Giuliani pop

Turina

Joaquín Turina: Complete Guitar Music
Jan Depreter, Guitar
Aufgenommen im Januar 2015
Gitarre: Romanillos
Brilliant Classics 94973
… selbstverständlich makellos, klangschön und sicher …


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Joaquín Turina (1882–1949) wurde in Sevilla geboren und hat, so sein Biograph Federico Sopeña Ibáñez, seine Heimatstadt nie verlassen – auch, wenn er im Alter von zwanzig Jahren fortgezogen ist und nie wieder in Sevilla gelebt hat. Turina lernte Klavier und konnte früh Erfolge als Pianist feiern. Mit der Partitur seiner ersten Oper „La sulamita“ unter dem Arm ging er – gerade achtzehnjährig – nach Madrid, um dort sein Glück zu versuchen. Aber als junger Musiker aus der Provinz in der Hauptstadt Karriere zu machen, war schwierig. Immerhin lernte er Manuel de Falla (1876–1946) kennen, mit dem ihn eine lange Freundschaft verbinden sollte.

Turina Gitarrenwerke Depreter1905 ging Turina nach Paris und studierte bei Vincent d’Indy, und – natürlich, möchte man fast sagen – bei dem die Musikwelt beherrschenden Claude Debussy. Anlässlich eines Konzerts traf er Isaac Albéniz, der ihm die Idee nahebrachte, spanische Volksmusik in Kompositionen zu verwenden.

Turina und de Falla gingen 1914 zurück nach Madrid und eine bemerkenswerte Karriere schloss sich für Joaquín Turina an. Er schrieb Werke für großes Orchester, darunter eine „Sinfonia sevillana“; Kammermusik für diverse Besetzungen; eine Oper mit dem Titel „Jardin de oriente“; mehrere Zarzuelas; Klaviermusik usw. Die Gitarre war ihm vertraut … aber nur insofern, als er aus Sevilla stammte und dort der Flamenco gepflegt wurde. Als klassisches Konzertinstrument wurde sie nicht in Ehren gehalten … bis Andrés Segovia kam. Der war dabei, eine internationale Karriere als Gitarrist zu machen und dafür auf der Suche nach neuem, präsentablem Repertoire für sein Instrument. Er stieß dabei unter anderen auf Joaquín Turina, der für den Maestro dann auch folgende Stücke schrieb:

1923: Sevillana (Fantasia), op. 29
1925: Fandanguillo, op. 36
1930: Ráfaga, op. 53
1931: Sonata, op. 61
1932: Homenaje a Tarrega, op. 69

Turina war mit dem Kolorit des Flamenco vertraut, allerdings keineswegs mit der Spieltechnik und den kompositorischen Möglichkeiten der Gitarre. Aus diesem Grund sind die Ausgaben seiner fünf Gitarrenwerke in enger Zusammenarbeit mit Segovia entstanden, bevor sie dann bei Schott in Mainz erschienen. 2009 sind sie, wieder bei Schott, im Urtext erschienen, weil die Autographen, die in der Zwischenzeit ans Tageslicht gekommen waren, zahlreiche Unterschiede zur ersten Druckfassung aufwiesen. Segovia hat „mitkomponiert“, wie er das oft bei Stücken getan hat, die für ihn geschrieben worden sind. Die neue Ausgabe (Schott ED 9540) erwähnt Jan Depreter im Booklet seiner CD nicht und auf die vom Herausgeber im Kritischen Bericht beschriebenen Abweichungen geht er nicht ein. Im Gegenteil weicht er verschiedentlich sogar vom Text der Segovia-Ausgabe mit eigenen Varianten ab.

Jan Depreter hat das gesamte Repertoire an Gitarrenstücken von Joaquín Turina eingespielt: Gerade einmal eine halbe Stunde Musik, 30:11 Minuten, um genau zu sein. Er spielt die Stücke nicht in der Reihenfolge, in der sie entstanden sind, sondern „in the sequence he has devised for his own concert use“ [Booklet, S. 9]. Sein Spiel ist selbstverständlich makellos, klangschön und sicher … mir geht er allerdings etwas zu großzügig mit dem um, was in der Partitur „zwischen den Zeilen“ steht. Andrés Segovia hat uns allen vorgemacht, dass eine Partitur nicht unbedingt das „Amen in der Kirche“ sein muss, sondern auch als eine Art Diskussionsgrundlage benutzt werden kann. Depreter tut es ihm nach. Er spielt hie und dort Rasgueados, die in den flamenkoesken Rahmen passen … aber nicht in den Noten stehen. Auch Portamenti höre ich, die mehr sind, als nur Verzierungen oder spielerische Eigenheiten. Jan Depreter lässt mich wieder einmal nachdenken über die Frage, wie weit einem Interpreten das Interpretieren erlaubt ist oder sein darf!

Übrigens denke ich auch darüber nach, ob man dem Käufer einer CD dreißig Minuten Musik anbieten darf, wo’s normalerweise das Doppelte gibt. Aber gut: Brilliant Classics ist ein Label, das normalerweise, was das Preis-Leistungs-Verhältnis angeht, eher seine Käufer beschenkt!