Francisco Tárrega: Guitar Edition
Giulio Tampalini
Aufgenommen im März 2014, erschienen 2015
Gitarre: Philip Woodfield 2010
BRILLIANT CLASSICS 4 CD 94336
… eloquent und in purstem Wohlklang …
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Dies ist nicht die erste Einspielung sämtlicher Werke von Francisco Tárrega – und es ist nicht einmal die erste von Giulio Tampalini. Er selbst hat, so heißt es im Booklet, im Jahr 2003 schon einmal alles eingespielt, was damals von Tárrega bekannt und verfügbar war (Francisco Tárrega, Complete Works for Guitar, Concerto Editions CD2001-2), gut elf Jahre vor der jetzt vorliegenden neuen Edition. Damals, 2003, waren es zwei CDs, jetzt sind es vier. Hinzugekommen sind Transkriptionen: Chopin, Schumann, Beethoven, Schubert, Bach, Mozart, Haydn, Händel, Mendelssohn, Bizet, Wagner und diverse andere.
Die beiden ersten CDs der neuen Aufnahme (Originalkompositionen) enthalten – wie kann es anders sein – weitgehend die gleichen Stücke wie die CDs von 2003. Ein paar sind anders einsortiert, zugeschrieben oder kommentiert; einige Trouvaillen der letzten Jahre, sind hinzugekommen.
Francisco Tárrega hat nur für Gitarre komponiert. Er hat auch viele Stücke, die eigentlich von anderen Komponisten für andere Besetzungen geschrieben waren, für sein Instrument eingerichtet – und das oft, ohne expressis verbis anzugeben, dass es sich um Transkriptionen handelte und wer die Urheber der jeweiligen Originalwerke waren. Dass beispielsweise Tárregas Prelude „Oremus“ „eigentlich“ von Robert Schumann stammt und bei diesem „Phantasietanz“ (op. 124, Nº 5) geheißen hat, ist erst lange nach Tárregas Tod bekannt geworden. Angelo Gilardino, der Autor des sehr informativen Begleittextes zu der CD-Sammlung von Tampalini, berichtet weiter von Tárregas „Jota aragonesa“, von „La Cartagenera (sobre temas populares murcianos)“ oder der „Fantasía sobre motivos de La traviata.“ Auch bei diesen Werken von Tárrega haben Kollegen mitgearbeitet.
Francisco Tárrega aber für alle bekannten Anleihen als Plagiator zu verurteilen, ist voreilig. Wer sagt uns, ob es nicht die Verleger waren, die ihn, den populären Künstler, als Urheber auf den Ausgaben erwähnt und dabei die eigentlichen Komponisten „vergessen“ haben? Und außerdem: War es nicht so, dass man insgesamt in urheberrechtlichen Fragen nicht mitteilungsfreudig war? Viele Pasticcios sind geschrieben worden, musikalische Parodien und Transkriptionen und das oft, ohne die urspünglichen Komponisten zu erwähnen. Johann Sebastian Bach zum Beispiel hat Klavierkonzerte geschrieben, die eigentlich von Vivaldi oder Telemann stammten, Mozart hat sich dafür bei Johann Sebastian und Johann Christian Bach bedient.
CDs 3 und 4 sind jedenfalls mit Transkriptionen von Tárrega gefüllt, darunter sind einige Evergreens des klassischen Repertoires. Der erste Satz aus Beethovens „Mondschein-Sonate“ zum Beispiel und desselben „Adagio cantabile“ aus seiner Klaviersonate „Pathétique“; eine ganze Reihe Einzelsätze von Frédéric Chopin, etliche von Robert Schumann und Bach, Mozart und Joseph Haydn. Und wer sich mit Tárrega befasst, darf keine Berührungsängste bezüglich Salonmusik haben … und wenn diese Schublade schon auf ist: Mir gefällt die Habanera „La Paloma“ von Sebastian de Yradier sehr gut, vor allem, weil Giulio Tampalini das Stück hinreißend spielt; „O sole mio“ von Eduardo Di Capua schmilzt dahin und der Tango von Carlos García Tolsa ist so gardel, gardeller geht’s nicht.
Tampalini spielt diese Werke zwischen Salonmusik und „Klassik für Jedermann“ mit genau dem Schmelz und der künstlerischen Freiheit, die sich die Interpreten zu Tárregas Zeit und vermutlich Tárrega selbst sicher auch (heraus)genommen haben. Maestro Segovia war auch noch ein Kind dieser Zeit und auch er ist freiest mit musikalischen Vorlagen umgegangen. Und bitte, das war ein Jahrhundert vor Harnoncourt! Textgenauigkeit oder ein Orientieren an historischer Aufführungspraxis kann man für diese Zeit nicht voraussetzen. Man spielte so, wie man es gelernt hatte … also vermutlich mit ausladenden romantischen Gesten. Man benutzte einen Konzertflügel, wenn „eigentlich“ ein Cembalo angesagt war und sogar eine Gitarre, die aussah, wie eine Laute … wenn man diese Staffage für angebracht hielt.
Giulio Tampalini, um das noch einmal zu sagen, spielt mit dem Schmelz und der künstlerischen Freiheit, die ich mir für Tárrega und seine Zeit vorstelle. Er übertreibt nicht, wahrt immer professionelle Distanz und präsentiert uns das Œuvre Tárregas eloquent und in purstem Wohlklang. Was kann man mehr sagen?