Giuliani pop

Leo Brouwer Concierto de BenicasimLeo Brouwer: Concierto de Benicàssim
Werke von Brouwer, Frank Martin und Rodrigo
Miguel Trápaga, Guitar; Real Filharmonía de Galicia; Óliver Díaz
Aufgenommen im Juni 2015, erschienen 2016
NAXOS 8.5735542
… mit Charme und Akkuratesse …


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Das „Concierto de Benicàssim“ ist Leo Brouwers neuntes Konzert für Gitarre und Orchester. 2002 ist es von Gabriel Estarellas uraufgeführt worden, danach verschwand es, so heißt es im Booklet, für zehn Jahre in den Schubladen von Musikproduzenten, bis Miguel Trápaga es mit dem Orquesta Sinfónica Simón Bolivar im Teatro Teresa Carreño in Caracas wieder gespielt hat.

Geschrieben hat Leo Brouwer das Konzert im Jahr 2002 anlässlich des 150. Geburtstags von Francisco Tárrega (1852–1909) – immerhin findet in Benicàssim seit 1968 der „Certamen Internacional de Guitarra Francisco Tárrega“ statt … im gerade verstreichenden Jahr 2016 zum fünfzigsten Mal also.

Das Programm der CD enthält neben dem Brouwer-Konzert den Repertoire-Dauerbrenner „Concierto de Aranjuez“ von Joaquín Rodrigo und die Orchesterfassung der „Quatre Pièces Brèves“ von Frank Martin. Javier Suárez–Pajares, der Autor der sleeve-notes für die CD, nennt das Jahr 1933 ein „annus mirabilis“. In diesem Jahr hat Rodrigo die „Toccata“ für Regino Sáinz de la Maza geschrieben, die Suárez–Pajares für eine Art Vorarbeit für das „Concierto de Aranjuez“ hält; Antonio José hat seine Sonata komponiert, die erst nach 1990 gespielt werden sollte; Frank Martin hat seine vier Stücke (Quatre Pièces Brèves) geschrieben, die auch lange unbeachtet blieben. Aber: Das Jahr 1933 als „annus mirabilis“ zu bezeichnen, käme mir allein deshalb nicht über die Lippen, weil Adolf Hitler gerade in diesem Jahr zum Reichskanzler gewählt wurde und weil exakt mit diesem Ereignis, das von den Nazis als „Machtergreifung“ heroisiert wurde, unendliches Unheil über Millionen von Menschen kommen sollte. So ist das Jahr 1933 – mindestens aus meiner Sicht – ein „annus horribilis“ gewesen!

Das „Concierto de Benicàssim“ lässt – auch, wenn seine Widmung etwas anderes vermuten lässt – kaum ahnen, dass es Bezug auf Tárrega nimmt. Nicht, dass ständig aus Stücken von Tárrega zitiert, nicht; dass tief in die Schatzkiste von Tárregas Salonmusik gegriffen würde, keineswegs! Aber ein Tremolo hier, eine zart anklingende Mazurka dort, das reicht … und ist so diskret, dass mich sogar Javier Suárez–Pajares darauf aufmerksam machen musste!

Leo Brouwer spielt in seinen Solokonzerten gern mit den Möglichkeiten des Schlagwerks, produziert Stimmungen und herbe Stimmungswechsel mithilfe der zahllosen Möglichkeiten des da zur Verfügung stehenden Instrumentariums. Auch im „Concierto de Benicàssim“ nutzt Brouwer, wenn auch diskret, die klanglichen Potenzen eines voll ausgestatten Orchesters, wobei er das Gleichgewicht von Gitarre als Soloinstrument auf der einen und Orchester auf der anderen Seite wie immer sicher und auf elegante Art bewahrt. Da hat Leo einfach viel Erfahrung als Gitarrist, Dirigent und schließlich als Komponist von acht weiteren Konzerten für diese Besetzung.

Das Brouwer Concierto N° IX ist streckenweise romantisch, dann auch heroisch ausgelegt. Die Gitarre wird dabei oft eingesetzt, das melodische Material, das von Holzbläsern bestimmt wird, zu umspielen und auszuzieren … in den „großen Szenen”, mit Blech und Pauken zum Beispiel, wird sie (naturgemäß) zum Statisten. Aber über dieses Schicksal muss die Gitarre erhaben sein, es bestimmt ihre Position im Musikleben schon, seit sie sich zum Konzertinstrument gemausert hat. Geändert hat sich inzwischen die klangliche Präsenz der Instrumente – und die handwerkliche Potenz der Komponisten.

Die Komposition „Guitare“ von Frank Martin ist natürlich die Orchesterfassung der „Quatre Pièces Brèves“ von Frank Martin. In der internationalen Gitarrenpresse ist die Geschichte dieser vier Solostücke vor zwanzig Jahren kolportiert und schließlich verlässlich beschrieben worden. Wir wissen, dass der große Segovia das Werk links liegen gelassen hatte, weil es ihm nicht gefiel und dass der Dirigent Ernest Ansermet den Komponisten gedrängt hatte, seine Stücke zu orchestrieren. Er tat es – hier ist die Fassung eingespielt! Entstanden ist die Version 1934 und die aufgeklärten Gitarristen von heute kennen die Version natürlich … obwohl sie selten zu hören ist.

Ob das „Concierto de Benicàssim“ wie so viele „Artgenossen“ das Schicksal erleiden wird, dass es einmal und dann für etliche Jahre nicht mehr aufgeführt wird, bleibt erneut abzuwarten … schließlich hat die Komposition dieses Fatum schon einmal überlebt. Trápaga hat jetzt eine Art „zweite Welturaufführung“ gespielt und eingespielt – hier ist sie!

Miguel Trápaga ist ein erfahrener Solist und als Dozent am Real Conservatorio Superior de Música in Madrid tätig. Den langsamen Satz des „Concierto de Aranjuez“ zelebriert er, dabei kostet er das sicher berühmteste Wechselnotenmotiv der Musikgeschichte genüsslich aus. Man hört, dass er dieses Konzert schon oft gespielt hat … gelegentlich allerdings auch daran, dass ihm das eine oder andere Detail des Konzerts nicht wichtig genug ist, um ihm die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken, wie dem Gesamtwerk. Aber auch die Real Filharmonia de Galicia, die in Santiago de Compostela zuhause ist, ist nicht ohne Fehl und Tadel, obwohl … das gesamte Programm der CD wird mit Charme und Akkuratesse präsentiert.