Giuliani pop

Bogdanović: Guitar Music
Angelo Marchese, guitar
Aufgenommen im Januar 2015
Gitarre: Giuseppe Guagliardo (Kopie der Gitarre von Hermann Hauser aus dem Besitz von Andrés Seogvia)
Brilliant Classics 95194
… aus dem Vollen geschöpft …

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Dusan kleiner Belgrad 2009Foto: Dušan Bogdanović am 13. Februar 2009 beim Unterrichten in Belgrad, © by Peter Päffgen

Dušan Bogdanović wurde 1955 in Belgrad/Serbien geboren. Studiert hat er in Genf bei Maria Livia São Marcos – heute lehrt er ebendort an der Haute École de Musique Genève. Aber so geradlinig – von Serbien in die Schweiz – war sein Lebensweg nicht. Als ich ihn kennenlernte – das war 1990 in Pasadena/Kalifornien anlässlich eines Gitarrenfestivals – lebte Dušan in den USA und spielte in dem Ensemble De-Falla-Guitar-Trio zusammen mit Terry Graves und Kenton Youngstrom. Das Programm war – auch, wenn unter anderem eine Transkription der Pulcinella-Suite von Igor Strawinsky auf dem Programm stand – Jazz-geprägt. Bogdanović war in Amerika angekommen, lebte und arbeitete dort.

Bogdanovic Marchese CDZu seinen Lehrern in Genf gehörten nicht nur Maria Livia São Marcos, sondern auch Pierre Wissmer und Alberto Ginastera. Bogdanović kümmerte sich nicht nur um sein Instrument, die Gitarre, er studierte auch Komposition und Instrumentierung und als Komponist haben wir ihn hier, von Europa aus, auch später hauptsächlich wahrgenommen. Immer mehr Stücke erschienen, immer mehr Kompositionen wurden von Dušan selbst, aber auch von zahlreichen Kollegen eingespielt – Kammermusik und Werke für Gitarre solo. Dazwischen waren immer wieder Kompositionen, die international Beachtung gefunden haben … Beispiele dafür sind die „Canticles“ für Gitarrenduo, die Gruber und Maklar eingespielt haben.

Als Dušan in die USA ging, hat er den Jazz aufgenommen und verinnerlicht, aber er hat auch etwas in seine neue Heimat mitgenommen. In vielen seiner Gitarrenstücke hört man seine Herkunft, den Balkan, und oft wird sie auch in den Titeln schon erwähnt: in „Levantine Suite“ zum Beispiel oder in den sehr bekannten „Balkan Miniatures“, die man oft in Konzerten oder auf CD gehört hat und hört.

Die CD von Angelo Marchesi enthält fast ausschließlich mehrsätzige, zyklische Kompositionen. Zwei Sonaten mit jeweils vier Sätzen eröffnen das Programm, Später gibt es „Cinque Pezzi di Mare“, „Introduction, Passacaglia and Fugue for the »Golden Flower«“, „Quatre Bagatelles“ und schließlich „Polyrhythmic and Polymetric Studies“. Da es aber fast nur mehrsätzige Kompositionen sind: In der Mitte des Programms steht „Raguette Nº 2“, ein Einzelstück, dessen Pendant, „Raguette N° 1“, 1984 bei Berbèn erschienen und bisher nur von Bogdanović selbst aufgenommen worden ist. „Raguette“ Nº 2 ist 1991 (auch bei Berbèn) herausgekommen.

Das erste zyklische Werk, das Dušan Bogdanović je geschrieben hat, ist die Sonata Nº 1 (1978) … und sie hören wir auch hier als erste Komposition. Sie ist inspiriert, so der Komponist selbst im Booklet, von Béla Bartók, seinem ersten kompositorischen Vorbild. Bartók (1881–1945) und Zoltán Kodály (1882–1967) waren insofern nicht nur für Dušan Bogdanović richtunggebend, als sie die Folklore ihrer (slawischen) Heimatländer (Bartók geboren 1881 in Rumänien, Kodály 1882 in Ungarn) zu einer Grundlage ihres Komponierens gemacht haben. Es war die Zeit, als sich in der „klassischen Musik“ nationale Schulen und Stile herausbildeten, mit denen man sich gegenüber den vorherrschenden deutschen-österreichischen, italienischen oder französischen Musiken behaupten wollte. Was lag näher, als das Typische ihrer heimatlichen Musiken durch die Hereinnahme folkloristischer Elemente in die musikalischen Werke zu erreichen? Je besser die Komponisten dabei waren, desto weniger sind sie touristischen Vorbildern gefolgt, desto seltener haben sie sie klangliche oder musikalische Floskeln verarbeitet. Trotzdem waren ihre Arbeiten unverkennbar ungarisch, serbisch oder kroatisch … und sogar spanisch, nur, dass dort, in Spanien, der Schöpfer einer ersten „nationalen Oper“ Franzose war. Georges Bizet (1838–1875) schrieb seine Oper „Carmen“ und die wurde am 3. März 1875 an der Opéra-Comique in Paris uraufgeführt. Sie gilt heute noch als die spanischste aller Opern … dabei war ihr Schöpfer, Georges Bizet, sein Leben lang nicht ein einziges Mal in Spanien. Er hat „das Spanische“, oder das, was er für „das Spanische“ hielt, kondensiert, eingekocht und auf eine Essenz reduziert und dann denen, die selbst wenig über Spanien und spanische Musik wussten, als „das Spanische schlechthin“ verkauft. Mit Erfolg!

Die folkloristischen Elemente, mit denen Dušan Bogdanović Musik als „serbische Musik“ kennzeichnen wollte, hat Dušan Bogdanović mit klassischen Elementen verbunden – Schwerpunkt mal auf Klassik und mal auf Folklore. Bartók hat ihn bei seiner ersten Sonate beeinflusst – das hat er selbst geschrieben (Booklet). Allerdings ist die Sonate recht weit entfernt von Bartók und seinen kammermusikalischen Werken. Dušan hat weiterreichend klassische Vorbilder benutzt: formal, harmonisch und, was die Gleichgewichte innerhalb seiner Stücke angeht. Ist es die klassische Überschrift „Sonate“, die ihn, als „Doch-Noch-Europäer“, zum Konservativen werden lässt oder ist es die Form, die zum Großen, zum Ehernen „verpflichtet“?

Es sind jedenfalls respektable Opera, die Heimweh ahnen lassen oder mindestens Heimatverbundenheit. Dušan Bogdanović ist in Amerika angekommen und doch noch hier! Der Jazz hat ihn berührt, aber nicht erobert, und das ist gut so!

Diese CD mit Kompositionen von Dušan Bogdanović präsentiert ihn als Komponisten und, nicht als Gitarristen, der gelegentlich komponiert! Die gibt’s … mehr, als wir brauchen! Und die CD zeigt ihn als einen, der weiß, was er tut. Das jüngste Stück des Programms heißt „Cinque Pezzi di mare“ und ist mein Favorit! Hier hat der Komponist aus dem Vollen geschöpft, aus dem Vollen seiner persönlichen und musikalischen Erfahrungen. Der Jazz von Bill Evans gehört dazu, die Instrumentalmusik der Renaissance und auch das virtuose Spielen und Umspielen. Für Angelo Marchese hat Dušan dieses Stück 2013 geschrieben … und der legt uns hier die Welt-Ersteinspielung vor. Er zeigt sich dabei, wie bei allen anderen Kompositionen, als Interpret, der sehr verantwortungsbewusst mit dem Material umgeht, das er da präsentiert. Beginnend mit dem ältesten Werk von 1978 (Sonate 1) macht er uns mit der musikalischen Vielfalt bekannt, die aus Dušan Bogdanovićs Werken spricht und die ist wahrlich beeindruckend!