Giuliani pop

Besprechung aus: Gitarre & Laute-PRINT, XXIX/2007, Heft 5–6, S. 41, geschrieben im September 2007, hier (in Gitarre & Laute-ONLINE) unverändert neu veröffentlicht am 21. August 2018. 

Gitarrenduos des Barock NiehusmannGitarrenduos des Barock
Niehusmann Gitarren Duo
Aufgenommen im Juli und Oktober 2006, erschienen
℗ 2008
NAXOS 8.551264
… Protokoll eines sehr interessanten Versuchs …

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Johann Sebastians Bachs Suite A-Dur für Violine und Klavier hat viele Jahre Wissenschaftlern und Musikern Rätsel aufgegeben. Schon Wolfgang Schmieder schrieb 1950 in seinem „Thematisch-Systematischen Verzeichnis der Musikalischen Werke von Johann Sebastian Bach“ (BWV) „Echtheit angezweifelt“, als es um dieses Werk ging. Die Zweifel waren berechtigt, darüber besteht heute Gewissheit: Der Cembalopart ist von Silvius Leopold Weiss und Bach hat die Violinstimme dazukomponiert, wie dessen Sohn Carl Philipp Emanuel schon durch den Eintrag „Trio fürs obligate Clavier und eine Violine von J. S.Bach“ auf der Handschrift angedeutet hatte.

Dies ist das eine Werk dieser CD. Das andere ist eine Suite, über deren Urheberschaft es nie einen Zweifel gegeben hat. Sie steht in Tabulatur in der monumentalen Handschrift Add. 30 387 der British Library in London, bekannt als das „Londoner Weiss-Manuskript“, einer der wichtigsten Quellen für die Musik dieses Komponisten.

Zu dieser Suite hat nicht Johann Sebastian Bach sondern Volker Niehusmann eine Stimme hinzukomponiert. Die Frage, ob die Weiss-Suiten durch das Hinzukomponieren zweiter Stimmen gewonnen haben, oder ob es sich nur um Launen handelt, die aus Liebe zum Spiel und zum improvisatorischen Umspielen entstanden sind, verbietet sich allein durch die Tatsache, dass in einem Fall der große Johann Sebastian Bach an dem kompositorischen Prozess beteiligt gewesen ist. Und doch ist sie erlaubt, hat doch Bach ein Streichinstrument hinzukomponiert und nicht ein weiteres Zupfinstrument mit einem punktuellen Ton. Das Kombinieren zweier solcher Instrumente ist ein Problem – das weiß jeder, der sich einmal in einem Gitarrenduo oder gar einem Zupforchester versucht hat. In der Weiss/Bach-Suite hat das Niehusmann-Duo dabei auf einer Seite eine Oktavgitarre eingesetzt und das erweist sich als sehr geschickte Besetzungsalternative, denn so wird das Klangspektrum weiter und vor allem füllt die hinzugekommene, umspielende Gitarre auf diese Art die klangliche Rolle der Violine als „Kommentar von außen“ besser aus. Sie ist Teil des musikalischen Geschehens und doch unverkennbar etwas Eigenes und hinzukomponiert.

Bei der Suite für zwei gleiche Gitarren vermischt sich der Klang, man kann das eine nicht vom anderen trennen. Bei aller Faszination, welche der Versuch der Weiss/Niehusmann-Suite auf mich ausübt – ich muss gestehen, dass ich nicht mit allem und überall glücklich oder nur einverstanden bin. Parallele Stimmführungen wie zum Beispiel gleich zu Beginn des Préludes, sind überflüssige Beigaben, dagegen gefällt mir das Perpetuum Mobile als Impulsgeber in der Courante. Man kann über vieles disputieren und auch streiten, aber insgesamt ist mit dieser CD das Protokoll eines interessanten und ästhetisch befriedigenden Versuchs vorgelegt worden, der, so spekulativ er auch sein mag, sehr wohl mit den Forschungen zum Thema Aufführungspraxis übereinstimmt … wie das Beispiel Johann Sebastian Bachs belegt.