CD: Rudolf Leberl: Selected Works for Guitar Solo
Fabian Hinsche, Guitar
Aufgenommen im Juli und Oktober 2013, erschienen 2016
NAXOS (2 CDs) 9.70244–245
… Und wenn sie so gespielt werden, haben sie auch im Gitarrenrepertoire eine gute Chance! …
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Ausgabe: Rudolf Leberl,
Acht Vortragsstücke Werk 46, Neun Spielstücke Werk 48 für Gitarre solo
herausgegeben von Barbara Polášek
Edition Chanterelle im Allegra Musikverlag
ECH 0758, ISMN 979-0-2047-0758-4, € 15,90
Rudolf Leberl? Bei Wikipedia ist er nicht vertreten, auch nicht in den beiden Auflagen der MGG, bei Riemann, Grove, Ragossnig … und nicht einmal bei Moser (Katalog Gitarre-Musik von 1985). Dafür weiß Amazon von einem Verzeichnis seiner Opera, das aber nicht mehr verfügbar ist, höchstens in Bibliotheken (auch privaten) oder Antiquariaten:
Thomas Englberger (Hrsg.), Systematisch-chronologisches Verzeichnis der Werke von Rudolf Leberl (1884–1952), [Veröffentlichungen des Sudetendeutschen Musikinstituts, Allgemeine Reihe, hg. v. Widmar Haser, Band 2], 1994, 194 S., ISBN 3-9803294-4-5
Das Verzeichnis verrät, dass Rudolf Leberl ein bemerkenswert großes Œuvre hinterlassen hat – allerdings sind zu seinen Lebzeiten keine Kompositionen im Druck erschienen. Viele der insgesamt 1500 Werke sind aber handschriftlich überliefert, in der ÖsterreichischenNationalbibliothek in Wien oder im Sudetendeutschen Musikinstitut in Regensburg aufbewahrt und dort auch einzusehen.
Die vorliegende neue Ausgabe von Barbara Polášek enthält eine Biographie des Komponisten, geschrieben von seiner Tochter Gertrude Leberl-Bauer. Demnach und aufgrund der Informationen im Booklet der CD, wissen wir, dass der Komponist 1884 in Hoch-Semlowitz in Böhmen geboren wurde, zur Zeit des K.u.K.-Kaiserreichs also. Er lernte von seinem Vater verschiedene Instrumente: Klavier, Violine, Orgel, Bratsche, und schließlich Gitarre. „Die Autorin (und Tochter) schreibt: „Müßig zu betonen, dass er alle diese Instrumente in Kürze beherrschte.“, Danach studierte er Musik und Komposition [?] in Prag und Wien.
Von 1922 bis 1938 war er Professor/Lehrer für Musik in Böhmisch Budweis. Er gehörte schon zu dieser Zeit aufgrund der regionalen Verschiebungen nach dem Ersten Weltkrieg der ethnischen Minderheit der Sudetendeutschen an. Nach 1938 und nachdem Nazi-Deutschland in Österreich einmarschiert war – Hitler nannte das euphemistisch den „Anschluss Österreichs“ – unterrichtete Leberl gezwungenermaßen in Prachatitz. Danach, 1941, trat er in den erzwungenen Ruhestand und floh nach dem Krieg nach Bayern. Dort lebte er bei seiner Tochter Gertrude. Seine Noten, die er zurücklassen musste, wurden von Schülern gerettet und später nach Bayern gebracht. 1952 starb Leberl – arm, krank und erblindet, wie es im Booklet heißt – in der Nähe von Regensburg.
Rudolf Leberl schrieb an Gitarrenmusik – die interessiert hier in besonderem Maße – vornehmlich Zyklen kürzerer Stücke wie Spielstücke, Vortragsstücke, „Kleine Stücke“, Tänze, Charakterstücke, vermutlich, weil er damit größtmögliche Freiheit behielt. Außerdem, konnte er damit seinem musikalischen Ideal am nächsten bleiben, dem Lied. Rudolf Leberl hat nur Lieder komponiert, ob es nun Sonaten, Sonatinen waren oder Suiten … alles Lieder, und das bitte ich, nur positiv zu werten! Rudolf Leberl hat für jeden kleinen Einzelsatz Melodien entwickelt und ausgebreitet, über die auch Schubert glücklich gewesen wäre. Und er hat Geschichten erzählt, die eines Liedes würdig sind.
Hinzu kommt die harmonische Fülle und Weite, die Leberl in seinen Stücken entwickelt at! Es sind die Weiterführungen und Schlüsse, die originell und unerwartet in Richtungen weisen, die ins ganz und gar „Non-banale“ führen. Sie zeigen Rudolf Leberl als vielleicht nicht genialen, aber doch tüchtigen und höchst anspruchsvollen Komponisten. Er hing seiner Zeit hinterher, war kein Neutöner und nicht einmal zeitgemäß … aber er schrieb wunderbare Gitarrenmusik!
Die beiden Zyklen, die Barbara Polášek herausgegeben und Fabian Hinsche eingespielt hat, sind zwischen 1924 und 1926 entstanden, in den paar Jahren zwischen zwei furchtbaren Kriegen. Dass in dieser Zeit romantische liedhafte Piècen entstanden sind, verwundert – und auch nicht, denn sicher stand Vielen der Sinn eher nach problemloser, anspruchsvoller Unterhaltung … aber es waren nicht nur Nachkriegsjahre, es waren auch die „Roaring Twenties“, die durchlebt wurden, aber die waren Leberls Ding ganz offenbar nicht. Zwischen Charleston und Ragtime war für ihn kein Platz.
Am Entstehen von Ausgabe und CD waren namhafte und kompetente Menschen beteiligt. Barbara Polášek hat die makellose Edition angefertigt, Jan de Kloe den Notensatz. Hubert Käppel trat als Produzent der CD in Erscheinung, Gertrude Leberl-Bauer als Autorin des einleitenden Beitrags mit dem Titel „Mein Vater Rudolf Leberl – Komponist und Musikprofessor“, der, nebenbei bemerkt, eine redaktionelle Überarbeitung gut vertragen hätte.
Und natürlich Fabian Hinsche! Er spielt die romantischen Miniaturen mit der gebotenen Distanz und großer Delikatesse. Er pusht die Stücke nicht hoch zu Dramen, lässt sie aber wirken als das, was sie sind, als romantische „Lieder ohne Worte“. Und wenn sie so gespielt werden, wie Hinsche es tut, haben sie auch im Gitarrenrepertoire eine gute Chance! Dank an Fabian Hinsche!