Giuliani pop

Dowland Chance BeierJohn Dowland: In darkness
Michael Chance, countertenor; Paul Beier, lute
Aufgenommen zwischen 2011 und 2014, erschienen 2015
Laute: Michael Lowe 1979
Stradivarius STR 33914, im Vertrieb von Note-1
unaufdringlich dem jeweiligen Werk folgend

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Von betörender Schönheit ist Michael Chance’s Stimme! Betörend schön, klar und unaufdringlich. Paul Beier, sein Begleiter, führt ihn durch das Programm, das zur Hälfte aus Solostücken besteht, zur anderen aus Lautenliedern.

Das Motto der CD, „In darkness“ geht zurück auf den Text des ersten Liedes des Programms: „In darknesse let mee dwell“ aus Dowlands „Musicall Banquet“ von 1610.

In Finsternis will ich hausen, Betrübnis sei das Fundament
Das Dach Verzweiflung, die jeden frohen Lichtstrahl hemmt;
Die Wände schwarzer Marmor, der Nässe schwitzt und weint;
Und höllisches Gekreisch sei die Musik, die mir den freundlichen Schlaf vertreibt.
Und so, mit meinem Leid vermählt und in mein Grab gebettet,
So lasst mich lebend sterben, bis dass der Tod mich rettet
.

[Übersetzung von Christian Kelnberger, Text und Musik bei John Dowland, Passau 1999, S. 411]

Was uns hier wie in den meisten anderen Liedern Dowlands umfängt, ist weder Verzweiflung noch Depression, es ist Melancholie, die sich insofern von den beiden anderen Gemütszuständen unterscheidet, als sie nicht unbedingt von außen initiiert oder begründet entsteht (oder vorherrscht). Die Melancholie kann auch einen beabsichtigten, intellektuell begründeten Zustand beschreiben … was hier, im England des späten 16. Jahrhunderts naheliegt. Historiker meinen gar von einer „Melancholiebewegung“ sprechen zu können, die vorherrschte. Melancholy was in fashion!

Das oft geäußerte „memento moriendum esse“ (oder, im Mönchslatein simplifiziert zu „memento mori“), die Mahnung, dass mit der Geburt das Sterben beginnt und dass man sich dessen, bitteschön, jederzeit bewusst sein soll, war eine Geisteishaltung des Mittelalters, die in die Vanitas-Mahnung der Renaissance und besonders des Barock einfloss:

Du sihst | wohin du sihst, nur eitelkeit auff erden.
Was dieser heute bawt
| reist jener morgen ein:
Wo itzund städte stehn
| wird eine wiesen sein,
Auff der ein schäffers kind wird spilen mitt den heerden

[Sonett von Adreas Gryphius aus dem Jahr 1643] Jeder Geltungsdrang wurde verurteilt, im Umfeld des reformatorischen Bildersturms bildliche Darstellungen in Kirchen, Kirchenfenster und sogar Orgeln.

Aber die Melancholiebewegung, wie wir sie in England vorfinden und wie sie Robert Burton in seinem Standardwerk „The Anatomy of Melancholy“ 1621 beschrieben hat, war weder theologisch noch historisch oder gesellschaftlich begründet. England ging es zur Zeit Elizabeths I. (1533/1558–1603) gut, und zwar, was kriegerische Auseinandersetzungen angeht (Beispiel: Sieg gegen die spanische Armada 1588), aber auch künstlerisch (Shakespeare, Ben Johnson) oder wissenschaftlich (Bacon) und wirtschaftlich.

Schon im ersten Lied, „In darknesse let mee dwell“, entführt einen Michael Chase in die Welt Dowlands, in die seltsam düstere, Grundstimmung seiner Lieder. Das macht er, unaufdringlich dem jeweiligen Werk folgend. Dabei schiebt er seine, wie gesagt, „betörend schöne Stimme“ nicht in den Vordergrund und macht auch keineswegs aus dem Melancholischen Tragisches. Nein, Michael Chance singt Dowland.

Und Paul Beier? Er wirkt im Hintergrund, seine Solostücke sind nicht einmal technisch nach vorne geholt, sie sind da, wo seine, „schmalbrüstige“, übrigens Darm-besaitete, Laute sie hingestellt hat … „schmalbrüstig“ natürlich nur, was die Lautstärke angeht Man muss hinhören! Aber das hat ja bei Musik noch nie geschadet.

Paul Beier ist kein Virtuose und kein Klangzauberer – beides findet man durchaus in der internationalen Lautenistengilde! Aber Beier ist ein Musiker, der nicht sich selbst im Vordergrund sieht, sondern die Musik – das mag wie eine wohlfeile Floskel klingen … aber es ist so gemeint!