Érik Satie: Gnossiennes – Gymnodédies – Parade & other pieces
Sébastien Llinares, Gitarre
Aufgenommen im Oktober 2016, erschienen 2017
PARATY 106415, im Vertrieb von harmonia mundi
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Erik Satie (1866–1925) kennen wir nicht als Gitarristen und es sind auch keine Stücke bekannt, die er für dieses Instrument komponiert hätte. Und doch: Sébastien Llinares ist keineswegs der Erste, der Kompositionen von Satie auf der Gitarre spielt, im Gegenteil! Vor, sagen wir, zwanzig Jahren war die Musik von Erik Satie bei Gitarristen höchst populär: Anders Miolin hat sie gespielt, Roland Dyens, David Tanenbaum und auch John Williams … und dies sind nur Beispiele! Einzelne Stücke hörte man in internationalen Gitarrenwettbewerben überall auf der Welt, besonders die „Gymnopédies“ erfreuten sich großer Beliebtheit, dann kamen die „Gnossiennes“.
Aber Satie hatte es nicht leicht gehabt, sich mit seiner Musik durchzusetzen. Die Satie-Forscherin Grete Wehmeyer meinte dazu: „Schon die Musik, des jungen Satie wirkte auf seine Zeitgenossen befremdend. Das lag nicht daran, dass sie revolutionär gewesen wäre. Der Grund dafür ist vielmehr, dass Satie an der um 1890 noch modischen französischen Strömung, die deutsche Romantik und vor allem Wagner nachzuahmen, nicht teilnahm. Satie bezog sich nicht auf einen Komponisten des 19. Jahrhunderts. Er sprang aus seiner Zeit heraus. Er griff auf das Mittelalter zurück.“ [Erik Satie, Regensburg 1974, S. 18] Aber nicht einmal Musiken des Mittelalters hat Satie zitiert und überhaupt: „Er schloss sich keinem der breiten Trends innerhalb der Musik an, nicht dem Wagnérism, nicht dem Impressionismus, nicht dem Neoklassizismus, nicht dem Bruitismus, nicht dem Expressionismus, er benutzte weder die Zwölftontechnik noch irgendeine Kompositionsweise auf der Basis der Folklore. Er hatte in seiner Zeit keine musikalischen Verwandten, er war niemandes Erbe.“ [ebda.]
Niemandes Erbe? Satie war Autodidakt, aber natürlich hat er sich an den künstlerischen Leistungen von einigen hundert Jahren Musikgeschichte vor ihm orientiert, natürlich hat auch er auf dem aufgebaut, was es schon gab. Aber die bekannten Schubladen kannte er nicht oder er ignorierte sie. Erik Satie ging keinem Trend auf den Leim und er kreierte auch keinen neuen. Er war nicht zu vergleichen – mit Vorgängern nicht, auch nicht mit Nachfolgern … nicht einmal und ganz besonders nicht mit Epigonen.
Und dann kamen, ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod, Gitarristen und entdeckten Saties Musik. Was fanden sie an ihr? Es war das Ungebührliche, das Neue und biher Unentdeckte, das sich zum Beispiel im Brückenschlag zu populärer Musik, zu neuer amerikanischer Musik und dem Jazz äußerte. Denn mit diesen musikalischen Sphären hatte Satie geliebäugelt: mit dem Jazz zum Beispiel in seinen Stücken „Petite Fille américaine“ oder „Ragtime du paquebot“ (beide auf der CD), mit der amerikanischen Avantgarde und dem Cabaret.
Erik Saties Stücke wirken irgendwie weit entfernt, unbeteiligt und leidenschaftslos. Und die Gitarre mit ihren vielfältigen klanglichen Möglichkeiten stellt ihre Interpretn vor Probleme, wenn sie diese statische Klangwelt umzusetzen versuchen. Das eine oder andere Stück, „Je te veux“ zum Beispiel, scheint dagegen mit seiner feinen, liedhaften Melodik und einer schlichten Musette-Begleitung der Gitarre regelrecht entgegenzukommen.
Sébastien Llinares spielt die Stücke hoch konzentriert und mit der Gelassenheit, die vonnöten ist, wenn man so delikate und niemals aufgeregte Musik angemessen zur Wirkung bringen will. Er geht sparsam mit Vibrati und Klangfarben um, verzichtet auf Glissandi … kurz, Llinares bemüht sich, die Stücke von Satie so weit wie möglich auf ihren klanglichen Ursprung zu reduzieren – und der war schließlich von den Möglichkeiten des Klaviers bestimmt.
Bei jeder Transkription muss man sich die Frage stellen, wie weitgehend das jeweilige Werk durch die Übertragung auf ein anderes Instrument in seiner Substanz verändert werden muss. Spielt man zum Beispiel ein Werk, das „eigentlich“ für Cembalo geschrieben ist, auf einem Klavier, ist der Eingriff auf den ersten Blick klein. Der Interpret setzt sich einfach vor ein anderes Instrument und spielt mit gleichen Fingersätzen das gleiche Stück. Allerdings hat er es mit einer völlig neuen Dimension zu tun, der Dynamik nämlich. Das Klavier, wurde schließlich Pianoforte oder Fortepiano genannt, weil man auf ihm piano und forte spielen konnte und zusätzlich waren crescendi und decrescendi möglich. Das setzte völlig neue interpretatorische Entscheidungen voraus!
Und die Gitarre? Im Gegensatz zum Klavier waren auf der Gitarre zusätzlich diverse Klangfarben möglich … und das bedingt völlig andersartige Hör- und Spielweisen. Sebastien Llinares nimmt sich in seinem Spiel, was Klänge angeht, sehr weitgehend zurück. Natürlich spielt er Gitarre, aber fast spielt er sie pianistisch. Kühle umschwebt mich als Zuhörer; Kühle, Sachlichkeit und gelegentlich gespielte Einsamkeit. Und dann gibt es humoristische Einwürfe, die mich stark an Jacques Tati erinnern … die beiden, Satie und Tati hatten viel gemein. Nicht nur ihre Namen ähnelten sich, auch ihr Sinn für Groteskes und Absurditäten!
Sébastien Llinares danke ich dafür, dass er Satie wieder einmal bei Gitarristen und ihren Zuhörern ins Gespräch gebracht und dass er an Monsieur Hulot erinnert hat!