Giuliani pop

Coles Fire Dance CDPaul Coles
EDITION: Momentos Españoles: 16 middle-grade solos for classical guitar/16 mittelschwere Stücke für Gitarre
UNIVERSAL EDITION UE21671. ISMN 979-0-008-08697-7, ISBN 978-3-7024-7367-9, € 13,–

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CD: FIRE DANCE: Ian Watt plays the Music of Paul Coles
Aufgenommen im September 2015, erschienen 2016
NIMBUS ALLIANCE NI 6329, im Vertrieb von NAXOS
Musik „aus aller Herren Länder“

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Paul Coles ist Waliser und schreibt Musik „aus aller Herren Länder“. Die UE hat jetzt spanische Momente aus seiner Feder veröffentlicht, Ian Watt spielt ähnliche aus Venezuela, Irland, Lateinamerika und sogar aus England … nein, stopp! Coles‘ „Coniston-Suite“ bezieht sich nur mittelbar auf Coniston Water, den drittgrößten See des Lake District, dies ist also kein Landschaftsgemälde … oder, sagen wir, nicht nur! Auch die „Coniston-Suite“ enthält Sätze, die „good old England“ beschreiben und besingen, aber auch die komponierte Geschichte des Rennfahrers Donald Campbell. Vielleicht erinnern Sie sich: Donald Campbell (1921–1967) war gleichzeitig Motorboot- und Automobilrennfahrer und hat am 4. Januar 1967 versucht, einen Geschwindigkeitsrekord zu Wasser aufzustellen. Das fand statt auf Coniston Water, dem See, der, wie Campbell annahm, die verlässlich glatteste Oberfläche bot, die für den Rekord notwendig war. Die Geschwindigkeit, die Campbell erzielen wollte, war 300 mph (482,7 kmh).

UE21671Aber selbst die glatteste Oberfläche war für den gewagten Rekordversuch nicht glatt genug. Campbells Rennboot Bluebird überschlug sich bei 527 kmh[!]. Der Pilot kam dabei ums Leben, allerdings lebte die Legende, die sich um den wagemutigen Mann rankte, noch lange weiter … schließlich liebt England seine Helden immer schon und ganz besonders. Das Wrack des Rennboots und der Leichnam seines Piloten wurden allerdings erst knapp 34 Jahre nach dem Unfall gefunden und geborgen.

Paul Coles hat Musik komponiert, die durchwegs programmatischen Hintergrund hat. Programmatischen, nicht touristischen und schon gar nicht entliehenen! Wenn Coles eine „Danza Brasileña“ schreibt, die erstaunlicherweise in der Ausgabe „Momentos Españoles“[!] steht, dann hat er nichts kopiert oder paraphrasiert, dann hat er das zu tun versucht, was beispielsweise Georges Bizet beim Komponieren seiner Oper „Carmen“ getan hat. Er hat „Spanisches“ eingefangen, kondensiert und daraus wieder „Spanisches“ komponiert. Er hat nicht, wie es seinerzeit zum Beispiel Siegfried Behrend (1933–1990) überwiegend getan hat, schlichtweg Versatzstücke aus allen möglichen Ländern zusammengewürfelt, um Musiken daraus zu erfinden, die exotisch rochen, dufteten oder schmeckten. [Nebenbei bemerkt: Sigi Behrend soll ein guter Koch gewesen sein, der gerne und gut Rezepte von hie und dort umgesetzt und dabei gewürfelte Aromen nicht verwendet hat … anders, als beim Komponieren!]

Allerdings können heute solche Zaubertricks niemanden mehr in Bewunderung versetzen. In einer Zeit, in der die Welt jedem offensteht und sie fast jeder für eine Handvoll Dollars erfliegen kann, haben musikalische Reiseberichte irgendwie an Attraktivität verloren. Schade irgendwie! Aber damals ist Behrend vom Goethe-Institut durch die Welt geschickt worden, um für deutsche Kultur zu werben … ob das gelungen ist?

Bei Paul Coles ist das anders, er beherrscht das kompositorische Handwerk! Auch er schwärmt durch die Welt, hat dieses und jenes Land besucht und beschrieben, dieses und jenes Sentiment erforscht und zum Ausdruck gebracht … allerdings hat er dabei nie gevolkstümelt und der ZDF-Fernsehgarten, vor dem Behrend sich vermutlich nicht geschämt hätte, ist ihm sicher fremd. Allerdings passt er auch nicht so recht in die Garde der UE-Komponisten, zu der immerhin die großen musikalischen Veränderer und Revoluzzer der letzten hundert Jahre gehört haben.

Ian Watt, der Interpret, kommt aus Schottland, hat die nötigen Wettbewerbe gewonnen, ist in vielen Ländern aufgetreten … und, auch das hat gelegentlich Bedeutung: Er spielt gut; kommt der Musik nah, die er da präsentieren soll oder möchte; hat alles, was man als Gitarrist heutzutage braucht und sieht wie jemand aus, der auf internationalen Bühnen präsentabel ist.

Neben der „Coniston Suite“, einer „Irish“ und einer „Venezuelan Suite“ sind Einzelsätze im Programm enthalten, die viel Charakter verraten und viel tänzerischen Charme. Die „Momentos Españoles“ erfordern tatsächlich mittlere spieltechnische Fertigkeiten und sind dankbare Vortragsstücke.