Giuliani pop

El Amor Brujo Euskal BarrokensembleEl AMOR Brujo
Euskal Barrokensemble, Enrike Solinís

Werke von de Falla, Rodrigo, Scarlatti, Tárrega u.a.
Aufgenommen zwischen Mai und Juni 2016,
℗ 2016
ALIA VOX DIVERSA AV 9921, im Vertrieb von Helikon Harmonia Mundi
ein Faszinosum der besonderen Art

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Mit einer „Taranta de la Siega“ beginnt das Programm, einem „Lied der Schnitter“ oder der Erntearbeiter. Folklore … erforscht, aufgeschrieben und veröffentlicht von Federico Olmeda (1865–1909), der 1903 seine Sammlung „Folklore de Castilla o Cancionero popular de Burgos“ herausgegeben hat. Olmeda war Priester und er befasste sich mit der Erforschung der musikalischen Folklore seiner Heimatregion „Kastilien“ – heute würde man seine Tätigkeit als „Ethnomusikologie“ bezeichnen. Er hat vor gut hundert Jahren das Material bereitgestellt, das Komponisten wie Manuel de Falla und auch Joaquín Rodrigo verwendet haben, um eine neue musikalische Sprache zu schaffen, die unverkennbar spanisch ist. Enrike Solinís meint dazu im Booklet: „Die in unserem Programm versammelten Werke nähern sich der Tradition, indem sie diese ausgehend von der Bewunderung für ihre Einzigartigkeit in sich aufnehmen und anerkennen, welche Spur die Botschaft der Musik seit Urgedenken in den Menschen hinterlassen hat. Sie bringen die Genialität von Komponisten vergangener Epochen, die strukturelle Anlage ihrer Stücke, ihre Kunst der thematischen Entwicklung und Sensibilität ans Licht, um daraufhin, vom Aroma der traditionellen Musik durchdrungen, den eigenen Gesang zu erheben. In gewisser Weise kann man so beschreiben, was de Falla, Rodrigo oder Tárrega sich vorgenommen hatten und meisterhaft umsetzten.“

Nun lebte die Musikgeschichte seit Jahrhunderten vom Zurückgreifen auf schon einmal Gedachtes und Erlebtes, von Traditionen. Wir reden heute von „spanischer Musik“, „richtiger aber wäre, das meiste, was wir diesem Gebiet zurechnen, als „andalusische“, „katalanische“, „galizische“, „navarresische“, baskische Musik zu bezeichnen. Denn jeder Teilstaat des heutigen Königreichs, ja jede Region, mehr oder weniger selbständig und Herrin einer eigenen Geschichte, hatte ihre ureigene Musik, ihren ureigenen Tanz, so wie sie ihre Trachten, Gewohnheiten, Legenden hatte und zum großen Teil heute noch hat.“ [Pahlen, Manuel de Falla und die Musik in Spanien. Mainz u.a.1994, S. 13]

Die spanischen Komponisten und Musikologen des 20. Jahrhunderts waren schließlich diejenigen, die eine eigenständige spanische Musikkultur schufen und pflegten, „die auf dem Wissen und der Kenntnis der Hochkultur wie der Volkskultur basiert, von denen ausgehend sie dann ihrer Botschaft eine persönliche Note und Vitalität verleiht.“ [Booklet S. 39] Manuel de Falla war sicher der wichtigste Vertreter dieser Gruppe, aber auch Joaquín Rodrigo. Beide sind mit Kompositionen im Programm der CD vertreten.

Von Rodrigo gibt’s das „Concierto de Aranjuez“ …  aber ohne Englischhorn, ohne Solocello und überhaupt: ohne dritten Satz! Der erste Satz ist streckenweise mit einem Text versehen, der von María Lejárraga stammt und der den Satz zum „Allegro del Pescador“ macht, zum „Allegro des Fischers“.

Auch der zweite Satz hat einen Text und heißt jetzt „Andante del Amor Perdido“:

Ich möchte, dass der Mann,
der mich vergessen hat,
der mich so tief verletzt hat, mich holt!
Und meine Stimme hört.
Bei Sonnenaufgang …

Die beiden Strophen sind mehr gehaucht, als gesungen. Hie und da hört man das Flügelhorn von Miles Davis, die Gitarre durchgehend.

Von Francsico Tárrega wird das „Capricho Árabe“ gegeben – in reinem Gitarrenklang ohne neue Instrumentierung – gespielt von Enrike Solinís.

Den Hauptanteil des Repertoires hat Manuel de Falla geliefert. Natürlich ist seine Musik, auch die aus „El Amor Brujo“, spanien- und gitarrenaffinen Hörern bekannt … allerdings in grundsätzlich anderen Instrumentierungen. In der neuen Einspielung ist das Euskal Barrokensemble verantwortlich, besetzt mit Streichern, vier Schlagwerkern, Posaune, Lyra und verschiedenen Flöten. Gespielt wird aber nicht nach streng aufführungspraktischen Prinzipien und schon gar nicht nach solchen der Barockzeit … selbst, wenn barocke Instrumente gespielt werden.

Nein, Enrike Solinís und sein Barockorchester spielen eine wunderbare Melange aus Kammermusik, „erweiterter Gitarrenmusik“ – angereichert mit Flamencomotiven und aus dem „cante jondo“. Und dazwischen werden wir, die Zuhörer, irgendwie in die Zeit zwischen dem Jahr 711, als die Mauren über Jeréz de la Frontera Spanien besetzten, und der Reconquista, als sie das Land wieder verließen, versetzt. Nein, es ist nicht Tárregas „Capricho Árabe“, das uns so arabisch vorkommt, dass es uns an diese Zeiten erinnert. Es sind die Klänge, die Solinís und sein Barockorchester herbeizaubern. Wie Filmmusik versetzt sie einen, was Ort und Zeit angeht, in die Szenerie, um die es geht. Was wissen wir schon über die Klangwelt von vor fünfhundert und mehr Jahren? Und schließlich: Hier geht es weniger um die Musik der Araber – hier geht es darum, wie weitgehend sie die Musik des zwanzigsten Jahrhunderts beeinflusst haben und die des einundzwanzigsten beeinflussen werden.

Die CD „El Amor Brujo“ jedenfalls ist ein Faszinosum der besonderen Art. Ihre zahllosen Arabesken geben Rätsel auf und verführen, gleichzeitig wird über altbekannte Repertoire-Themen gesprochen, diskutiert, palavert, verhandelt, als wären sie neu und aktuell.