Martin Seidler & Volker Höh
Das Jahr ist ein Gedicht
Eine musikalische Lesung in vier Jahreszeiten
Erschienen 2016
MONS Records MR874596
… Höh trifft immer den richtigen Ton …
♦♦♦♦♦
Volker Höh hat diese kurzweilige, amüsante Zusammenstellung von deutscher Lyrik und (meist) klassischen Gitarrenstücken erdacht und musikalisch umgesetzt. Martin Seidler kennt man als Moderator bei der ARD oder, genauer gesagt, beim Südwestrundfunk SWR. Hier in Köln hat er an der Sporthochschule studiert und hier hat er auch beim WDR volontiert. Seit 1991 arbeitet er für den SWR – viele von Ihnen (vor allem die Älteren unter Ihnen) werden ihn als Moderator der täglichen Sendungen „Kaffee oder Tee“ oder der „Landesschau Rheinland-Pfalz“ kennen.
Und verschiedentlich hat Martin Seidler seiner Leidenschaft, der deutschen Lyrik, Platz in seiner Arbeit eingeräumt. Heute führen uns vierundzwanzig Gedichte durch das Jahr, jedes einzelne begleitet von einem Gitarrenstück … und Martin Seidler schätzt es sehr, mit Volker Höh einen sensiblen Begleiter an seiner Seite zu haben: „Ob ein Tango für Ringelnatz oder ein Präludium von Bach für Hermann Hesse. Höh trifft immer den richtigen Ton und ich freue mich, diesen großartigen Dichtern meine Stimme leihen zu dürfen!“
Wobei … ein Begleiter ist Volker Höh eigentlich nicht! Musik und Lyrik sind zwar fein aufeinander abgestimmt, sie wirken aber selbständig nebeneinander und ergänzen sich gleichzeitig fast symbiotisch. Möricke, Rilke, Mascha Kaléko, Hesse und Goethe hie … Sor, Paganini, Scarlatti und Johann Sebastian Bach dort. Lediglich Mascha Kaléko (1907–1975) wird vielleicht den einen oder anderen Zuhörer zu Wikipedia treiben, oder vielleicht auch zum „Großen Conrady“, dem Standardwerk meines akademischen Lehrers Karl Otto Conrady. Dort nämlich finden sich Gedichte der galizischen Poetin, eines darunter, „Emigranten-Monolog“, das ungeahnt aktuell ist:
Ich hatte einst ein schönes Vaterland
So sang schon der Refugee Heine.
Das eine stand am Rheine,
Das meine auf märkischem Sand.
Wir alle hatten einst ein (siehe oben!)
Das frass die Pest, das ist im Sturm zerstoben.
O, Röslein auf der Heide,
Dich brach die Kraftdurchfreude.
[…]
Mir ist zuweilen so als ob
Das Herz in mir zerbrach.
Ich habe manchmal Heimweh.
Ich weiss nur nicht, wonach.
Freilich, dieses Gedicht hat nichts mit den Jahreszeiten zu tun und schon gar nichts mit Romantik und Poesie. Es ist ein politisches Gedicht, das gegen die Kraftdurchfreude aller Zeiten antritt und dagegen, dass sie jemals das Röslein auf der Heide zertreten möge. Kraftdurchfreude tritt heute als Alternative auf – und genau das ist sie nicht!