Giuliani pop

Napoleon Coste CD APROFlávio Apro plays Napoleon Coste
Aufgenommen im Juni 2015, erschienen ℗ 2016
Gitarre: Sérgio Abreu
BRILLIANT CLASSICS 95255
… er glänzt auch durchaus musikalisch …

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Flávio Apro ist Brasilianer. Bekannt ist er, so heißt es jedenfalls im Booklet, als Gitarrist, Produzent, Forscher und Lehrer. Bei Brilliant Classics hat er jetzt seine zweite CD herausgebracht – eine Sammlung mit „Romantic Guitar Miniatures“ ist bereits 2014 im gleichen Label unter dem Titel „Nocturne“ erschienen.
Dieses Mal bekommen wir den Zyklus „Vingt cinq Études de Genre“ von Coste zu hören, dazu die „Grande Sérénade“ op. 30 – zwei Werke also, bestehend aus insgesamt dreiunddreißig Einzelsätzen. Was die Etüden angeht, gehören sie zum Standardspielmaterial – als Etüden allerdings und weniger als Vortragsstücke. In der undatierten Edition der Etüden im Münchener Verlag „Der Gitarrefreund“ heißt es: „Die Werke Coste’s sind im Handel vollständig vergriffen. Mit dem Neudruck des vorliegenden Werkes glauben wir den Gitarrespielern einen Dienst zu erweisen, da es für Studienzwecke unumgänglich notwendig ist und ein abgeschlossenes Studium ohne Kenntnis dieses Werkes undenkbar ist, andererseits aber enthält es auch Stücke von so hohem musikalischen Wert, und solcher Schönheit, daß es für jeden ernsten Gitarrespieler zu einer Quelle wertvoller Gitarremusik wird.“

Was Flávio Apros Interpretation der Coste-Etüden angeht, ziehe ich – wie in der Branche üblich – die Etüde Nº 23 (Allegro Moderato) und da besonders die legendäre Aufnahme von Miguel Llobet aus den Jahren zwischen 1925 und 1929 als Vergleich heran. Diese Etüde wirkt auf den ersten Blick als spieltechnisch durchaus realisierbar – bei genauerer Betrachtung und bei Erreichen eines angemessenen Tempos stellt sie sich aber als sehr anspruchsvoll heraus. Llobet hat sie zweimal auf 78-rpm-Platten aufgenommen, einmal bei Parlophon Electric in Barcelona und einmal bei Odeon in Argentinien. Beide historischen Aufnahmen sind 1991 bei Chanterelle in Heidelberg auf CD herausgekommen (Chanterelle Historical Recordings CHR 001) Auf den beiden Aufnahmen der originalen Labels heißt das Stück – anders, als in den vorhandenen Notenausgaben – „Studio Brillante“. Ronald Purcell, der Herausgeber der Chanterelle -Edition schreibt im Booklet: „Studio Brillante op. 38 Nº 23 by Napoléon Coste (1805–83) has become a technical tour de force for guitarists since Llobet made this recording.
Eine technische Schwierigkeit des Stücks ist in den ostinaten Bassfiguren verborgen, die wegen der eingestreuten Pausen quasi durchgehend staccato zu spielen sind. Weder Miguel Llobet noch Flávio Apro dämpfen konsequent sämtliche notierten Pausen und da sie das auf vergleichbare, wenn nicht gleiche Art tun, glaube ich, davon ausgehen zu können und zu dürfen, dass Apro die – wie gesagt – legendäre Aufnahme von Llobet gekannt hat, bevor seine eigene entstanden ist. Die Etüde beginnt mit zwei Takten Bassostinato ohne die danach beherrschenden Sechzehntelfiguren im Diskant und schon diese beiden Takte offenbaren den legeren Umgang beider Interpreten mit den notierten Pausen.
Das zweite Werk der CD, die „Grande Sérénade“ op. 30, war Napoléon Costes Beitrag zum Kompositionswettbewerb von Nikolaj Petrovič Makaroff von 1856.Wir wissen, dass Coste mit seiner Serenade („nur“) den zweiten Platz belegte, während Caspar Joseph, damals noch Johann Kaspar Mertz, den Wettbewerb mit einem „Concertino“ gewinnen konnte. Aber Coste konnte mit seiner Serenade an den Erfolg, den er vorher in der Pariser Gesellschaft hatte, nicht wieder anknüpfen. Das Werk erschien noch als Notenausgabe in der „Freie[n] Vereinigung zur Förderungen Guter Gitarremusik“ in Augsburg … aber die Stücke waren spieltechnisch zu anspruchsvoll. Es gab nicht mehr genug Anhänger des Gitarrenspiels, die sich für so virtuoses Spielwerk interessierten und es sollte auch noch eine Zeitlang so bleiben … bis sich wieder eine Gesellschaft so innig mit der Gitarre befasste, dass man daran denken konnte, Werke des großen Napoléon Coste für Aufführungen wieder in Betracht zu ziehen.Napoleon Coste Etüden Rischel Birket Smith26 Kopie

Natürlich: Flávio Apro ist über alle Erwägungen zu den Themen Virtuosität oder technische Schwierigkeiten weithin erhaben … aber genau bei deren Beherrschung fängt ja das Musikersein erst an! Alles vorher ist Nichts als Handwerkszeug!
Flávio Apro, der übrigens nicht nur seinen Gitarrenbauer und Saitenfabrikanten im Booklet namentlich und dankend erwähnt, sondern auch seinen Friseur in Fullerton, hat nicht nur die Haare schön, nein, er glänzt auch durchaus musikalisch. Sein Spiel ist makellos … gelegentlich für meinen Geschmack zu glatt und ebenmäßig. Wir werden sicher noch von ihm hören!