Reusner: Erfreuliche Lauten-Lust
William Waters, Laute
Aufgenommen im Oktober 2016, erschienen ℗ 2017
11-chörige Laute (2015) von César Árias nach Hans Frei
BRILLIANT CLASSICS (2 CDs) 9242
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Esaias Reusner (1636–1679) wurde in Löwenstein in Schlesien (heute Polen) geboren. Zu der Zeit herrschte seit achtzehn Jahren Krieg und der sollte noch zwölf Jahre weitergehen. Als Reusners Mutter 1643 starb, zog Esaias mit seinem Vater nach Wrocłav (Breslau), weil der sich dort sicherer wähnte – ob er damit die Situation richtig eingeschätzt hat, wissen wir nicht. In Wrocłav blieb er jedenfalls bis 1648, als in Münster und Osnabrück der „Westfälische Friede“ unterzeichnet und damit der „Dreißigjährige Krieg“ beendet wurde.
Seine musikalische Ausbildung erhielt Esaias von seinem Vater, der auch Esaias hieß und der als Lautenist bekannt war. 1665 wurde Esaias jr. Lautenist am Hof der Herzöge von Brzeg, Legnica und Wolów. Zwei Jahre später erschien sein erster Tabulaturband „Delitiae Testudinis“. 1672 ging Reusner jr. nach Leipzig; wo er als Lautenlehrer an der Universität angestellt wurde und als Continuo-Lautenist unter anderem an der Thomaskirche spielte. Die nächste Anstellung führte ihn als Kammermusiker an den Hof von Friedrich Wilhelm von Brandenburg nach Berlin. Dort erschien 1676 auch Reusners zweite Sammlung von Lautenstücken: „Neue Lauten-Früchte“. Der Titel vorliegender CD „Erfreuliche Lauten-Lust“ nimmt Bezug auf die zweite Auflage von Reusners erstem Lautenbuch: „Delitiae Testudinis Oder Erfreuliche Lauten-Lust“ von 1668.
Reusners Lautenmusik wird bestimmt durch den unverwechselbaren „style brisé“, der von Nicht-Lautenisten auch „style luthé“ genannt worden ist, weil er typisch für den Lautenstil der Zeit war. Es handelt sich dabei um einen „gebrochenen Stil“, bei dem Mehrklänge oft in Einzeltöne aufgelöst werden und auf diese Art deutlich dichtere Strukturen und Tonfolgen ergeben. Diese Spiel- und Schreibweise der Lautenisten haben zeitgenössische Cembalisten und Pianisten übernommen … daher „style luthé“. Johann Jabob Froberger (1616–1667) gilt als der bekannteste zeitgenössische Pianist, der sich des „Lauten-Stils“ bedient hat.
Reusner hat Suiten komponiert – sie aber nie so überschrieben. Wir finden die typische Satzfolge mit Allemande, Courante, Sarabande und Gigue, gelegentlich auch mit Paduana oder Gavotte.
Esaias Reusner hat Veränderungen, die andere an seinem Instrument vorgenommen hatten oder vornahmen, übernommen und weitergeführt: Er war der erste Deutsche, der für die französische 11-chörige Laute in D-Moll und im „Style Brisé“ komponiert hat, so liest man im Booklet vorliegender CD von William Waters. Im 17. Jahrhundert haben vor allem französische Lautenisten ihre Instrumente mit immer mehr Bass-Saiten bezogen und dabei immer gewagtere Stimmungen verwendet, von denen eine – die in d-Moll – schließlich zu so etwas wie einer Standardstimmung wurde, zur „Barocklautenstimmung“, auch „nouvel accord ordinaire“ genannt. Mit der Vergrößerung der Saitenzahl, den neuen Stimmungen und der Erweiterung des Tonumfangs im Bassbereich waren Veränderungen in der Lautenkonstruktion und im Lautenbau notwendig geworden. Die Instrumente wurden größer mensuriert, weil tiefer klingende Töne größere schwingende Masse des Saitenmaterials voraussetzen – längere und/oder dickere Saiten also oder völlig neuartiges, mit dünnen Metallfasern umsponnenes Material, wie wir es von modernen Gitarrensaiten kennen. Im 17. Jahrhundert sind, wie wir wissen, allerdings noch blanke, also nicht umsponnene Darmsaiten verwendet worden … was Lautenbauer zu diversen Erfindungen angeregt hat, möglichst nur die Basssaiten zu verlängern. Schließlich sind tiefer klingende, also entweder dickere oder längere Saiten auf jeden Fall weniger schwingfähig, als dünnere oder kürzere. Das heißt, Lauten veränderten sich ungewollt in ihrer Spielbarkeit und ihrer Klangfarbe.
Die „Renaissance-Laute“ war noch klar, strahlend, verspielt und „virtuos“ – bzw., um genau zu sein, für Virtuoses einladend. Esaias Reusner jr. war der erste Deutsche, der für die französische 11-chörige Laute in d-Moll und im „style brisé“ komponiert hat.
Wenn man das Klangbild der Reusner-CD mit einer Aufnahme von Renaissance-Lauten-Musik vergleicht, dann, hört man ein Strahlen auf der einen, der Renaissance-Seite und ein eher gedämpftes Klangbild auf der anderen. Das hat freilich mit den beschriebenen unterschiedlichen Instrumenten zu tun, gleichzeitig aber auch mit den sich wandelnden musikalischen Vorstellungen der Lautenisten und Komponisten.
Die „Barocklaute“ war a priori voluminöser, behäbiger und irgendwie „gedämpfter“. William Waters schreibt in seinem Text zum Booklet: „Nevertheless, although his music is far from easy to play it is completely lacking in virtuosic display. There are no stunning scales, conspicuous chromaticisms, rigorous rhythms, trepidatious tempi or cunningly complicated counterpoints! He himself states in his introduction to ‚Delitiae Testudinis‘ that he has ever been drawn to the most quiet of musical expressions …“
William Waters ist Professor für Zupfinstrumente am Villa-Seca-Konservatorium in Tarragona. Seine Karriere hat er begonnen, indem er verschiedene internationale Musikwettbewerbe im Fach „klassische Gitarre“ als Gewinner beendete, darunter der „Concurs Internacional Andrés Segovia“ in Palma de Mallorca im Jahr 1981. An historische Zupfinstrumente ist er gekommen, weil er als Solist und Continuo-Spieler für verschiedene Ensembles verpflichtet worden ist, darunter das Lachrimæ-Consort, Paris. Soloplatten hat er nur wenige eingespielt – die aber mit nicht nur ausgesuchtem, sondern sogar erlesenem Repertoire. Sechssaitigen „modernen“ Gitarren verweigert er sich offenbar seit vielen Jahren mit Erfolg.