Balkan Muses
Zoran Dukić, Guitar
Werke von Bogdanović, Ourkouzounov, Tadić, Ivanović, Papandopulo, Paraskevas
Aufgenommen im November 2013, erschienen 2014
GHAClassical 126.068, im Vertrieb von New Arts International
… Für mich ist er die Idealbesetzung!…
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Mit „Six Balkan Miniatures“ von Dušan Bogdanović beginnt Zoran Dukić sein Programm, mit sechs Stücken von jeweils maximal anderthalb Minuten Dauer und quirliger musikalischer Vielfalt. Sie, diese Vielfalt, wird dadurch generiert und unterstützt, dass dezidiert kurze, kontrastierende Elemente gegenübergestellt werden, deren Grundmaterial aus der Folklore der Länder des ehemaligen Jugoslawien stammen, die lange als aus einer ethnischen Gruppe stammend verkannt worden sind. Die Volksrepublik Jugoslawien, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden war, zerfiel im Anschluss an die Kriege von 1991 und später wieder in Einzelrepubliken … deren Künstler und Intellektuelle sich wieder ihrer vielfältigen Traditionen besannen. Auch der musikalischen!
Begonnen werden die „Balkan Miniatures“ mit einem Morgentanz („Jutarnje Kolo“), gefolgt von einem getragenen Lamento („Žalopojka“). Der dritte Satz, „Vranjanka“, ist – nach Auskunft des Komponisten – der einzige des Zyklus; der auf eine tatsächlich vorhandene Melodie oder auf ein Thema der Volksmusik Bezug nimmt. Die anderen Sätze hätte Béla Bartók „folklore imaginaire“ genannt oder Eduardo Falú „komponierte Folklore.“ (Falú ist übrigens, wie ich im Laufe der Recherchen für diese Besprechung leider erst viel zu spät erfahren habe, am 9. August 2013 im Alter von neunzig Jahren in Córdoba in Argentinien gestorben. Geboren war er am 7. Juli 1923).
Von Atanas Ourkouzounov, wird dessen „Sonata Nº 1“ gegeben. Ourkouzounov ist Bulgare und in Sofia großgeworden. Dort hat er bei Dimitar Doitchinov und später in Paris bei Arnaud Dumond, Alexandre Lagoya und Olivier Chassain Gitarre studiert. Neben seiner Tätigkeit als ausübender Musiker hat er mehr als achtzig Stücke für Gitarre geschrieben – darunter diverse Kammermusikwerke und zwei Konzerte.
Die „Sonata Nº 1“ verbirgt nicht, dass ihr Komponist selbst Gitarrist ist – warum sollte sie auch? Ihre „klassische“ Satzfolge Allegro assai–Adagio quasi canzone–Vivo lässt ahnen, dass Ourkouzounov mit dem klassischen Repertoire (nicht nur dem für Gitarre) vertraut ist, dass er aber gleichzeitig aus dem großen Klangfundus seiner heimatlichen Volksmusik schöpft. Vor allem im dritten Satz („Vivo“) spielt er mit rhythmischen Elementen, mit Melodien und verbindet gleichzeitig Elemente aller drei Sätze seiner eigenen „Sonata Nº 1“ auf souveräne Weise miteinander. Entstanden ist eine komplexe Komposition, die dazu ihre Heimat, den Balkan, nirgends und niemals verleugnet.
Weiter geht es mit zwei Stücken von Miroslav Tadić: „Makedonsko devojče“ (Mazedonisches Mädchen) und „Kalajdžiko oro“ (Mazedonischer Tanz). Tadić ist in Serbien zur Welt gekommen, wo er ersten Unterricht im Fach Gitarre bekommen hat. Studiert hat er später in Los Angeles, wo er heute unterrichtet.
Miroslav Tadić schreibt, wie all seine Kollegen, deren Stücke auf Zoran Dukićs CD vereint sind, Musik, deren Heimat unverkennbar der Balkan ist … dabei ist er als Komponist nicht nur durch die „klassische Schule“ gegangen, er hat auch in seiner Wahlheimat USA, Jazz und Blues aufgesogen und in sein Denken aufgenommen. Das Lied „Makedonsko devojče“ steht, wie Tadić selbst im Booklet schreibt, in Mazedonien im Rang eines Volkslieds … dabei ist es erst 1964 von Jonče Hristovski, einem bekannten Mazedonischen Liedermacher geschrieben worden. Das Lied steht in dem für das Land typischen 7/8-Takt und ist eine innige Liebeserklärung nicht nur an eine bestimmte Mazedonische Frau, sondern die Mazedonische Frau schlechthin, und mehr, an Land und Leute, Heimat eben!
Von Vojislav Ivanović: gibt es danach eine dreisätzige Sonata (Allegro con impeto–Adagio–Presto), die Zoran Dukić gewidmet ist. Ivanović hat sie schon 1981, also vor 35 Jahren geschrieben und damals selbst uraufgeführt.
Vojislav Ivanović ist Schüler von Costas Cotsiolis, der seine Werke auch im Repertoire hat.
In eine völlig andere musikalische Wert führt danach Dušan Bogdanovićs „Fantasia“, die eine Hommage an Mauricio Ohana (1913–1992) ist. Keine Folklore und schon gar keine, die an den Balkan erinnert … dafür Erinnerungen an Ohanas Kompositionen für Gitarre, besonders an sein „Tiento“ von 1957.
Mauricio Ohana war in Casablanca geboren als Kind andalusischer, sephardischer Eltern. Der Flamenco war ihm daher nah, obwohl er nie sein musikalisches Sich-Ausdrücken bestimmt hätte. Dass er hier – auf einer CD, die mit „Balkan Muses“ überschrieben ist – mit einer Komposition gewürdigt wird, mag verwundern, ist aber so verwunderlich nicht, als ihr Komponist, Bogdanović, Serbe ist, das Stück einem ebenso Serbischen Musiker, Zoran Dukić, gewidmet ist und schließlich von polymodalen Strukturen bestimmt wird. Gut, das ist ein wenig weit hergeholt, wenn man Ohana mit dem Balkan in Verbindung bringen möchten … aber gut!
Boris Papandopulo, von dem es „Tre Tigre“ (Drei Tänze) zu hören gibt, wurde 1906 in Honnef am Rhein [!] geboren und ist 1991 in Zagreb gestorben. Sein Vater war, wie der Name nahelegt, Grieche, seine Mutter Kroatin. Das Komponieren hat er in Zagreb gelernt und studiert, Dirigieren in Wien.
Papandopulo war ein wichtiger Mann im Kroatischen Musikleben – obwohl sein musikalisches Schaffen nicht von der Folklore-bestimmt war. Er war Operndirektor, Chorleiter, Intendant des Nationaltheaters – mehr als vierhundert Werke aus seiner Feder sind überliefert, darunter „Tre Tigre“ für Gitarre solo aus dem Jahr 1975.
Sie, die Tänze, sind, wie auch der abschließende „Chase Dance“ von Apostolos Paraskevas, eher versteckt der Folklore des Balkan etwas schuldig. Sie verbergen das nicht verschämt oder gar schuldbewusst, sie kokettieren nur noch damit … das aber offen und ehrlich! Die Musik dieser CD kommt aus dem Balken, vertritt ihn und ist stolz auf ihn. Bravo! Und wissen Sie was? Die kulturelle Vielfalt, die auf dieser CD von Dukić wieder einmal demonstriert wird, ist das, was wir an Europa lieben und worauf wir stolz sind oder zumindest sein sollten!
Und der Interpret? Nun, über Zoran Dukić ist kaum etwas zu berichten, das nicht von irgendwem irgendwann und irgendwo schon geschrieben worden wäre. Und schon gar nicht, wenn es Musik geht wie die hic et nunc besprochene. Für mich ist er die Idealbesetzung!