Giuliani pop

ORPHEUS ANGLORUMORPHEUS ANGLORUM: Lute Music by John Johnson and Anthony Holborne
Yavor Genov, Lute
Aufgenommen im Mai 2017, erschienen, ℗ 2018
Laute: Ivo Magherini nach Georg Gerle, Innsbruck ca. 1550
BRILLIANT CLASSICS 95551
… sehr an Sensibilität im Umgang mit dieser Musik hinzugewonnen! …

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Den Lautenisten Yavor Genov kennen wir – hier ist bereits seine frühere CD besprochen worden, sie enthält Werke von Giovanni Girolamo Kapsberger. Eine weitere CD mit Kompositionen von Giovanni Zamboni ist hier bisher nicht gewürdigt worden.
Yavor Genovs Spiel hat mich damals – die Besprechung entstand im Jahr 2013 – nicht begeistert. „Sein Spiel ist“ – so schrieb ich damals – „klanglich fragil. […] Sieht man von technischen Unzulänglichkeiten ab, sind es vor allem Temposchwankungen, die mir an Yavors Spiel auffallen. Große Bögen, die Form und Gefüge abbildeten, kann ich mir nur selbst hinzudenken; Verfahren, die mit Akzentuierung und Phrasierung zusammenhängen, sind eher als kryptisch wahrzunehmen; ein leicht federndes, dynamische Spiel ersetzt er durch ein schwerfälliges, indifferentes … kurz: Ich bin nicht begeistert von Yavor Genovs Spiel. Seine Energie, sich mit dieser Musik und diesen Instrumenten zu befassen, ist allerdings zu unterstützen.“

 

Jetzt ist eine neue CDC von Yavor Genov heraus: „Orpheus Anglorum“. Sie enthält Kompositionen zweier englischer Komponisten: John Johnson und Anthony Holborne. Ob die kritischen Bemerkungen von vor fünf Jahren auch für diese Neuerscheinung Geltung besitzen, muss natürlich erst geprüft werden … aber schon die „Flatt Pavan“ von Johnson, das erste Stück des Programms, signalisiert, dass Yavor seine Spielweise in der Zwischenzeit – sagen wir – „überarbeitet hat“. Die Möglichkeit, Mehrklänge synchron und nicht gebrochen zu spielen, hat er beispielsweise entdeckt, auch das schnelle Spiel oder – sagen wir – das schnelle Umspielen mit unterschiedlich gewichteten Einzeltönen, das besonders bei der englischen Musik des 17. Jahrhundert stilprägend ist. Natürlich sind auch vor fast vierhundertfünfzig Jahren – wir haben es zu tun mit zwei Komponisten, die beide im Jahr 1545 zur Welt gekommen sind – Akkorde gelegentlich gebrochen worden. Das war aber eine Art von Verzierung oder Hervorhebung und keine durchgehende Spielmanier. Und dass aufeinanderfolgende Töne nie mit der exakt gleichen Betonung gespielt worden sind, versteht sich von selbst. Auch in der gesprochenen Sprache wechseln sich beispielsweise jambische und trochäische Muster und bitte: Man versuche, sich die Dynamik einer Melodie vorzustellen, in der jeder Ton gleich betont, gewichtet und koloriert ist. Geht nicht! Und ein Musikstück, das über vierhundert Jahre alt und für ein Instrument geschrieben ist, das heute nicht mehr ursprünglich, sondern nur noch aus historischen Gründen benutzt wird, muss in dieser Hinsicht noch sensibler behandelt werden. Schließlich stehen bei Alter Musik auf historischen Instrumenten klangliche Attraktionen nicht oder nur begrenzt zur Verfügung.

Aber Yavor Genov hat – ich habe es schon erwähnt – sehr an Sensibilität im Umgang mit dieser Musik hinzugewonnen! Er spielt graziler, als wir es von ihm in Erinnerung haben, eleganter und von einer nonchalanten Virtuosität, wie man sie sich für Lautenmusik der großen Zeit in England wünscht. „Divisions“, lockere, leichte Umspielungen, folgend auf ihre jeweiligen Vorlagen nach dem Muster a—a‘—b—b‘ usw., bilden das tragende formale Prinzip (fast aller) Lautenstücke dieser Zeit und Provenienz. Zwar wird heute aus ihnen von Lautenisten oft virtuoses Leistungsspiel gemacht … nicht so von Yavor Genov. Er überfordert das Instrument nicht, auch nicht seine eigenen spielerischen Möglichkeiten.

Laute zu spielen, wurde in England zur Zeit Johnsons und Holbornes immer populärer. Gedruckte Ausgaben mit Tabulaturen gab es zwar nur wenige, auch Unterrichtswerke, dafür sind aber zahlreiche handschriftliche Sammlungen erhalten, die Lautenisten für sich selbst oder für ihre Schüler angefertigt haben. Die Stücke, die Yavor auf seiner CD vorführt, stammen ausnahmslos aus solchen Manuskripten, die – auf zahlreiche Bibliotheken verstreut – in verschiedenen Archiven überliefert sind. Zum Glück sind Quellenforschung und Editionswesen heute so weit gediehen, dass die Materialien für CD-Ausgaben wie die vorliegende mit zumutbarem Aufwand zusammenzutragen sind!