Il Barbarino – Musica per liuto e viola da mano nel Cinquecento napoletano
Paul Kieffer, Laute und Viola da mano
Werke von Fabrizio Denice, Luigi Dentice, Perino Fiorentino, Luis Maymón und anderen‘
Aufgenommen im Juli 2016, erschienen 2017
Instrumente: 8-chörige Laute von Grant Tomlinson (Vancouver, 2014), 6-chörige Viola da mano von Peter Biffin (Murrurundi, Australia 1981)
ARCANA, Outhere Music AD 105, im Vertrieb von Note-1
… fehlt mir etwas Leichtigkeit, etwas filigrane Kunstfertigkeit …
♦♦♦
Als 1970 die epochale Ausgabe der Lautenmusik von Francesco da Milano (1497–1543) bei Harvard University Press in Cambridge/Mass. herauskam, ging ihr Herausgeber, Arthur J. Ness, davon aus, Francesco sei zu seiner Zeit als Spieler von und Komponist für Laute und Viola da Gamba berühmt gewesen. Das mag durchaus so gewesen sein, der enorm große Quellenbestand an Kompositionen von Francesco [Canova] da Milano, der Arthur Ness zur Verfügung stand, wies allerdings ausschließlich in Lautentabulatur aufgeschriebene Werke auf, Ness wusste allerdings von einer gedruckten Quelle, die in ihm die Vermutung nährte, Francesco habe auch Stücke für Gambe geschrieben und veröffentlicht: „Dr. Louise Martinez Göllner kindly drew my attention to the following entry in a sixteenth-century manuscript catalogue in the Bayerische Staatsbibliothek, Munich (Clm 271, fol. 300): Di Francesco Milanese intavolatura de Viola overo lauto, il primo et secondo libro della Fortuna. Napoli, Joannes Sultzbachius. 40. 1536. Perhaps works intended specifically for viola da gamba in these two volumes have survived in extant lute prints and manuscripts. It is possible, however, that the instrument mentioned on Sultzbach’s title page is the plucked viola da mano, and not the bowed instrument.“ [Seite 1, Fußnote 2].
In der „Introduction“ zu seiner Ausgabe [S. 11] hat Ness noch anmerken können, er habe erfahren, dass ein Exemplar des Francesco/Sultzbach-Drucks von 1536 [36S] gefunden worden sei: „As these volumes go to press, Yves Giraud reports (Revue de musicologie [1969]. pp. 217–219) that a copy of 36S, mentioned in note 2 above has survived.“ Er hat das wieder aufgefundene Exemplar des Drucks nicht vor Drucklegung seiner Ausgabe in Augenschein nehmen können.
Ein paar Jahre später – 1977, um genau zu sein und noch einmal 1988 – erschien in Genf (bei Minkoff) ein Reprint des Drucks von Johannes Sultzbach. Das erwähnte Exemplar des Originals war tatsächlich in der Bibliothèque Nationale, Département de la Musique [F:Pn] in Paris gefunden worden. Damit war das Rätsel gelöst: Bei der Viola, von der im Titel des Drucks die Rede ist, handelt es sich um die gezupfte, sechschörige Viola da mano, die gleich besaitet und gestimmt war, wie die sechschörige spanische Vihuela de Mano und die Laute der Zeit. Die Tabulaturen konnten also auf jedem der drei Instrumenten gespielt werden und mehr noch: Alle in Tabulatur überlieferten Kompositionen wurden vermutlich tatsächlich auf dem einen wie auf dem anderen der Instrumente gespielt – selbst, wenn das nicht expressis verbis vorgesehen war. Voraussetzung war lediglich, dass keines der Instrumente wesentlich in Saitenzahl und Stimmung verändert wurde.
Die Laute des 16. Jahrhunderts blieb nicht lange sechschörig – im Bass wurden bald weitere Saitenpaare hinzugefügt. Viola und Vihuela machten diese rasche Entwicklung nicht mit – aus diesem oder anderen Gründen verloren sie an Popularität und verschwanden schließlich aus dem Musikleben. Als „Königin der Instrumente“ blieb die Laute für Jahrzehnte an der Spitze der Popularitätsskala, was Musikinstrumente angeht.
Paul Kieffer hat ein Programm zusammengestellt, das aus sechs Quellen schöpft. Unter ihnen ist natürlich das hier schon weitreichend behandelte 1536er Lautenbuch von Johannes Sultzbach, dazu ein späterer Druck mit Kompositionen von Francesco da Milano, das „Lautenbuch des Philipp Hainhofer“ (D:W) und schließlich das „Barbarino Lute-Book“ (PL:Kj = Kraków Biblioteka Jagiellońska), das der CD den Namen gegeben hat. Diese Handschrift war bis zum Zweiten Weltkrieg unter Mus. ms. 40032 im Besitz der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin, danach – um kriegsbedingter Beschädigung oder Zerstörung zu entgehen – ausgelagert und schließlich im Bestand der Biblioteka Jagiellońska in Kraków. Dieter Kirsch und Lenz Meierott haben 1992 Handschriften mit gleicher Historie beschrieben und in Buchform einen Katalog „Berliner Lautentabulaturen in Krakau“ herausgegeben (Mainz u.a., Schott, 1992). Sie bestätigen Handschrift und Signatur … aber warum John Griffiths, der Autor der sleeve-notes, die Handschrift „Barbarino Lutebook“ und, darauf sich beziehend, die CD ebenso benennt, das verschließt sich mir. Die gesamte Fachliteratur kennet die Handschrift nur unter „mus. ms. 40032“, ich auch — aber „Barbarino“?
Wie spielt Paul Kieffer die Musik auf Laute und Viola? bzw. Wer ist er überhaupt? Paul ist in den USA aufgewachsen, hat danach in Europa studiert und, so liest man im Klappentext, überall hier solo und in Ensembles gespielt. Dies ist seine zweite CD – die erste kennen wir.
Hier, in der früheren Musik, wirkt er viel weniger beflügelt, als ich ihn auf seiner CD mit Musik vom Jakobus Reis kennengelernt habe … und das hat keineswegs damit zu tun, dass die Musik, die er nun spielt, weniger elaboriert oder primitiver wäre, als die des Polen! Nein, Paul Kieffer könnte deutlich sensibler darauf achten, Melodien als Folgen miteinander verbundener Einzeltöne zu spielen (das nennt man „legato“). Das ist bei einem Instrument, das nur Einzeltöne spielen kann, schwierig … aber es geht und mindestens muss der Zuhörer den Eindruck haben, der Interpret bemühe sich darum. Und ist es nicht so, dass gerade die Musik aus der Zeit Francescos da Milano, in der erste Versuche gemacht wurden, polyphone „absolute Musik“ auf die Bühne zu bringen, jeden Aufwand verdient, das gesangliche Prinzip zu verwirklichen? Dieses Mal enttäuscht mich Paul Kieffer ein wenig – dieses Mal fehlt mir etwas Leichtigkeit, etwas filigrane Kunstfertigkeit. Dabei ist die Idee, Musik für Laute und für Viola da mano in ein Programm zu packen, höchst aufschlussreich und künstlerisch vielversprechend! Was wir hier geboten bekommen, ist jedenfalls keine Lehrstunde in Sachen Musikgeschichte!