Dowland: Lachrimæ
Thomas Dunford, Laute und Leitung; Ruby Hughes, Sopran; Reinoud van Mechelen, Tenor; Paul Agnew, Tenor; Alain Buet, Bass
Aufgenommen im Juli und August 2012, erschienen 2016
Laute von Paul Thomson (2006)
ALPHA-Classics 326, im Vertrieb von Note-1
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[Zum Thema „Lachrimæ“ ist am 9. November 2016 unter FLORILEGIUM außerdem diese Besprechung erschienen.]
„Lachrimæ“ heißt diese CD … allerdings hat das eingespielte Programm mit John Dowlands „LACHRIMÆ, OR SEAVEN TEARES FIGURED IN SEAVEN PASSIOnate Pavans“ aus dem Jahr 1604 nur mittelbar zu tun. „Lachrimæ“ (lat. „Tränen“) flossen in England in der Literatur und in Liedtexten des 16. und frühen 17. Jahrhunderts häufig. „Die Melancholie gehört zu den Grundzügen der Musik Dowlands“, schreibt Thomas Dunford im Booklet … allerdings war sie ein Kulturphänomen, dem nicht nur der große John Dowland anhing. Und die Melancholie war auch keine Krankheit, wie Dunford ausführt. Er schreibt: „Zahlreiche Musiker, unter ihnen Dowland, litten an ihr, und das ermöglichte ihnen ein hohes Maß an Expressivität.“ Wenig später: „Jene »Krankheit« hing mit der tiefen Frustration darüber zusammen, dass er [Dowland] nicht am Hof Elisabeth’s [sic] wirken durfte.“ Abgesehen von dem logischen Fehler in dieser Argumentationskette, war die Melancholie keine Krankheit, keine Depression – es war eine Mode, die in England immer weitere Kreise zog, für die es aber auch „auf dem Kontinent“ Beispiele gibt. Man betrachte in diesem Zusammenhang Albrecht Duerers Stich „Melencolia“ von 1514, der oft als Symbol für die in den Künsten verbreitete Grundstimmung gilt.
Das Programm der CD besteht zum größten Teil aus Lautenliedern von John Dowland, von denen, wie Anthony Rooley schreibt (in: EARLY MUSIC I/1983), allein vierzehn „songs of darkness“ sind. Und da Dowland für seine Lieder mehrere Besetzungsvarianten eingeräumt hat, kommen wir in den Genuss großer klanglicher Vielfalt. Sein „First Booke“ stellt der Komponist so vor: „THE FIRST BOOKE OF Songes or Ayres of fowre partes with Tableture for the Lute: So made that all partes together, or either of them severally may be song to the Lute, Orpherian or Viol de gambo“. Dazwischen gibt es auf der CD Solokompositionen für Laute – auch von Dowland – und hier sind die ausgewählt, die Trauer und Melancholie ausstrahlen: „Semper Dowland, semper dolens“, „Mellancholy Galliard“, oder auch „Lachrimæ“.
Thomas Dunford, der Lautenist, spielt sehr kontrolliert und dafür, dass er bei Paul O’Dette gelernt hat, zurückhaltend akademisch … dass er von Hoppy Smith, dem Intellektuellen der Zunft, die Basler musikalischen Weihen erhalten hat, bleibt einem nicht verborgen, wenn man seine sensibel gewählten Tempi auf sich wirken lässt und das Licht bewundert, in dem sie die Stücke wirken lassen.
Das Gesangsensemble ist mit vier Sängern besetzt: Sopran, zwei Tenören, Bass. Einer singt so kultiviert, wie der andere; einer so klangbewusst wie der nächste. Englische Chortradition! Cambridge vielleicht? Nein, Oxford. Magdalen College.
Man kann diese CD nur jedem empfehlen! Es sind andere Tränen, die sie vergießt; andere Schwerpunkte, die sie schafft. Sie hat, das habe ich schon gesagt, mit „Lachrimæ“ wenig (oder nur mittelbar) zu tun, mit Dowland sehr viel und mit Tränen freilich auch. Hier konnten die Interpreten aus verschiedenen Partituren spielen, hier konnten sie improvisieren und mit Möglichkeiten experimentieren. Schließlich ist es ja so, dass man die Lieder von Dowland – auch, wenn sie für verschiedene Besetzungen vorgesehen sind – fast ausschließlich als Sololieder mit Lautenbegleitung angeboten bekommt. Das ist sehr schön und ich habe zwischen Peter Pears und Nigel Rogers oder Emma Kirkby wunderbare Aufführungen und Aufnahmen gehört. Aber hier wird eine alte und doch neue Dimension Dowland präsentiert. Genießen Sie beispielsweise „Can she excuse“, das Lied, das man immer wieder aufs Neue hört, gesungen in vollem Quartettsatz von Sängern dieser außergewöhnlichen Qualität und Abstimmung. Ein Vergnügen!