John Dowland: Lachrimae or Seven Tears
PHANTASM; Elizabeth Kenny, Laute; Laurence Dreyfus, Jonathan Manson, Mikko Perkola, Emilia Benjamin, Markku Luolajan-Mikkola, Viola
Aufgenommen im Juli 2015, erschienen ℗ 2016
Booklet mit deutscher Übersetzung im Download unter http://www.linnrecords.com/recording-download.aspx
LINN RECORDS CKD 527, im Vertrieb von NAXOS
… jugendlicher und dynamischer …
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Dowland – Benjamin
Werke von John Dowland und George Benjamin
Sit Fast Viol Consort: Atsushi Sakaï, Isabelle Saint-Yves, Marion Martineau, Nicholas Milne, Joshua Cheatham; Sarah Breton, Mezzosopran; Karl Nyhlin, Laute Aufgenommen im Dezember 2016, erschienen ℗ 2017
EVC D034, im Vertrieb von Helikon Harmonia Mundi
… keine volksweite Untergangsstimmung! …
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David Gorton: Variations on John Dowland
Longbow; Peter Sheppard Skærved, director; Stefan Östersjö, guitar‘
Aufgenommen im Juni 2015, erschienen ℗ 2017
TOCCATA CLASSICS TOCC 0396, im Vertrieb von NAXOS
… Von Dowland ist auf der CD von David Gorton nur noch mittelbar die Rede …
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LACHRYMAE REVISITED Duo van Vliet: Ian Anderson, Viola; Rafał Łuc, Akkordeon
Aufgenommen im August 2014 und Juni 2015, erschienen ℗ 2017
ORCHID CLASSICS ORC 100069, im Vertrieb von NAXOS
… in einer mehr als außergewöhnlichen Besetzung …
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Der Zyklus „Lachrimæ, or Seaven Teares“ von John Dowland steht im Mittelpunkt dieser vier Aufnahmen, von denen allerdings nur eine, die von Phantasm und Elizabeth Kenny bei LINN-Records nämlich, für ihre Käuferinnen und Käufer den kompletten Zyklus mit insgesamt einundzwanzig Kompositionen bereithält. Die ursprüngliche Werkfolge hat John Dowland komponiert, zusammengefasst und 1604 veröffentlicht. Sie besteht zunächst aus sieben Pavanen („SEAVEN TEARS FIGURED IN SEAVEN PASSIONATE PAVANS“):
Lachrimæ Antiquae
Lachrimæ Antiquae Novae
Lachrimæ Gementes
Lachrimæ Tristes
Lachrimæ Coactae
Lachrimæ Amantis
Lachrimæ Veræ
und darauffolgend aus „divers other Pavans, Galiards and Almands set forth for the Lute, Viols, or Violons in five parts“. Unter diesen, zuletzt genannten Tänzen sind einige, die bei Erscheinen des Buchs von 1604 schon bekannt waren.
Semper Dowland semper Dolens
Sir Henry Umpton's Funeral
M. John Langton's Pavan
The King of Denmark's Galliard
The Earl of Essex Galliard
M.Henry Noel his Galliard
M.Giles Hobies his Galiard
M.Nicholas Gryffith his Galliard
M.Thomas Collier his Galliard
Captain Digorie Piper his Galliard
M.Bucton's Galliard
Mistress Nichol's Allemand
M.George Whitehead his Almand
An der einen oder anderen Stelle ist auf der CD die Reihenfolge der Tänze der zweiten Abteilung geändert worden, aber sie sind alle vorhanden – diese Aufnahme liefert das Repertoire, das John Dowland vor gut vierhundert Jahren komponiert und veröffentlicht hat.
Irgendwie kommt mir das „originale“ Repertoire frisch und weitgehend entstaubt vor – dabei darf man gerade bei dieser Aufnahme am ehesten von „Authentizität“ oder von „Aufführungspraxis“ reden. Aber sie beweist es wieder einmal: Sich zu bemühen, alte Musik nach historisch vorgegebenen Mustern zu spielen, bringt sie einem näher und lässt sie jugendlicher und dynamischer erscheinen, als die zu Museumsstücken erstarrten Staubfänger, wie sie uns bis vor – sagen wir – dreißig, vierzig Jahren überall und immer wieder vorgesetzt worden sind. Der wunderbar ätherische, sanfte Gambenton – durchbrochen und kontrastiert durch fein ziselierte fragile Lautenklänge – wirkt in dieser Aufnahme ebenso dynamisch wie tänzerisch, ebenso kontemplativ wie dauernd. Der Zyklus ist, wie der Gambist des Ensembles, Laurence Dreyfus, im Booklet schreibt, „die sinnlich-klangvollste Stunde Musik, die je geschrieben wurde.“
Der Name Sit Fast für das nächste Ensemble stellt mehr Fragen, als er beantwortet. Das meint auch das Ensemble selbst auf seiner Homepage: „Sit Fast ? Un nom qui éveille la curiosité. Notre époque tournée vers la vitesse lui donnera sans doute un sens erroné, car « sit fast » ne signifie pas « asseyez-vous vite », mais plutôt « asseyez-vous fermement » et écoutez. [aus: www.consort-sitfast.com/presentation/le-consort/]
Vitesse? … gerade das Tempo ist es, das die Sieben Pavanen in den Interpretationen von Phantasm und „Sit Fast“ unterscheidet. Das „Sit Fast Viol Consort“ geht die Stücke gemächlich an, sehr zurückhaltend und gerade das macht sie für meine Begriffe zu statisch. Langweilig gar? Lachrimæ, Tränen, spielen nicht nur in den jetzt besprochenen Kompositionen von John Dowland eine bestimmende Rolle, sie beherrschen die ganze Epoche. Melancholy, „Merry melancholy“ gar, waren Kernvokabeln der Zeit … die aber keineswegs von Heulen und Zähneknirschen bestimmt war. Melancholie – nicht Depression! Und natürlich herrschte keine Vorliebe für zur Langeweile neigender Kammermusik. Melancholie war eine Mode – keine volksweite Untergangsstimmung!
Nach Lachrimæ hören wir noch „Upon Silence“ für Mezzo-Sopran und Gambenquintett von George Benjamin (*1960) nach Texten des großen irischen Dichters William Butler Yeats (1865–1939). Nicht nur die hinreißend schön singende Sarah Breton überzeugt, sondern auch das Gambenquintett, das sich offenbar mit neuer Musik durchaus besser auskennt, als mit alter. Von „Langeweile“ jedenfalls kann hier keineswegs die Rede sein.
Von Dowland ist auf der CD von David Gorton nur noch mittelbar die Rede. Auch von Lachrimæ. David Gorton ist der Komponist bzw. Arrangeur sämtlicher Stücke des Programms – von John Dowland sind Themen und Vorlagen und auch die drehen sich vornehmlich um Tränen und Melancholie. Lachrimæ, „Flow my teares“, „Forlorn Hope Fancy“. Violinen, Violen, Celli und Kontrabass finden hier statt Gamben Verwendung, was eine grundsätzliche klangliche Veränderung mit sich bringt – auch eine des allgemeinen musikalischen Duktus.
David Gorton „bedient sich“ nicht nur bei Dowland, sondern auch bei William Byrd, Giles Farnaby, Thomas Morley, William Randall, Heinrich Scheidemann und Jan Pieterszoon Sweelinck, die alle ihrerseits auf Lachrimæ Bezug genommen haben. Von diesen Komponisten sind Bearbeitungen für Tasteninstrumente überliefert, die Gorton miteinander zu komplexen musikalischen Strukturen türmt und verschmelzt, die schließlich in einer ultimativen mikrotonalen Variation zusammenfließen. Dazwischen stehen Stücke, die aus älteren Vorlagen „lediglich“ transkribiert, sonst aber unverändert geblieben sind. Stefan Östersjö spielt (auf einer 11-saitigen Alto-Guitar des schwedischen Instrumentenbauers Georg Bolin, übrigens) Dowlands „Forlorn Hope Fancy“ und danach Variationen dazu von David Gorton, die zeigen, wie man sich musikalisch von Parameter zu Parameter weiter von einer Vorlage entfernen kann … bis man schließlich in einer „Harmonic Fantasia“ völlig neues Terrain betritt.
Zum Abschluss: LACHRYMAE REVISITED von Ian Anderson, Viola und Rafał Łuc, Akkordeon: Die beiden Musiker, die sich zu einem Duo van Vliet zusammengetan haben, spielen in einer mehr als außergewöhnlichen Besetzung und leiten ihren Ensemblenamen von Captain Beefheart ab, dem US-amerikanischen Dichter, Komponisten und Maler mit dem Orthonym Don Glen Van Vliet.
Die Schnittstellen zwischen dem Programm des Duos van Vliet und Dowland bzw. Lachrimæ sind – auf den ersten Blick – drei Programmpunkte ihrer CD: John Dowlands „If My Complaints could Passions Move“; „Lachrymae (Reflections on a Song of Dowland)“ von Benjamin Britten; „Such Sweet Sorrow“ für Viola Solo von Rory Boyle und schließlich „Flow My Tears“ von Dowland. Schon, was das Stück von Rory Boyle angeht, haben sich die ausführenden Musiker so weit von den zitierten Vorlagen entfernt, dass viele Zuhörer sie kaum noch erkennen werden. Und das ist es ja auch nicht! Wir reden nicht über „Variationen über …“ , wir reden über so etwas wie „Gedanken zu … “ und eben das zeigt uns die Auswahl an Kompositionen, die auf der vorliegenden CD präsentiert werden. Hier werden nicht Motive oder Themen herangezogen, hier wird die Essenz einer gut vierhundert Jahre alten musikalischen Vorlage weitergedacht … und das gelingt den diversen Musikern und Ensembles sehr überzeugend!