzeitlich in einer neuen Auflage herausgekommen und diese neue Edition enthält eine CD … auf der es leider keine Originalaufnahmen von Mozzani persönlich zu hören gibt, sondern ausschließlich Einspielungen, die nach 1943 entstanden sind.
Zu hören gibt es auf Tampalinis CD 18 Einzelkompositionen, neun Studien und sechs Capriccios für Gitarre solo von Luigi Mozzani. Die genannten Stücke sind 1995 in einer praktischen Ausgabe bei Bèrben in Ancona erschienen, nachdem sie bis dahin von den Gitarristen eher vernachlässigt worden waren. Giulio Tampalini spielt brillant und distanziert; offen für Details und fürs Ganze; überlegen! Was er musikalisch abliefert, ist insofern an Erkenntnissen der Aufführungspraxis orientiert, als Tampalini eine Gitarre aus der Werkstatt von Mozzani spielt. Wie der gefeierte Gitarrist Mozzani vor knapp hundert Jahren auf dieser Gitarre gespielt hat, wissen wir nicht im Detail und naturgemäß nicht aus Erster Hand. Vieles muss man heute aus Büchern, Aufzeichnungen, Abbildungen und anderen Materialien rekonstruieren, vieles ergibt sich aus den Partituren, die zum Glück bearbeitet vorliegen.
Und dann gibt es auf der CD noch eine Komposition von Ottorino Respighi (1879–1936): „Variazioni per chitarra“. Respighi kennen wir hauptsächlich als Komponisten seiner „Römischen Trilogie“, bestehend aus „Fontane di Roma“, „Pini di Roma“ und „Feste Romane“ … aber Gitarrenmusik? Die Variationen, die hier gespielt werden, waren bis 1993 völlig unbekannt, dann tauchte das Manuskript in Mozzanis Archiv auf. Respighi hatte keine Beziehung zur Gitarre, allerdings haben ihn Tabulaturen und Gitarrenmusik fasziniert, das war in seinem engeren Umfeld bekannt. Dann schließlich hat er Mozzani kennengelernt, der wie er gegen Anfang des 19. Jahrhundert in Bologna gelebt hat. Vielleicht hat er von ihm das nötige Rüstzeug bekommen, um seine Variationen zu schreiben, die dann fast hundert Jahre verborgen in Mozzanis Archiv gelegen haben und 1996 bei Ricordi in Mailand herauskamen. Jetzt jedenfalls liegt die einzige überlieferte Komposition, die Ottorino Respighi für Gitarre geschrieben hat, in Noten vor.