Ravel – Debussy: Music for Two Guitars
ChromaDuo: Tracy Anne Smith und Rob MacDonald
Werke von Maurice Ravel und Claude Debussy
Aufgenommen im August 2015, erschienen 2016
Gitarren von Matthias Dammann und Bogusłav Teryks
NAXOS 8.573286
… mit eben jenem Maß an Zurückhaltung und Disziplin …
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[Bild: Claude Monet: IMPRESSION, Soleil levant, Musée Marmottan Monet] „Impressionismus“, das kommt vom lat. „imprimere“ (= eindrücken) bzw. vom französischen „impressionnisme“ und ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal als terminus technicus in der Kunstwissenschaft benutzt worden – am 25. April 1874, um genau zu sein. An diesem Tag besprach der französische Kunstkritiker Louis Leroy das Bild „IMPRESSION, Soleil levant“ von Claude Monet für die Pariser Zeitschrift „Charivari“. Sie war unverhohlen kritisch, diese Besprechung, Leroy schrieb: „Le papier peint à l’état embryonnaire est encore plus fait que cette marine-là“ (= „Eine Tapete in embryonalem Zustand ist feiner ausgearbeitet, als jenes Seestück!“)
Erst später wurde der Begriff „Impressionismus“ auch auf Kunstwerke anderer Gattungen angewandt. Egon Friedell hat es schließlich auf den Punkt gebracht. In seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“ (Mchn. 1927, hier zit. nach TB-Ausg. Mchn. 1976, Bd. 2, S. 1411) schreibt er: „In den neunziger Jahren [des 19. Jahrhunderts] verfällt alles dem Impressionismus, sogar die Gebiete, die ihm in ihrer innersten Natur völlig zu widerstreben scheinen: er bemächtigte sich in Rodin der Plastik, in Debussy der Musik, in Kaiser Wilhelm der Politik, in Alfred Kerr der Kritik.“
Warum Friedell die Malerei, für die der Begriff „Impressionismus“ zuerst verwendet worden war, nicht erwähnt hat, dafür aber Bildhauerei und Politik, bleibt mir verschlossen … dafür lasse ich mich gerne auf die gelegentlich zu lesende Erklärung ein, der Terminus bezeichne so etwas wie den „Endstil“ zum „Fin de Siècle“. Aber: „Zunächst erschienen die „Neoimpressionisten“, die, weil sie, an Monets Kommata anknüpfend, eine radikale Tüpfeltechnik beobachteten, „Pointillisten“ oder auch, weil sie das Gesichtsbild in seine letzten Elemente zerlegten, „Divisionisten“ genannt wurden. Mit einem Wort: Sie malten Mach.“ (Friedell S. 1413)
Mach? Ernst Mach (1838–1916), eigentlich Physiker, fast einflussreicher aber als Philosoph, war in Wien zur Zeit der Jahrhundertwende einer der schillerndsten Intellektuellen. In seinem Wort vom „unrettbaren Ich“ bezog er sich darauf, dass die Welt, wie wir sie erfahren, nicht „wirklich“ ist, sondern aus Empfindungen besteht, aus Empfindungen von Farben, Tönen, Räumen und Zeiten. Erst die Beziehung dieser Eigenheiten zueinander liefert Impressionen und Bilder. Und so macht ein pointilistisches Gemälde erst aus einiger Entfernung Sinn, erst dann fügen sich seine Einzelheiten zu einem Bild zusammen … wie im Vierfarbendruck, bei dem alle Details und Farben in winzige Punkte aufgelöst sind, die alle auf die Farben Magenta, Cyan, Yellow und Black zurückgehen.
In der Musik gilt Claude Debussy (1862–1918) als der „Erfinder“ des Impressionismus. Mit seinem „Prélude à l'après-midi d'un faune“, uraufgeführt 1894, wurde eine grundlegende Wende in der Geschichte des Komponierens gefeiert, der Eingang in die musikalische Moderne.
Beinahe erwartungsgemäß fand die neue Musik nicht nur Applaus. Als Musik, bei der die Bedeutung musikalischer Farben auf Kosten von Form und Struktur überbetont wurde, galt sie und wurde auch und besonders in Paris gelegentlich abgelehnt; Friedrich Nietzsche hielt sie für den Ausdruck von Dekadenz per se (sowohl als Weltbild wie als Form) und überhaupt: Der Begriff selbst hatte zunächst eher als Missbilligung gegolten, denn als Lobesprädikat.
Für Gitarre hat keiner der „anerkannten Impressionisten“ komponiert … auch, wenn Maestro Segovia bei Debussy angefragt haben soll. Dafür hat es immer wieder Transkriptionen gegeben und: Der Name Claude Debussys ist tief verwurzelt in der Gitarrenmusik … allerdings nicht als Komponist, sondern als Widmungsträger … oder höchstens als Komponisten von Transkriptionsvorlagen. Am 25. März 1918 ist er, dem oft die „Erfindung“ der impressionistischen Tonsprache zugeschrieben worden ist, in Paris gestorben.
Zwei Jahre nach dem Tod Debussys erschien in Paris das erste Heft einer Zeitschrift mit dem Titel „Revue Musicale“, deren Herausgeber Henry Prunières (1886—1942) war, ein Musiker und Musikwissenschaftler, der sich für die künstlerische Moderne einsetzte, und zwar nicht nur, was Musik angeht, sondern übergreifend auch Malerei und Literatur. Am 1. Dezember 1920 kam eine Sondernummer der neuen Zeitschrift heraus, die Debussy gewidmet war und für die Prunières zehn Komponisten um Beiträge gebeten hatte, zehn Komponisten aus verschiedenen Ländern – deutsche und österreichische waren nicht darunter. Die Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg waren noch zu frisch.
Geschrieben haben Paul Dukas (1865—1935), Erik Satie (1866—1925), Albert Roussel (1869—1937), Florent Schmitt (1870—1958), Maurice Ravel (1875—1937), Manuel de Falla (1876—1946), Béla Bartók (1881—1945), Igor Strawinsky (1882—1971), Francesco Malipiero (1882—1973), Eugène Goosens (1893—1962).
Hier, in einer internationalen Zeitschrift für Gitarre und Laute, ist natürlich der Beitrag von Manuel de Falla von besonderem Interesse. Er war mit „Homenaje–Pour le Tombeau de Claude Debussy“ überschrieben und es war die einzige Komposition, die de Falla je für Gitarre geschrieben hat.
Das Chroma Duo, Tracy Anne Smith und Rob MacDonald, spielt mit einer Ausnahme – „Alborada del gracioso“ von Maurice Ravel in einer Bearbeitung von Stephen Goss – nur eigene Transkriptionen. Die meisten Stücke ihres Programms sind bekannt, nicht aber in Versionen für zwei Gitarren … obwohl auch da Versuche unternommen worden sind. Presti und Lagoya spielten Debussy, ebenso Bream und Williams. Aber ein ganzes Programm von rund einer Stunde Dauer, das hat es bisher nicht gegeben. Erstaunlich eigentlich, denn die Zyklen, die das Chroma Duo spielt, überzeugen in ihren neuen Versionen für zwei Gitarren. Außerdem spielen die beiden Kanadier mit eben jenem Maß an Zurückhaltung und Disziplin, das diese Musik ins rechte Licht rückt. Da wird nichts nach vorne pepusht, mit nichts die elegante Balance gefährdet, die dieser Musik zu eigen ist. Und das muss man erst mal schaffen: zwei Gitarristen so miteinander spielen lassen, dass nirgends und nimmer Konkurrenz ins Spiel kommt. Genau das ist aber schon im ersten Stück des Programms, „Alborada del gracioso“ von Ravel, angesagt. Da darf keiner den Kapellmeister spielen und stiekum dirigieren … wie man das bei Gitarrenduos so oft hört und – schlimmer noch – sieht. Hier, bei Tracy Anne Smith und Rob MacDonald, gibt’s so was nicht!