Heike Matthiesen: Guitar Ladies
Werke von Madame Sidney Pratten, Maria Luisa Anido, Ida Presti, Sofia Gubaidulina, Sylvie Bodorova und anderen
Aufgenommen im April 2015, erschienen 2016
Gitarre: Daniel Friederich, 1966
Vienna 2day CSM Y1615–E43
… wunderbar sensible und „zart besaitete“ Musikerin …
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Komponieren Frauen anders, als Männer? Wirkt die Musik von Komponistinnen irgendwie oder sogar a priori weiblich … und klingt weibliche Musik anders als männliche? Heike Matthiesen schreibt in einem Vorwort: „Bewußt habe ich auf vordergründige Virtuosität verzichtet und pure Musik gewählt. Allen diesen Kompositionen ist extreme Klanglichkeit gemeinsam, auch immer wieder das Zelebrieren der Stille zwischen den Tönen.“ Ist es also typisch weibliche Musik, die sie uns auf ihrer neuesten CD präsentiert? Und mehr noch: Spielt Heike diese Musik weiblicher, als es männliche Kollegen täten?
Mit sieben Stücken von Madame Sidney Pratten (1821–1895) beginnt sie ihr Programm. Die Komponistin war als Catharina Josepha Pelzer in Mülheim am Rhein zur Welt gekommen, damals – das heißt, seit dem Wiener Kongress – Teil der Preußischen Rheinprovinz. Nach 1901 war Mülheim dann Stadtkreis, um schließlich nach 1914 zu Köln zu gehören. Catharina Josepha, Tochter des Mülheimer Gitarristen Ferdinand Pelzer, der nach London umzog, heiratete dort den Flötisten Robert Sidney Pratten und machte als Madame Sidney Pratten eine für ihre Zeit erstaunliche Karriere als Gitarristin. Josef Zuth (Handbuch, S. 217) berichtet, sie habe ein Œuvre von über 125 Werken hinterlassen – viele davon sind Petitessen, von denen Heike Matthiesen sieben spielt, die sie selbst als „Salonmusik im besten Sinne des Wortes“ bezeichnet … aber bitteschön! Die Salons waren schließlich kulturelle Nährböden der Zeit, dort haben Maler, Komponisten und Schriftsteller die Moderne vorbereitet und geübt. Die „Lieder ohne Worte“ von Madame Sidney Pratten sind das Entree in ein Programm, das weit mehr als Gender Studies liefert.
Es folgen Stücke zweier weiterer Komponistinnen, die als Gitarristinnen Weltruhm erlangt haben: Maria Luisa Anido (1907–1996) und Ida Presti (1924–1967). Von der Argentinierin ist uns gerade mal eine Handvoll Stücke überliefert, von Ida Presti sind es mehr (Werkeverzeichnis in Gitarre & Laute PRINT XIV/1992, Heft 5, S. 12–16). Aber beide verstanden sich als Gitarristinnen und das bleibt dem Hörer nicht verborgen! Ihre Stücke sind instrumentale Pralinés, nicht mehr und nicht weniger! Und Heike Matthiesen lässt sie uns kosten, diese verführerischen Süßigkeiten.
Übrigens hatte Ida Presti mehr als zweimal so viel Zeit für ihre Karriere und ihr kompositorisches Œuvre, wie Maria Luisa Anido: Als Sie die Bühne für immer verlassen musste, war sie 42 Jahre als – die Argentinierin hatte das Glück, 89 Jahre alt zu werden.
Sofia Gubaidulina (*1931) ist die Grande Dame der russischen Musik. Die „Serenade“, die auch hier gespielt wird, galt lange als ihr einziger Versuch, sich mit der Gitarre anzufreunden – in der Zwischenzeit sind weitere Stücke freigegeben und auch aufgenommen.
Sylvie Bodorova wurde 1954 in České Budějovice in Tschechien geboren. Sie hat regelmäßig für Gitarre komponiert, aber auch große Orchesterwerke und Kammermusik in diversen Besetzungen. Heute hören wir ihre Elegie für Gitarre „Pocta Kryštofu Columbovi“ aus dem Jahre 1988 und „Plegaria–Modlitba“ von 2000 – für mich die beiden interessantesten Stücke in Heike Matthiesens Programm.
Durch die Elegie auf den Namen von Christoph Columbus führt eine Melodie, die verschiedene Stimmungswelten durchläuft, durchgehend aber eher kontemplativ, betrachtend bleibt – elegisch!
Zwei ebenso zurückhaltend fabulierende Stücke von Annette Kruisbrink (*1958) folgen. Auch sie haben nichts Virtuoses, nichts Aufbrausendes – sie erzählen, lamentieren und beklagen.
Tatiana Stachak (*1973) hat einen kleinen Walzer beigesteuert, zwei Minuten „im kleinen Café“. Sieben Tangos, oder, sagen wir, tangonahe Stücke von Carmen Guzman (1925–2012) folgen und schließlich: vier Zugaben von Maria Linnemann (*1947), die so wunderbar erzählen kann. Erzählen, singen, schwärmen und fantasieren!
Nicht, dass Heike Matthiesen nicht auftrumpfen könnte, keineswegs! Aber hier, auf ihrer neuen CD mit dem Titel „Guitar Ladies“ sind keine Kraftakte angesagt, auch keine Rekorde und Medaillen. Hier geht es um Zwischentöne; um Melodien, mehr als um Läufe und Skalen; um Stimmungen, mehr als um das Realisieren komplexer Strukturen. Heike Matthiesen schwelgt auf ihrer neuen CD in Klängen und Bildern. Und das ist typisch weiblich? Vielleicht ist es das nicht, aber es ist typisch für diese wunderbar sensible und „zart besaitete“ Musikerin. Sie führt uns Repertoire nach ihrem Geschmack vor, und das wird sicherlich vielen gefallen. Fauen und Männern!
Heute, am Tag, an dem ich meine Bemerkungen zu Heike Matthiesens CD „zu Papier bringe“, ist der 8. März 2017. Das Besondere an diesem Tag ist: Es ist der „Weltfrauentag 2017“!