Angelo Gilardino: Complete Music for Solo Guitar 1965–2013
Cristiano Porqueddu
Aufgenommen 2012–2015
Gitarre: Giuseppe Guagliardo
Brilliant Classics 9425 (14 CD)
… höchst konzentriert und mit nicht erlahmender Detailliebe …
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Foto: Angelo Gilardino, der Kunstsammler, mit einem Bild des italienischen Malers Gastone Cecconello. Foto © 1991 by Manuel Cecconello, Bildarchiv Gitarre & Laute, Köln
Cristiano Porqueddu ist bekannt für enzyklopädische Repertoiresammlungen auf CD: „Alles von Barrios“ (2010: 6 CD), „Novecento Guitar Preludes“ (2012: 3 CD), „Novecento Guitar Sonatas“ (2014: 5 CD) u.a. Aber diese statistischen Werte sind’s nicht allein. Cristiano will nicht als Ironman der Gitarrenszene in die Geschichte eingehen, er sahnt für seine Aufnahmen auch noch beste Kritiken ab. Sogar hier!
Jetzt liegt von ihm eine (nicht die erste) Produktion mit Werken von Angelo Gilardino vor: „Complete Music for Solo Guitar 1965–2013“ vor. Vierzehn CD! 2009 hat er schon einmal (auch bei Brilliant Classics) unter dem Namen „Trascendentia“ sämtliche „Studies for Guitar“ eingespielt (5 CD), die jetzt in der neuen Sammlung auch enthalten sind … allerdings in neuen Aufnahmen! Das Gleiche gilt für Gilardinos „20 Studi facili“. Auch sie sind bei Brilliant schon einmal erschienen: Aufgenommen September/Oktober 2011 und erschienen 2012. Die jetzt vorliegende neue Aufnahme ist zwischen dem 13. Juni 2012 und dem 20. März 2015 entstanden.
Gilardino war einer von Porqueddus Lehrern – nicht sein einziger aber vielleicht sein wichtigster … wenn das nicht sein Vater war, von dem er die ersten Gitarrenstunden bekam. Mit sieben. Bei Gilardino in Biella jedenfalls erhielt Cristiano Porqueddu sein Diplom.
Angelo Gilardino (*1941) ist einer der wichtigsten Gitarristen, Lehrer, Herausgeber und Komponisten für Gitarre. Seine Werke sind fast ausnahmslos bei Berbèn in Ancona erschienen. Im Katalog dieses Verlags findet man die Opera, die Cristiano Porqueddu jetzt eingespielt hat und zahlreiche weitere, die nämlich, die nicht „for solo guitar“ konzipiert sind: zwei Konzerte für Gitarre und Orchester, die beide unter 94747 bei Brilliant auf CD erschienen sind; Werke für drei, vier und mehr Gitarren; Stücke für diverse Melodieinstrumente und Gitarre usw.
Gilardino höchstpersönlich hat die sleeve notes geschrieben und damit eine Art kompositorischer Biographie abgeliefert. Natürlich kann er in seinem Text nicht über die Qualität der Kompositionen, um die es da geht, räsonieren – schließlich sind es eine eigenen, er kann aber Informationen über die Hintergründe der jeweiligen Stücke und damit Verständnishilfen liefern. Das tut Angelo Gilardino, und zwar beredt und präzise (nur auf Englisch).
Und wie so oft, steht auch bei ihm das Interessanteste oft zwischen den Zeilen. Angelos Haltung zu Virtuosem und zu Virtuosität zum Beispiel unterscheidet ihn von vielen Kollegen, dabei sind immerhin die „Studi di virtuosità e di trascendenza“ in seinem Œuvre die größte zusammenhängende Gruppe von Kompositionen. Gilardino zitiert in diesem Zusammenhang Marcel Proust: „He played so well that no one was aware of it any more: he was a window open on to music.“ Prousts ultimatives Urteil über einen ausübenden Musiker, dass dieser nämlich so eins und verwachsen mit der Komposition selbst ist, dass man seine Interpretation nicht mehr als etwas Eigenes wahrnimmt, ist dabei übrigens auch von Sviatoslav Richter benutzt worden … allerdings in Bezug auf sich selbst. Gilardino bezieht das berühmte Zitat (auch) auf Virtuosität: Das Spiel eines wirklichen Virtuosen zeichnet sich nicht dadurch aus, dass es atemberaubende Kunstgriffe enthält, die das Publikum zum Staunen bringen, sondern dadurch, dass es die größten Schwierigkeiten, spielend und „nebenbei“ sozusagen, abarbeitet, ohne, dass sie vom Publikum wahrgenommen werden.
Genau hier muss nun unterbrochen werden, es geht schließlich um die Reihe von 14 CD von Cristiano Porqueddu und nur mittelbar um die Kompositionen von Angelo Gilardino. Über dessen Œuvre ließe sich noch viel sagen und das wird hier bestimmt auch noch getan, aber jetzt ist die CD-Edition Thema! Angelo Gilardino hat über sich selbst als ausübenden Musiker gesagt: „Ich war nie ein Interpret, der sein Publikum mit extrovertierter Virtuosität elektrifizieren konnte. Im Gegenteil habe ich versucht, die Aufmerksamkeit meiner Konzertbesucher auf das Zuhören zu lenken.“ Und derselbe Gilardino ist auch als Komponist nicht anders orientiert. Auch da geht es ihm nicht um den schnellen Effekt … und schließlich hat er in seinem Schüler Cristiano Porqueddu einen ähnlich orientierten Interpreten gefunden. Cristiano spielt das enorme Programm höchst konzentriert und mit nicht erlahmender Detailliebe … aber ohne die Hoffnung auf schnellen Erfolg. Er ist kein Charmeur, der mit süßem Klang und Hokuspokus auf sich aufmerksam machen will, nein, er will von ihrer Qualität überzeugen!
Aber wie anders hätte Cristiano an dieses enorme Œuvre der Solowerke für Gitarre von Angelo Gilardino herangehen können? Seine CD-Edition hat neben ihrer künstlerischen irgendwie auch eine dokumentarische Aufgabe zu erfüllen und zwischen diesen Polen muss Balance gefunden werden. (Mehr oder weniger) dreizehn Stunden Musik höchsten Anspruchs kann man nicht innerhalb relativ kurzer Zeit einspielen und ständig singuläre Spitzeninterpretationen liefern. Geht nicht! Aber er hat die Gratwanderung bestanden, er ist den Weg gegangen!
Allen Gitarristen, die sich für die Werke von Angelo Gilardino interessieren, gleichzeitig aber die Mühe scheuen, die Stücke selbst einzustudieren um sie kennenzulernen; oder nicht in der Lagte sind, sie prima vista zu spielen, ist hiermit ein perfektes Werkzeug an die Hand gegeben: Es lohnt sich!