Giuliani pop

Villa Lobos Guitar Manuscripts KassetteVilla Lobos Guitar Manuscripts 1Villa-Lobos: The Guitar Manuscripts 1
Guitar Concerto, Valse-Choro, Floresta do Amazonas
Andrea Bissoli, Guitar; Lia Serafini, Sopran; Federico Artuso, Guitar; Stefano Brait, Flute; Schola San Rocco Chorus; Francesco Erle; Minas Gerais Philharmonic Orchestra; Fabio Mechetti
Aufgenommen zwischen Dezember 2009 und Oktober 2012
NAXOS 8.573115

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Villa Lobos Guitar Manuscripts 2Villa-Lobos: The Guitar Manuscripts 2
Valsa Concerto Nº 2, Introdução aos Choros, Canção do Amor
Andrea Bissoli, Guitar; Gabriella Pace, Sopran; Ensemble Musagète, Minas Gerais Philharmonic Orchestra; Fabio Mechetti
Aufgenommen zwischen März 2010 und Mai 2013
NAXOS 8.573116

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Villa-Lobos: The Guitar Manuscripts 3
Villa Lobos Guitar Manuscripts 3Tarantela, Douze Etudes (1928), Fourteen folksong arrangements from Guia prático, O papagaio do moleque
Andrea Bissoli, Guitar; Ensemble Girandinha; Minas Gerais Philharmonic Orchestra; Fabio Mechetti
NAXOS 8.573117

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Villa-Lobos: Complete Guitar Manuscripts
Andrea Bissoli, Guitar; Minas Gerais Philharmonic Orchestra; Fabio Mechetti
Erschienen 2016
3 CDs im Schuber, NAXOS 8.503289
… gut drei Stunden anspruchsvollster Musik …

 

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Die Gitarrenkompositionen von Heitor Villa-Lobos (HVL – 1887–1959) kennen gitarrenaffine Hörer seit Jahrzehnten … oder sagten wir besser: eine Auswahl der Gitarrenkompositionen von Heitor Villa-Lobos? Zu dieser gehörten fünf Präludien, zwölf Etüden, ein Konzert mit Orchester, eine „Suite Populaire Brésilienne“ und ein paar Chôros.

Zwischen Heitor Villa-Lobos und Andrés Segovia hat es – auch, wenn das gerne anders dargestellt worden ist – keine „Liebe auf den ersten Ton“ gegeben. War der Brasilianer dafür vielleicht zu sehr Gitarrist … und damit für Segovia, der seine Weltkarriere plante, zu sehr Konkurrent? In Paris haben die beiden sich in den frühen 1920er Jahren kennengelernt. Von Villa-Lobos ist dieser Kommentar über sein erstes Zusammentreffen mit Segovia überliefert: „I met Segovia in 1923 or 1924 (I can’t remember exactly which year) […] I saw a young man with long hair, surrounded by women. I thought he was rather crass and arrogant. Costa, the Portuguese violinist, asked Segovia, if he knew Villa-Lobos […]. Segovia replied that Miguel Llobet, the Spanish guitarist, had told him about me and had shown him some of my works. I had written a Valsa-Concerto for Llobet (unfortunately the score is lost). Segovia remarked that he found my compositions unsuitable for the guitar and that I had used some elements which were alien to the instrument“ (Graham Wade & Gerard Garno, A New Look at Segovia: His Life – His Music, Pacific, MO 1997, Bd. I, S. 53). Dieser kurze Bericht belegt nicht nur, dass Villa-Lobos und Segovia sich zu Beginn ihrer Bekanntschaft eher abwartend oder abtastend gegenüberstanden, er enthält auch die erste Erwähnung eines Werkes von HVL, das als verschollen galt: Valsa-Concerto. Der brasilianische Komponist José Carlos Amaral Vieira (*1952) hat 1995 die Handschrift dieses Werks wiedergefunden, Andrea Bissoli hat einige fehlende Passagen ergänzt, 2014 ist es (bei Eschig) in Noten erschienen … und schließlich hier (auf CD Nº 2) eingespielt worden.

Villa Lobos‘ zuerst erwähnte Kompositionen für Gitarre sind, wie sein gesamtes Œuvre, von dem renommierten Verleger Max Eschig in Paris herausgebracht worden … mit Ausnahme einiger Petitessen oder unterschätzter Stücke, die entweder der Komponist selbst oder der Verleger nicht für eine Drucklegung geeignet hielten, weil sie ihnen als zu „gering“ erschienen. Außerdem waren die verlegerischen Konditionen, die Eschig mit dem jungen Komponisten Villa-Lobos vereinbart hatte, für diesen miserabel, wenn nicht strangulös: „Er [sc. HVL] musste einen Druckkostenzuschuss von der Hälfte der Gesamtkosten aufbringen und dennoch alle Weiterverwertungsrechte an den Verlag abtreten. Zwanzig Prozent erhielt der Komponist aus dem Verkauf, je zehn Prozent aus dem Verleih von Orchestermaterial sowie von Einnahmen aus dem Schallplattenverkauf“ (zitiert nach Manuel Negwers Standardwerk zu HVL, Villa-Lobos: Der Aufbruch der brasilianischen Musik, Mainz u.a., 2008, Schott, S. 136). Diese Bedingungen machten ein rasches Erscheinen von Folgewerken nicht nur schwierig, sie verboten es regelrecht, wenn man die begrenzten finanziellen Mittel, die Villa-Lobos zur Verfügung standen, in Betracht zieht.

So kam es dann auch, dass eine ganze Reihe von Kompositionen von VHL bis heute nicht im Druck erschienen sind. Zum Teil befinden sich deren Manuskripte im Museu Villa-Lobos in Rio de Janeiro, zum Teil auch im Archiv des Verlags Max Eschig in Paris oder in Privatbesitz … bis Musiker und Musikologen begannen, den Quellenbestand zu erforschen und bis der Verlag Max Eschig in den Besitz des weltweit agierenden Unternehmens Universal-Music-Group überging – nicht zu verwechseln mit der Wiener Universal Edition. Gemeint ist vielmehr das Schallplattenlabel UMG (=Universal-Music-Group), das die Produktionen von EMI und schließlich auch der „Deutschen Grammophon“ übernommen hat … neben diversen anderen Labels, versteht sich. UMG ist das größte der drei Major-Labels, zu denen noch SONY MUSIC und WARNER MUSIC gehören.

Vornehmlich Italiener waren es, die das Villa-Lobos/Segovia-Repertoire untersuchten und ergänzten. Natürlich steckte Angelo Gilardino, der einflussreiche italienische Gitarrist, Komponist und Wissenschaftler, hinter vielen Repertoireentdeckungen. Frédéric Zigante fand die Handschrift des Valse-Chôro und schließlich war es Andrea Bissoli, der die bisher bekannten unbekannten Werke von Heitor Villa-Lobos eingespielt hat … oder sagten wir besser, die bisher unbekannten Versionen bekannter Werke?

Warum zum Beispiel hat Andrea Bissoli die zwölf Etüden von HVL zum x-ten Mal aufgenommen, nicht aber die Préludes … die, so schreibt Negwer, ursprünglich aus sechs Einzelsätzen bestanden haben: „Ein sechstes Präludium soll im Spanischen Bürgerkrieg verloren gegangen sein, im Haus von Andrés Segovia, das von einer Bombe getroffen wurde. Inwieweit hier wieder Villa-Lobos‘ Fabulierlust zum Zuge kam, kann nicht geklärt werden, ebensowenig, ob die anderen Zeugen des Verschwindens des Werkes zunächst Villa-Lobos‘ Version verinnerlichten und sie dann in seinem Sinne wiedergaben.“ (S. 196) Villa-Lobos haben wir rückblickend als einen Menschen kennengelernt, der gern Ondits in die Welt gesetzt hat, Übertreibungen oder Halbwahrheiten, mit denen er sich keineswegs Vorteile erschwindelte, sondern die lediglich seiner „Fabulierlust“ entsprangen. Villa-Lobos erzählte gern Geschichten – auch musikalisch. So berichtete er von Kannibalen, vom Urwald und von Reisen, die er in seinem Heimatland Brasilien eimart Brasilien nie unternommen hat. „Das Bild, das die Pariser von Brasilien sehen wollten, floss […] in sein Werk ein: die Beschwörung des Regenwaldes, die Tänze und Flötenklänge der Indianer, die undefinierbaren Geräusche exotischer Instrumente, die Schreie tropischer Vögel, das Gesumme der Insekten und das Blinken der Glühwürmchen.“ (Negwer S. 144)

So ist die umfangreiche CD-Produktion von Andrea Bissoli möglich geworden und entstanden … aber: Es ist eine CD-Produktion und keine CD-Dokumentation … obwohl, das ist sie irgendwie auch. Aber uns liegt nicht das Protokoll einer wissenschaftlichen Untersuchung vor, sondern der digitalisierte Ausdruck eines sinnlichen und nicht nur wissenschaftlichen Beschäftigens mit dem „bedeutendsten und weltweit erfolgreichsten Komponisten Lateinamerikas.“ (Negwer, Klappentext) Andrea Bissoli und seine Interpreten-Kollegen haben nämlich diese Musik nicht seziert und schon gar nicht obduziert. Sie haben das Repertoire, das uns bisher bekannt war, mit Mut und viel Sachverstand ergänzt … und zum Klingen gebracht.

Andrea Bissoli hat an verschiedenen Hochschulen Italiens bei den Großen seines Fachs studiert, er hat den einen oder anderen Wettbewerb gewonnen, spielt dazu in verschiedenen Kammermusikbesetzungen auf modernen und jeweils zeitgenössischen Gitarren … dabei ist er kein Interpret, der Lösungen für die größten technischen Schwierigkeiten quasi „aus dem Ärmel schüttelt“. Nein, hie und dort merkt der aufmerksame Zuhörer – in schnellen Passagen wie der siebten Etüde zum Beispiel – dass Andrea Bissoli durchaus mit technischen Problemen zu kämpfen hat … dass nicht alles rund läuft. Aber wir reden hier über eine Aufnahme von gut drei Stunden anspruchsvollster Musik. Dass da beim einen oder anderen Hörer Wünsche offenbleiben, versteht sich von selbst!