Perpetual Night: 17th Century Ayres and Songs
Lucille Richardot, Ensermble Correspondances, Sébastien Daucé
Werke von Johnson, Lawes, Coprario, Ramsey, Lanier, Banister u.a.
Aufgenommen im Juli 2017, erschienen ℗ 2018
Im Vertrieb von Harmonia Mundi HMM 902269
… nimmt einen vom ersten Moment an für sich ein …
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Wunderbar, Lucile Richardot, Mezzosopran, nimmt einen vom ersten Moment an für sich ein und zwar ob ihrer ebenso kraftvollen, makellosen wie ausgewogenen Stimme und der Entschiedenheit, mit der sie die Ayres und Songs vorträgt, um die es heute geht. Diese sind nicht – auch, wenn man das leichthin vermuten mag – in direkter stilistischer Nachfolge der Elizabethanischen Lautenlieder von John Dowland oder Thomas Morley entstanden. Schließlich war „1610 […] a turning point for English music“, wie Peter Holman im Booklet der CD schreibt, oder:„1610 fut une année charnière pour la musique anglaise.“ „Charnière“ … das ist nicht nur ein Scharnier, es ist auch ein Wendepunkt, eine grundsätzliche Neuorientierung.
Die ersten Dezennien des neuen siebzehnten Jahrhunderts brachten allenthalben für die Entwicklung der Musik und des Komponierens tiefgreifende Veränderungen mit sich, die für die nächsten – sagen wir – hundertfünfzig Jahre bestimmend bleiben sollten. Von Italien ging die Mode aus, solistischem Gesang nur Basslinien beizugeben, mithilfe derer auf Theorbe oder anderen langhalsigen Lauteninstrumenten und in beinahe beliebigen anderen Besetzungen Begleitungen improvisiert wurden. Der Generalbass war „erfunden“, mit ihm beispielsweise die Monodie und schließlich die Oper.
Die Kompositionen jedenfalls, die uns Lucile Richardot und das Ensemble Correspondances auf Ihrer CD präsentieren, stammen aus der Zeit nach Elizabeth I. (1533/1558–1603), als James I. (1566/1603–1625) die Geschicke des Königreichs bestimmte, Aber Henry Frederick Stuart, James‘ ältester Sohn, der im Juni 1610 zum Prince of Wales Ernannte, war der kunstbeflissene und Neuem aufgeschlossene Thronfolger, der an dem, was in Italien künstlerisch vor sich ging, sehr interessiert war. Seinen Musikern stand der „Italo-Brite“ Alfonso Ferrabosco jr. (1575–1628) vor, der den italienischen Stil freilich nicht entwickelt und auch nicht nach England gebracht, der ihn dort aber verbreitet hat. Ferrabosco war der illegitime Sohn von Alfonso Ferrabosco sen. (1543–1588), der – so jedenfalls wurde gemunkelt – nicht nur als Musiker für Königin Elizabeth I. gearbeitet hat, sondern auch als Spion. Immerhin: Bekannt ist Alfonso Ferrabosco jun. dafür, das italienische Madrigal nach England gebracht und die Form dort bekannt gemacht zu haben.
Nur die „Perpetual Night“, die ewige Nacht, ist als beherrschendes Sujet von den Dichtern und Komponisten der englischen Lautenlieder übernommen worden. Nicholas Laniers (1588–1666) Lied „No more shall meads“ ist allerdings – Peter Holman weist darauf hin – ein wunderbares Beispiel für die „Italien-Affinität“ der Musik am Hof König James‘ II. (als solcher ist Henry Frederick Stuart 1625 zum König gekrönt worden). Dem Lied liegt nämlich eine Passacaglia zugrunde, die wir zuerst in italienischen Gitarrentabulaturen gefunden haben … und Nicholas soll – nebenbei bemerkt – der Erste gewesen sein, der in England italienische (fünfchörige) Barockgitarre gespielt hat.
Das siebzehnte war ein Jahrhundert des kulturellen Austauschs. Der dreißig Jahre währende und ganz Europa überziehende Krieg spielte dabei eine Rolle – war aber hauptsächlich existenziell bedrohlich. Trotzdem haben sich italienische und englische Musiker lebhaft ausgetauscht und die „neue Musik“ von einem Land ins andere gebracht, von einem Hof an den nächsten. Lucile Richardot und das Ensemble Correspondances [sic] führen uns vor, wie gründlich sich die höfische Musik Englands verändert hat. Heute hören wir ausschließlich englische Ayres and Songs von englischen Dichtern und englischen Komponisten … die aber leicht und elegant mediterran duften.
Und schließlich: Dass diese CD hier, bei Gitarre & Laute-ONLINE, besprochen wird, verdankt sie dem Mitwirken mindestens zweier Instrumentalisten. Thibaut Roussel spielt Theorbe, Gitarre und Tiorbino, Diego Salamanca Theorbe und Arciliuto. Sie, zusammen mit weiteren Instrumenten und Instrumentalisten, bilden die Continuo-Gruppe, die den Liedern beigegeben und die für die feine, instrumentale Basis verantwortlich ist. Und noch einmal ein Wort über Lucile Richardot: Sie ist eine besondere Sängerin und speziell ausgerichtet auf Alte Musik. Immer wieder ist auch hier diskutiert worden, ob und wie weitgehend der solistische Gesang mit Verzierungen durchsetzt werden kann, darf und und soll. Hier sind schon prominente Sänger zu Wort gekommen, die gesangliches Ausschmücken ganz abgelehnt haben; Lucile verziert ziemlich generös und üppig und sie tut das so geschmackvoll und stilsicher, dass man sich keine ernsthaft ablehnende Kritik an ihren Gesangskünsten vorstellen kann. Im Gegenteil: Sie nimmt einen vom ersten Moment an für sich ein!