Wenn man über Jahre in der Gitarrenwelt zuhause ist, lernt man viele Menschen kennen: Musiker und solche, die es werden wollen; Komponisten; Redakteure; gescheite und weniger kluge Menschen; kultivierte und tumbe Weltenbürger; Leute, zu denen es einen hinzieht und solche, um die man einen großen Bogen macht. Und wenn man professionell die Gitarrenwelt bereist, hat man nicht einmal die Wahl, den einen oder anderen zu mögen oder nicht zu mögen ... schließlich sitzt man im selben Boot!
Aber man hat Meinungen und Präferenzen, auch wenn man die nicht gleich jedem zu erkennen gibt. Es gibt Musiker, die man immer schon bewundert hat und noch immer bewundert, weil sie einen mit dem einen oder anderen Konzert berührt haben, oder mit einer Platte, die man irgendwann gehört und die einen fasziniert hat. Es gibt Menschen, die einem aufgrund ihres abgeklärten Urteils imponieren und die man deshalb immer wieder gern sieht. Hier ist es eine eher sachliche, intellektuelle Ebene, auf der man sich trifft. Es gibt Kollegen, die mit einem universalen Wissen aufwarten, das fächerübergreifend wirkt und Phänomene miteinander in Verbindung bringt, die man vielleicht nie im Zusammenhang gesehen hätte ... und freilich gibt es Menschen, deren Gesellschaft man sucht, weil sie amüsant erzählen können; die viel erlebt haben und ihre Erfahrungen gern weitergeben ohne damit Indiskretionen zu begehen.
Vor zwei Tagen erreichte mich die Anzeige, dass ein Freund viel zu früh verstorben ist, dem ich mehr als gern auf meinen Gitarren- und auch sonstigen Reisen begegnet bin: O. Univ.-Prof. Dr. Leo Witzoszynskyj starb am 1. Oktober 2008 in Graz.
In Graz, werden Sie fragen, er war doch überzeugter Wiener. Stimmt! Aber er war auch ein sehr engagierter Lehrer - und als solcher Professor für Gitarre an der Universität für Musik in Graz ... und Professor h.c. der Musikakademie in Lemberg. Für seine Studenten hat er sich eingesetzt, für sie hat er gelebt, gearbeitet und gekämpft. Das Gleiche gilt für das österreichische Ausbildungssystem! Hier hat er sich engagiert und hier hat so manchen Streit ausgefochten ... nicht für sich, sondern für die Sache!
Denn er war nicht nur Musiker, seine Eltern hatten ihn gezwungen, „etwas Anständiges" zu studieren, bevor er sich der Musik widmete. Leo Witoszynskyj wurde Jurist - daher stammt sein Doktortitel. Als Professor an der Universität für Musik in Graz und der Akademie in Lemberg kämpfte er also als Musiker und Jurist - als Fachmann in mehrerlei Hinsicht!
Virtuose, Klangzauberer, Bühnenmensch war er nie ... aber Musiker war er immer. Mit billigem Firlefanz wollte er seine Konzertbesucher nicht fangen, nicht mit „süßem Gift", wie er die Musiken gern nannte, die mit wenig Aufwand viel Show hermachen. Nein, Musik war für Leo Witoszynskyj ein zwar sinnliches, aber auch ein in hohem Maß intellektuelles Vergnügen! Die österreichischen Komponisten des 20. Jahrhunderts und ihre Werke lagen ihm am Herzen ... und auch andere, die nicht in jedem Wettbewerb gespielt werden. Leo Witoszynskyj litt darunter, dass das große Repertoire für Gitarre immer stärker eingekocht wird, reduziert auf die Erfolgsnummern, und dass immer weniger Gitarristen den Mut und die Kraft haben, gegen den Strom zu schwimmen.
Aber Leo Witoszynskyj war kein Nonkonformist, der nur durch Dinge auffallen wollte, die man sonst nicht hörte, sah oder spürte. Nein, überhaupt nicht! Er war auch kein Revoluzzer oder jemand, der durch seine Leidenschaft für Ungesehenes oder Unerhörtes auffallen wollte - er war jemand, der einen ausgeprägten Sinn für Qualität hatte. Er erkannte sie und wollte sie herausstellen und bewahren -- auch, wenn sie sonst kaum Anhänger fand. Nicht die Wirkung, die Qualität war es, die ihn interessierte und beflügelte. Nie der Effekt.
Sein Buch „Cantabile e ritmico: Über die Kunst des Gitarrespiels" [ Wien 2003, Doblinger] trägt diese Widmung: „Im Gedenken an Alfred Uhl, Stefan Zweig und Viktor E. Frankl allen Musik liebenden Menschen mit fragendem Sinn." Alfred Uhl (1909-1992) war Komponist, der auch ein paar Stücke für Gitarre geschrieben hat, Stefan Zweig (1881-1942) Schriftsteller und Viktor Emil Frankl (1905-1997) Neurologe und Psychiater - alle drei waren Wiener und alle drei hatten ihn, den fragenden Sinn, der auch Leo Witoszynskyj auszeichnete.
Leo Witzoszynskyj hinterlässt seine verehrte Frau Elli und seine beiden Söhne Nikolaus und Christoph, eine große Studentenschaft und viele Freunde, die ihm nicht zuletzt auch wegen seiner Großzügigkeit und Herzlichkeit zugetan waren und sind.