Dreams: Ahlam Babiliyya
modern iraqi maqam music for oud and percussion
Saif Al-Khayyat & Nora Thiele
Erschienen 2014
Oud von Fouad Jihad; Perkussion von Eckermann
Talanton TAL 90015, im Vertrieb von Raumklang
… Arabesken …
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Moderne irakische Musik für Oud und Percussion? Die Musik, die Saif Al-Khayyat und Nora Thiele uns hier vorlegen, ist für fast alle von uns terra incognita. Ihr Herkunftsland dagegen ist keineswegs unbekanntes Terrain, und das nicht nur wegen zweier amerikanischer Präsidenten namens Bush und der Kriege, die sie angezettelt haben. Nein, der Irak liegt auf dem Gebiet des legendären Zweistromlands zwischen Euphrat und Tigris (Mesopotamien), das eine der frühesten Hochkulturen der Menschheit war und heute gern als Wiege der Zivilisation bezeichnet wird. In Bagdad, der im Jahr 762 gegründete Hauptstadt, blühten bald Kunst und Wissenschaften und zwar in einem Maß, mit dem sich europäische Metropolen nicht messen konnten.
Als die Berber nach der Schlacht bei Jerez de la Frontera im Jahr 711 die iberische Halbinsel und angrenzende Gebiete eroberten, hatten sie ihre Kultur im Reisegepäck … auch ihre Musik und Musikinstrument, darunter der Rabāb und die Laute. Außerdem gab es berühmte Musiker, die uns heute sogar noch namentlich bekannt sind: Ziryab (vollständiger Name: Abu l-Hasan ‘Ali Ibn Nafi‘) lebte als Sklave am Hof in Bagdad unter Kalif Harun al-Rashid und war als Oud-Spieler so berühmt, dass er sich frei entscheiden durfte, wo er tätig sein wollte. Ziryab ging nach 822 nach Córdoba, um dort am Hof des Sultans zu leben und zu arbeiten, und zwar mit allen Privilegien eines freien Mannes.
Saif Al-Khayyat und Nora Thiele spielen auf ihrer CD moderne, nicht historische irakische Musik … allerdings Musik, die sehr wohl in der Tradition arabischer Musik entstanden ist. Wir wissen (oder besser: ahnen, weil das Verschriftlichen von Musik als kulturelle Leistung der Europäer von den Arabern erst sehr spät übernommen worden ist), wie weitreichend westliche und arabische Musik miteinander verwurzelt waren … und wie radikal sie sich vor rund tausend Jahren auseinanderentwickelt haben. Die mittelalterliche Mehrstimmigkeit war es, die musikalisch für Länder nördlich des Mittelmeers richtungsweisend werden sollte. Auch für die Instrumentalmusik übrigens, deren Vertreter zunächst die Errungenschaften der vokalen Vorbilder übernahmen.
Die orientalische Musik blieb, wie Saif Al-Khayyat und Nora Thiele im Booklet auch betonen, „in der „Horizontalen“ und verfolgt kunstvoll verzierte Melodielinien, die meistens unisono vorgetragen werden. Dabei gehen die Melodiebögen und rhythmischen Zyklen weit über unsere Dimension hinaus.“ Das Fabulieren, Erzählen und Ausschmücken in endlosen Schleifen und Arabesken scheint uns charakteristisch für arabische Musik zu sein. Für arabische Musik, für die Sprache und für das Leben überhaupt. Wie Märchen, die erzählt werden und in immer weitere und schönere Erzählungen münden. Dafür hat man Zeit und Muße. Und man hat genug Geschichten, die es zu erzählen lohnt.
Natürlich war das Musizieren in Arabien nie regellos. Überhaupt nicht! Ein maqam zum Beispiel ist nicht nur die Benennung des Modus, in einen maqam sind kompositorische Regeln eingebunden und auch die Verwendung bestimmter Formeln. Improvisiert wird also nach festen Plänen … auch, wenn das ein Widerspruch zu sein scheint. Ein irakischer maqam ist eine durchstrukturierte Gattung mit Formabläufen und festen Instrumentierungsregeln, die hier, in der Darstellung durch Oud und Perkussion, nicht strikt befolgt werden. Aber es ist ja auch moderne irakische Musik, die keinen historischen Vorgaben folgen muss.
Es spielen der Oud-Spieler Saif Al-Khayyat, 1977 in Bagdad geboren, und die Berliner Perkussionistin Nora Thiele, die irgendwo zwischen Jazz, Alter Musik und Weltmusik ihre musikalische Heimat definiert. Die beiden präsentieren unverkennbar arabische Musik, obwohl dabei ein Ethnomusikologe Einwände anbrächte. Aber lassen wir doch die Babylonischen Träume Träume bleiben. Fantasien oder „Märchen, die erzählt werden und in immer weitere und schönere Erzählungen münden“. Die ganze CD, auch ihr Äußeres, entführt ihre Zuhörer auf wundersame Art in die Ferne!