Fernando Riscado Cordas (Autor, Herausgeber und Interpret): The Poetic Guitar
Music by Schubert, Schumann and Craeijvanger
Buch, fadengeheftet mit Lesebändchen, 305 S, 2 CDs
Gitarren: Johann Georg Stauffer, 1824 (Gemeentemuseum, Den Haag); Nico Van der Waals,1999
ISBN 9789081156608
… mit Liebe zur Sache …
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Fernando Riscado Cordas kommt, auch, wenn sein Name etwas anderes zu verraten scheint, aus den Niederlanden. Er wurde 1975 in Den Haag geboren und studierte dort am Koninklijk Conservatorium. Was uns jetzt von ihm vorliegt, ist eine Doppel-CD mit überdimensioniertem Booklet (305 Seiten im DVD-Format) oder ein Buch mit zwei beigehefteten CDs. Thema: Bearbeitungen von Liedern. Komponisten: Franz Schubert, Robert Schumann und … Achtung! … Karel Arnoldus Craeijvanger.
Im Vorort der Arbeit verrät der Autor/Interpret, wie er auf die Idee gekommen ist, die Werkzusammenstellung so zu gestalten, wie wir sie vorfinden:
CD 1
Franz Schubert: „6 Schubert’sche Lieder“ in Bearbeitungen von Caspar Joseph Mertz
Robert Schumann: „Dichterliebe“ op. 48 in Bearbeitung von Fernando Riscado Cordas
CD 2
Karel [oder Carolus] Arnoldus Craeijvanger: „Introduction & Variations sur un thème de l’opera Der Freischütz“
— „Trois Nocturnes pour la Guitare“
Warum er sich für romantische Musik und da besonders für Liedbearbeitungen einsetzt, erklärt er so: „In the autumn of 2004 I selected pieces for a concert programme for the 2005–2006 season, which would be based on music from the 19th century. I was looking for a work of about eight minutes duration and preferably by a well-known‚ great composer and I considered a number of solos from 6 Schubert’sche Lieder WoO1 by Caspar Joseph Mertz (1806–1856).“ Je weiterreichend er sich mit den Bearbeitungen von Mertz befasste, desto deutlicher wurde ihm, wie weit sie von den Vorlagen von Franz Schubert entfernt waren [„Mertz’s adjustments were dramatic“ S. 161]. Nachdem er die Stücke verschiedentlich in Konzerten gespielt hatte, entschloss er sich, eigene Bearbeitungen von Schubert-Liedern für Gitarre solo anzufertigen. [„After working on six or so single songs, I decided, with a mild axcess of confidence, to arrange a complete cycle from start to finish. For this I chose the famous Winterreise D. 911.“ S. 162] Als sich herausstellte, dass Cordas gezwungen war, zu viele Kompromisse beim Bearbeiten der Winterreise hinzunehmen,: [„After several attempts in various keys I decided to have a break from Winterreise and, in order [to] gain some wider experience, to look for other more easily arrang[able] songs.“ S. 162], wandte er sich alternativ Robert Schumanns Vertonung der „Dichterliebe” von Heinrich Heine zu (op. 48) und stellte dabei fest, dass hier die Übertragung des gesamten Zyklus durchaus möglich war [„On the basis of my initial explorations of he whole cycle I concluded that, although a guitar transcription of the longer and more complex compositions would be a greater challenge, it need not be an intirely impossible task.“ S. 163].
Es folgen in Fernando Riscado Cordas‘ Buch Biographien von 1. Schubert; 2. Georg & Anton Stauffer; 3. Caspar Joseph Mertz; 4. Robert Schumann; 5. August Wilhelm von Schlegel und den anderen Textdichtern und dann erst von Carolus Arnoldus Craeijvanger. Und wir reden hier nicht von marginalen biographischen Bemerkungen, wir reden von jeweils rund 150 Seiten Text auf Niederländisch und Englisch. Dabei stehen nicht die Kompositionen im Mittelpunkt, die auf den CDs mitgeliefert werden, nein, es sind Schilderungen der jeweiligen Lebensläufe … bei Schubert zum Beispiel auch sein Lebenswandel nach.1822. Der Komponist war schon immer ein lebenslustiger Mann gewesen, jetzt aber, so der Autor, besuchte er „ladies of easy virtue“ [S. 185] und nahm, wie man munkelte, Laudanum, eine Opiumtinktur, die bei Künstlern und Intellektuellen seiner Zeit populär war. Schubert infizierte sich mit der Krankheit, die zu seiner Zeit „maladie française“ genannt wurde, Franzosenkrankheit oder Syphilis, und die von nun an sein Leben bestimmen sollte … aber das nur am Rande!
Aber wenn wir schon über Redundanz reden: Dass ich Ihnen nun den Text des Liedes „Im Rhein, im heiligen Strome“ aus dem Zyklus von Heinrich Heine mitliefere, dann geschieht dies – zugegeben! – nicht, weil ich damit irgendetwas belegen wollte, sondern nur, weil ich mich, wie der große Düsseldorfer Dichter offenbar auch, mit dem „großen, heiligen Köln“ im „heiligen Strome“ verbunden fühle:
Im Rhein, im heiligen Strome,
Da spiegelt sich in den Well‘n
Mit seinem großen Dome
Das große, heilige Cöln.
Im Dom da steht ein Bildnis,
Auf goldenem Leder gemalt;
In meines Lebens Wildnis
Hat’s freundlich hineingemalt
Es schweben Blumen und Eng’lein
Um unsere liebe Frau;
Die Augen, die Lippen, die Wänglein,
Die gleichen der Liebsten genau.
Auch mit dem „Bildnis, Auf goldenem Leder gemalt“ fühle ich mich verbunden. Heine bezieht sich nämlich dabei auf ein Gemälde des mittelalterlichen Kölner Malers Stefan Lochner, das heute „Muttergottes in der Rosenlaube“ heißt (früher „Madonna im Rosenhag“ oder „Maria im Rosenhag“) … und im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu sehen ist. Das Bild – auch diese Bemerkung ist redundant – war im Dezember 1985 Titelbild meiner Zeitschrift „Concerto–Das Magazin für Alte Musik“ (s. Abbildung).
Aber, auf Seite 283 und nach Schubert, Schumann et. al., beginnt der Abschnitt des Buches, in dem es um Carolus Arnoldus Craeijvanger geht, den Niederländischen Komponisten, Sänger, Chorleiter und Gitarristen, über den wir, zugegeben, überhaupt nichts wissen und der allein daher – speziell für Gitarrenaffine – der interessanteste Compositeur der heutigen Herrenrunde ist. Die beiden Stücke von Craeijvanger auf der CD, es sind die einzigen, die von ihm überliefert sind, verraten: Ein ausgewiesener Virtuose ist er nicht gewesen, dafür aber auch keiner, der seine Zuhörer und die Käufer seiner Ausgaben spieltechnisch überfordert hätte. Dafür hat er sich zeit seines Lebens um das Musikleben von Utrecht bemüht. Dort, in seiner Heimatstadt, ist er sein Leben lang geblieben und dort ist er als Sänger, Chorleiter und als Gitarrist aufgetreten.
Fernando Riscado Cordas spielt die „Freischütz-Variationen“ und die „Trois Nocturnes“ von Craeijvanger auf genau die naive Art, die man sich – nach dem, was wir über den Komponisten wissen – so und nicht anders vorstellt. Was die Variationen angeht, liefert Riscado Cordas keine Ersteinspielung, und behauptet das auch nicht. Johannes Möller hat sie schon für NAXOS (8.572715) aufgenommen und ist dafür hier so besprochen worden:
[Zitat:] Drei Repertoire-Überraschungen hält Johannes für seine Zuhörer bereit, darunter sind eine eigene Komposition, eine von Denis Gougeon sowie „Introduction and Variations on a theme from »Der Freischütz«“ von Karel Arnoldus Craeyvanger (1817—1868). Der hat sich, wie das zu seiner Zeit üblich war, einen Titel aus dem zu seiner Zeit gespielten Opernrepertoire als Thema für Variationen gewählt: die Arie „Wie nahte mir der Schlummer […] Leise, leise, fromme Weise“ aus dem „Freischütz“ von Carl Maria von Weber.
Der „Freischütz“ war zu Craeyvangers Zeit keine musikalische Avantgarde mehr. Er war schon 1821 in Berlin uraufgeführt worden, da war Craeyvanger vier Jahre alt. Aber er hatte schnell nach 1821 seinen Weg durch die europäischen Metropolen gemacht und war begeistert aufgenommen worden und ein „Bestseller“.
Karel Arnoldus Craeyvangers Variationen sind kein Meisterwerk, Gebrauchsmusik seiner Zeit eher. Aber allein die Tatsache, dass sich Johannes Möller den Mut genommen hat, das (nicht geniale und) völlig unbekannte Werk eines völlig unbekannten Komponisten auf die Bretter zu bringen zeugt von seinem Selbstbewusstsein.
Die Frage, ob es sich bei „The Poetic Guitar” um eine „Doppel-CD mit überdimensioniertem Booklet oder ein Buch mit zwei beigehefteten CDs” handelt (s.o.) … hier ist meine Antwort: Für ein Buch über Schubert, Schumann et al. fehlt dem Text die Substanz. Für eine CD-Edition ist die Werkzusammenstellung, die Riscado Cordas gewählt hat, für meine Begriffe zu willkürlich heterogen. So hat die zweite CD mit Stücken von Craeijvanger etwas über 25 Minuten Spieldauer (die erste knapp eine Stunde!), geht nicht auf romantische Lieder zurück und sein Komponist spielt, bei allem Respekt, qualitativ in einer anderen Liga als Schubert und Schumann. Bei dem Buch (oder der Doppel-CD) ist an nichts gespart worden, alles gut! Aber irgendetwas scheint nicht zu passen.
Dabei haben wir es bei Fernando Riscado Cordas mit einem erstklassigen Interpreten zu tun, der die Musik, mit der es sich da befasst, ernstnimmt. Er hat ja beim Bearbeiten von Liedern mit dem Legato-Problem zu tun: Die Vorlage lebt von Gesungenem, von Melodien und Linien … während die Gitarre einen punktuellen Klang hat und wirkliches Legato höchstens in schnelleren Passagen hervorbringen kann. Aber es geht! In Schuberts „Ständchen” zum Beispiel gelingt es dem Interpreten sehr gut, melodische Spannung aufzubauen und zu halten. Das Gleiche gilt für „Im Rhein, im heiligen Strome” von Robert Schumann … aber darüber ist schon genug geschrieben worden.
„The Poetic Guitar” ist eine höchst interessante Anthologie, aus der uns Fernando Riscado Cordas engagiert und mit Liebe zur Sache vorliest. Mit den Liedern und auch mit den Kompositionen von Carolus Arnoldus Craeijvanger hat er sich lange beschäftigt, und das hört man!