Giuliani pop

Kaiser Schmidt Guitar Duo CDKaiser Schmidt Guitar Duo
Jessica Kaiser, Jakob Schmidt, Gitarren
Werke von Granados, Piazzolla, Fauré und Bogdanović
AureaVox 2017–1
… Jessica und Jakob haben jedenfalls eine wunderbare Debüt-CD vorgelegt. Chapeau! …

♦♦♦♦

Wieder einmal eine Debüt-CD, die mit tonnenschwerem Repertoire aufwartet – ein Widerspruch … aber doch nur scheinbar!
Gut erinnere ich mich an die Zeit, als Piazzolla die „Tango Suite“ für Sergio und Odair Assad schrieb und das Stück anfänglich als kaum zu bewältigen galt. Das war Mitte der achtziger Jahre – 1984/1985, um genau zu sein. Sergio erzählte mir schon 1988 in einem Interview (Gitarre & Laute X/1988, H. 6, S. 12): „Nimm zum Beispiel den Wettbewerb für zwei Gitarren in Montelimar. In diesem Jahr war schon die Tango-Suite von Piazzolla Pflichtstück – im nächsten Jahr ein Stück von Gnattali.“ Das heißt nicht nur, dass Gitarrenduos gierig neues Repertoire aufnahmen, sondern auch, dass sie immer weitergehend in der Lage waren, es zu spielen … und damit meine ich nicht nur das spieltechnische Beherrschen, sondern auch den angemessenen musikalischen Umgang mit der „neuen“ Musik. 1971 und 1974 waren Julian Bream und John Williams als Duo mit zwei Platten namens „Together“ und „Together again“ herausgekommen und hatten mit Repertoire-Standards zwischen Carulli und Granados noch brilliert. Irgendwie signalisierte die „Tango Suite“ mehr als zehn Jahre später aber einen Repertoirewandel … und der hat sich fortgesetzt. Nicht, dass Carulli und Granados nicht mehr gespielt würden, nein, aber andersdimensionierte Werke stehen heute im Mittelpunkt der Arbeit von Gitarrenduos.

 

Auch bei Jessica Kaiser und Jakob Schmidt! Sie spielen die schon erwähnte „Tango-Suite“ von Astor Piazzolla und die „Sonata-Fantasia“ von Dušan Bogdanović – tatsächlich „gewaltige“ Werke, wie die beiden Musiker im Booklet ihrer CD meinen, und zwar nicht nur im Vergleich zu den „Valses Poeticos“ von Granados und der „Dolly Suite“ von Gabriel Fauré (beide auch im CD-Programm). Diese beiden zyklischen Werke unterscheiden sich auch insofern von den bisher erwähnten, als sie Transkriptionen sind, beides von Klavierwerken übrigens. Piazzolla und Bogdanović sind Originalkompositionen … obwohl Piazzolla kein Gitarrist, sondern Bandoneonspieler war. Gleichwohl: Auch, wenn die Assad-Brüder kräftig am Arrangement der „Tango-Suite“ mitgearbeitet haben sollten: Das Werk gilt als Original für Gitarre.

Granados und Fauré gelingen dem „Kaiser Schmidt Guitar Duo“ sehr überzeugend. Mir gefällt die „Dolly Suite“ mit ihren sechs unaufdringlich programmatischen Einzelsätzen besonders – aber das geht wahrscheinlich jedem so. Diese Musik steckt mit ihrem Esprit einfach an und schon die Überschriften der Suite und der Einzelsätze machen einen neugierig, wie’s weitergeht. Jessica und Jakob sind nicht die ersten Gitarristen, die dieses Stück spielen. Ihre Aufnahme strahlt Routine aus und doch Frische und Spaß an dieser Musik.

Der „Tango argentino“ oder „Tango rioplatense“, wie er heute korrekt genannt wird, ist mehr als ein Tanz. Er ist in den Häfen von Montevideo und Buenos Aires aus unterschiedlichen musikalischen Bestandteilen entstanden und dort auch von den oft armen und fast immer einsamen porteños gesungen und getanzt worden … auf der Straße, in Kneipen und Bordellen. Die desperate Stimmung, die dort herrschte, spricht aus der Musik, wie auch das Trauern um und das energische Sichwehren gegen die Umstände.

Aber hier ahnt man schon, dass der „echte“ Tango kein glatter Gesellschaftstanz, wie er in Europa getanzt wurde, gewesen sein kann. Aus dem Tango, wie Piazzolla ihn gespielt und geschrieben hat, klang Heimweh und Verzweiflung – und das muss man als Betrachter im saturierten Europa über hundert Jahre später erst einmal erfassen und wiedergeben. Schwer! Auch der Unterschied zwischen Tanztee und Bordell. Schwer! Außerdem ist kaum zu beschreiben, wie das Ergebnis aussehen, bzw. klingen soll.

Aber auch die „Tango Suite“ ist dem „Kaiser Schmidt Guitar Duo“ gelungen! Außerdem ist es nicht fair, jede Interpretation mit einer der Assad-Brüder zu vergleichen.

Mir liegt hier das Ergebnis eines Debüts der besonderen Art vor. Die CD ist eine runde Sache – wie könnte es anders sein? – zur Perfektion fehlt mir noch jener Hauch von Laszivität im Tango, etwas von diesem kontrollierten Abweichen vom Geraden, das ein kreatives Musikmachen ausmacht, und das beziehe ich auch auf die „Sonata-Fantasia“ von Dušan Bogdanović, auf die ich hier nicht weiter eingehe. Jessica und Jakob haben jedenfalls eine wunderbare Debüt-CD vorgelegt. Chapeau!

Eine Anregung noch am Schluss: Die vorliegende CD ist in Technik und Ausstattung professionell und ansprechend. Alles gut! Mir fehlen allerdings ein paar Informationen, die sonst meist mitgeliefert werden. Zum Beispiel wüsste ich gerne, wann die Aufnahmen entstanden sind. Auf die Information, welche Saiten aufgezogen wurden, kann ich verzichten (sie wird auch nicht geliefert) – welche Gitarren verwendet wurden, wäre allerdings von Interesse. Das wird nicht mitgeteilt.