Giuliani pop

Paris Buenos Aiores BeleninovEvgeny Beleninov: Paris Buenos Aires
Werke von Astor Piazzolla und Heitor Villa-Lobos
Aufgenommen im August 2016, erschienen 2017
Gitarre: Curt Claus Voigt
BarteltMusic 4 250953 200057, im Vertrieb von Klassik Center Kassel
… mit Expressivem aus Buenos Aires und mit ebenso virtuosen wie klangbewussten Stücken aus Paris …

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Warum Paris und warum Buenos Aires? Die Werkzyklen dieser CD sind erstens „Las Cuatro Estaciones Porteñas“ von Astor Piazzolla und zweitens „Douze Études de Concert“ von Heitor Villa-Lobos. Porteños werden in der spanischen Sprache Leute genannt, die in einem puerto geboren sind – in einer Hafenstadt … in Argentinien speziell in Buenos Aires und in Uruguay in Montevideo. Mit dem Adjektiv porteño oder porteña wird alles bezeichnet, was mit der jeweiligen Hafenstadt in Verbindung steht … der Titel des Werks von Piazzolla heißt also übersetzt „Die Vier Jahreszeiten von Buenos Aires“.

Die „Douze Etudes“ für Gitarre (übrigens nicht „Douzes Etudes“!) hat Villa-Lobos in Paris geschrieben, wo er in den Jahren zwischen den Weltkriegen lebte. Damit hat sich der Bogen Paris – Buenos Aires geschlossen, hätte Paris nicht im Leben beider Komponisten eine gewisse Rolle gespielt. Auch Piazzolla hat in der Stadt gelebt, die als „Hauptstadt Europas 1789–1914“ bezeichnet worden ist (Johannes Willms, München. 1988). Er hat dort bei Nadia Boulanger (1887–1979), der großen Kompositionslehrerin, studiert, bei der neben ihm auch Aaron Copland, Philipp Glass und viele andere Kollegen erstes Ranges ihr Handwerk erlernt haben.

 

Die beiden großen Zyklen, die Evgeny Beleninov spielt, gehören jedenfalls zu den herausragenden Ergänzungen, die das Repertoire für Gitarre im letzten Jahrhundert erfahren hat – selbst mit der Einschränkung, dass der eine, Villa-Lobos, „akademische klassische Musik komponierte“ und der andere nicht (Beleninov, Booklet). Piazzolla selbst hat sich dafür geschämt, dass er „eigentlich nur“ ein Tangomusiker war, das hat ihm seine Lehrerin Nadia Boulanger zwar ausgeredet – aber er blieb dabei. Dabei hat Piazzolla niemals Tangos geschrieben, die in Bordellen oder Cafés gespielt worden wären, nicht einmal in Nightclubs (das sind drei der Satzüberschriften seiner eigenen Komposition „Histoire du Tango)“. Denn das war tatsächlich die Geschichte des Tangos: In schmuddeligen Etablissements am Rio de la Plata ist er entstanden, dort ist er getanzt worden.

Evgeny Beleninov spielt energisch und kraftvoll … oder zurückgezogen, beinahe melancholisch – und das hat Piazzollas Tango schließlich immer ausgefüllt – nein, der Tango an sich. Schluss mit lustig! Die Männer, die nach langen Seefahrten mit ihrem letzten Geld in Buenos Aires oder Montevideo angekommen waren, haben schnell erkennen müssen, dass das Leben auch dort Probleme bereithielt. Keine Begrüßungskultur! Pläne mussten über Bord geworfen werden, Heimweh, Klagen und Enttäuschung machten sich breit und das ist uns in den Tangotexten überliefert.

Auch die Villa-Lobos-Etüden schöpfen aus dem reichhaltigen Fundus musikalischer Farben und Effekte, sind aber nicht programmatisch gebunden. Gleichzeitig sind sie als Etüden nicht wirklich autonom, folgen sie doch einer inneren Ordnung, die mit den Anforderungen an die Spieltechnik der Interpreten zusammenhängt. Aber vor ihnen, den spieltechnischen Anforderungen, muss sich Evgeny Beleninov nicht fürchten! Er ist ein spieltechnisch außerordentlich versierter Spieler … vielleicht ist er sogar leicht überengagiert, wenn es um virtuose Kunststücke geht. Die erste Etüde (Allegro non troppo e-Moll) darf man da nicht als Beispiel nennen, denn die Arpeggien, die dieses Stück bestimmen, reizen alle Interpreten zu hohen spieltechnischen Leistungen, sogar Andrés Segovia, dem Villa-Lobos die Etüden gewidmet, der aber nur zwei von ihnen je gespielt hat (Nummern I und VII). Aber Etüde II (Allegro, A-Dur) gehört dazu, sie ist mir zu sportiv. Das Gleiche gilt für mich für die abschließende Etüde XII (Animé a-Moll).

Aber Evgeny Beleninov kann auch schwelgen und verweilen (wie in Etüde V C-Dur), sogar sehr überzeugend! Vielleicht muss man das Zurschaustellen von Spieltechnik und Geschwindigkeit ihm, als jungem Musiker, zugestehen. Er ist im Oktober 1985 in Moskau geboren, hat dort später studiert, danach in Berlin und schließlich in Koblenz bei Hubert Käppel. Die üblichen Meisterkurse und Wettbewerbe schlossen sich an. Auf seiner ersten Solo-CD stellt er sich mit Expressivem aus Buenos Aires vor und mit ebenso virtuosen wie klangbewussten Stücken aus Paris. Und wie? Überzeugend!