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Valentini: Complete Mandolin Sonatas
Pizzicar Galante: Anna Schivazappa, Barockmandoline; Fabio Antonio Falcone, Cembalo; Ronald Martin Alonso, Viola da Gamba; Daniel de Morais, Theorbe
Aufgenommen im Oktober 2015, erschienen 2016
Brilliant Classics 95257
… entsprechen den Vorstellungen von Thomasius und meinen in Gänze!
Roberto Valentini war, man wird es kaum glauben, Brite. Als Robert Valentine ist er gegen 1674 in Leicester zur Welt gekommen. Als junger Mann machte er sich, weil er in seiner Heimatstadt kein Auskommen fand, auf nach Rom und versuchte dort, als Flötist, Oboist und Komponist seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Genannt wurde er in seiner Wahlheimat italianisiert „Roberto Valentini“ … oder, um Verwechslungen auszuschließen, „Roberto Valentini Inglese“.
Der Englische Valentini machte Karriere. Band 9 von RISM (Répertoire International des Sources Musicales – Internationales Quellenlexikon der Musik, Einzeldrucke vor 1800) verzeichnet immerhin 13 gedruckte Opera, einige davon erschienen in mehreren Auflagen und unterschiedlichen Ländern. Als op. 12a [V 80] sind 1730 in Rom bei Antonio Cleton als Partitur herausgekommen:
- Sonate [lt. RISM: A, d, G, g, h, D] per il flauto traversiero col basso che possono servire per violino, mandola et oboe … opera XII
Die Besetzung war also Traversflöte und Basso Continuo mit Violine, Mandoline (mandola) oder Oboe als Alternativbesetzungen.
Was hier als „Mandola“ bezeichnet wird, ist eine Frühform der Mandoline. Anders, als die „klassische“ oder „Neapolitanische Mandoline“, wie wir sie heute kennen, war sie noch nicht mit Metallsaiten bezogen. Die „Mandola“, die auch gelegentlich „Mandolino genannt wurde, war im 18. Jahrhundert in Benutz und nichts anderes, als ein vier- bis sechschöriges Lauteninstrument mit je zwei Darmsaiten pro Chor und einem aufgeleimten Saitenhalter (wie bei Gitarre und Laute). Gestimmt war der Mandolino in Quarten (wie eine Laute) und nicht in Quinten (wie die spätere Mandoline).
Die berühmtesten uns überlieferten Kompositionen für Mandolino sind die bekannten Stücke von Antonio Vivaldi. Dort wird das Instrument „Leuto“ genannt (s. Besprechung: Laute, Theorbe, Barockgitarre … Alte Musik in neuen Aufnahmen).
Ein zweiter Komponist war am Repertoire der CD, um die es hier geht, beteiligt: Pietro Giuseppe Gaetano Boni (fl. 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts). Von ihm sind drei Sonaten eingespielt, und zwar aus dieser Ausgabe (auch nach RISM [B 3490]):
- Divertimenti per camera a violino, violone, cimbalo, flauto e mandola … opera seconda
Im Druck, der auch bei Cleton in Rom erschienen ist, heißen die Sonaten von Pietro Giuseppe Gaetano Boni „Divertimenti“, drei davon hat Anna Schivazappa ins Programm ihrer CD aufgenommen.
Wir befinden uns stilhistorisch am Ende der Barockzeit bzw. in der Findungsphase zwischen „gelahrter“ polyphoner Musik und dem, was wir heute noch wechselweise „galant“ nennen, „empfindsam“, „Sturm und Drang“ oder gar „Vorklassik“ … alles, ohne greifbare Unterscheidungsmerkmale im Portefeuille zu haben! Und doch: Die Mandoline ist irgendwie der Inbegriff von Galanterie – allerding nicht die, die in Zupforchestern oder als „italienische Farbe“ in Filmmusiken gezupft wird. Für die postbarocke bis präklassische Musik, um die es jetzt geht, ist allerdings der leichte, fast fragile Klang des Mandolino eine klangliche Bereicherung besonderer Art … vor allem, wenn er so unaufdringlich virtuos gehandhabt wird, wie es Anna Schivazappa tut. Das Ensemble hat sich, wie sein Name schon verrät, der vernachlässigten „galanten Musik“ verschrieben, die insofern selten bei Aufnahmen oder in Konzerten berücksichtigt wird, als sie irgendwie „zwischen zwei Stilen hängt“ … und gerade dadurch besonders interessant und spannend ist. Denn nicht einmal die Schriftsteller der galanten Zeit haben verständlich erklären können, was das Galante denn eigentlich ausmachte. Christian Thomasius schrieb in seinem Buch „Von Nachahmung der Franzosen“ im Jahr 1687:
“Aber ad propos was ist galant und ein galanter Mensch? Dieses dürffte uns in Wahrheit mehr zuthun machen als alles vorige, zumahlen da dieses Wort bey uns teutschen so gemain und so sehr gemißbraucht worden, daß es von Hund und Katzen, von Pantoffeln, von Tisch und Bäncken, von Feder und Dinten, und ich weiß endlich nicht, ob nicht auch von Äpffel und Birnen zum öfftern gesagt wird. So scheinet auch, als wenn die Frantzosen selbst nicht einig wären, worinnen eigentlich die wahrhafftige galanterie bestehe … Ich aber halte meines bedünckens davor, daß Mons. Vaugelas und Mons. Costar die Eigenschafft der Galanterie ein wenig genauer und deutlicher beschrieben haben, daß es etwas gemischtes sey, so aus dem je ne scay quoy, aus der guten Art etwas zuthun, aus der manier zu leben, so am Hofe gebräuchlich ist, aus Verstand, Gelehrsamkeit, einen guten judicio, Höfflichkeit, und Freudigkeit, zusammen gesetzet werde, und deme aller zwang, affectation, und unanständige Plumpheit zuwider sey.“ [S. 10]
Das schafft Klarheit … oder? Die Sonaten von Valentini und Boni jedenfalls und deren Aufführung durch das Ensemble „Pizzicar Galante“ entsprechen den Vorstellungen von Thomasius … und meinen! Die Interpretationen sind höfisch und höflich, fein ausbalanciert, anmutig verziert … galant eben!