Ein Volksmusikinstrument für Jedermann, nach 40 Jahren Vergessenheit ans Licht geholt
Vor ungefähr dreieinhalb Monaten ging es mir wahrscheinlich genau wie Ihnen: Stössel? Nie gehört.
Die beruflich Neugier war geweckt. (Bezüglich des Instruments meines Bekannten fand ich heraus, dass Stössel nicht der Erbauer war, aber das ist eine andere Geschichte). Was war das für ein Mann, dieser Stössel, von dem niemand etwas wusste, der aber doch einmal einen großen Bekanntheitsgrad gehabt haben musste, wenn alle Kölner Volksschüler auf seinen Instrumenten spielten? Was war das Besondere an seinen „Lauten“? Gab es vielleicht noch Zeitzeugen die etwas über Stössel wussten? Warum sprach heute kein keiner mehr davon, und warum war er damals aktuell? Auf der Suche nach Stössel ging ich diversen Fährten nach, führte Interviews, telefonierte durch die ganze Republik, und hatte eine gehörige Portion Glück dabei, denn die Spuren Stössels sind heute tatsächlich fast völlig verwischt.
Foto: Eine Mädchengruppe mit Stössel-Lauten bei einer Fronleichnamsprozession in Köln. Was haben der Oberstudienrat Max Erben aus Köln-Rodenkirchen, Margarete Will aus Köln-Kalk, der ehemalige Musiklehrer Hermann Engeländer in Bergisch-Gladbach, der Instrumentenbauer Wilhelm Monke und Susanne Klas aus Brühl gemeinsam? – Neben ihrem meist fortgeschrittenen Alter die Kenntnis eines Teils der Kölner Musikgeschichte, der heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist: Die Geschichte der Stössel-Laute und ihres Erbauers Georg Stössel.
Stössel trat mit seinem „Volksinstrument“ zwischen den beiden Weltkriegen einen kurzen Siegeszug von der Domstadt aus über Nordrhein-Westfalen hinweg bis in die Niederlande, nach England, in die Schweiz und nach Österreich an. Sein Instrument, die „Stössel-Laute“ ist im Grundtyp 42 cm lang, 21 cm breit, 7,5 cm hoch und wiegt 450 Gramm. Die Suche nach den Anfängen dieses Mitteldings zwischen Laute und Mandoline führt zurück in den November 1915. In einem Sonderdruck der Zeitschrift „Das Musikinstrument“ kündigt Georg Stössel, seit 1. Juli 1900 Geigenbaumeister in Köln mit Geschäft und Werkstatt Auf dem Berlich 31 „meine neuen Zupfinstrumente“ an: „Anders konnte man sich bis heute eine Laute, Mandoline usw. gar nicht vorstellen, als mit einem Hals, mit Griffbrett, auf dem von unten bis oben die Tonarten gefunden werden. Dass es aber auch ohne Hals geht, zumal für harmonisches Spiel, daran dachte man eben noch nicht. Mit einem Male erlaubte sich einer die Kühnheit, den Hals wegzulassen und die Saiten soweit auseinander zu spreizen, dass die dicksten Finger Platz finden. Ja, sogar das Griffbrett wurde auf einen, höchstens drei Bunden [!] gekürzt. Auf diesem einen Bund (1/2 Ton) sind bei 13 Saiten sämtliche Tonarten in Dur und Moll, in allen Kreuz- und B-Tonarten, alle Septimen, alterierte Akkorde, in verblüffend einfacher Weise zu greifen, ohne dass ein falscher Fingersatz überhaupt möglich ist.“ Das, wie Stössel selbst meint, „Ei des Kolumbus“ soll sogar Einarmigen das Begleiten der meisten Volkslieder ermöglichen, sogar beim Vorhandensein von nur zwei Fingergliedern, für Links- und Rechtshänder, ist dieses System gleich geeignet.Stössels Idee wurde nach vierjähriger Tüftelei aus der Not geboren. Seine Erfindung richtete sich gegen die um 1910 den deutschen Markt überschwemmenden amerikanischen Unterlege-Zithern, die, weil sie lediglich acht bis zwölf Mark kosteten, beim Publikum reißenden Absatz fanden. Die deutschen Instrumentenbauer gründeten daraufhin auf Initiative Stössels den „Verband deutscher Musikfabrikanten und Hersteller“. Stössel übernahm den Vorsitz. Ihm ging es nicht nur um den Umsatz, sondern man darf ihm wohl auch, ganz im Trend der Zeit, handfeste patriotische Gründe unterstellen bei seiner Idee eines „Deutschen Volksinstrumentes“. So heißt es in der Stössel Lauten Schule auch für den Selbstunterricht“ von 1916 in einem Vorwort von E. H. Bachem: „Vom nationalen Standpunkt aus ist es besonders erfreulich zu begrüßen, dass wir durch Stössels Erfindungen ein ureigenes Nationalinstrument besitzen, das deutscher Geist ersann, das die deutsche Industrie heben wird und uns in Zukunft viele Millionen im Land erhält, die vordem nach dem Ausland gingen“.
Stössel stellte das Instrument 1915 dem Verband vor. Er plädierte für den Namen „Kölner Laute“, die begeisterten Kollegen setzten aber – Ehre wem Ehre gebührt – den Namen „Stössel-Laute“ durch. Stössels Konzeption war überzeugend: Er wollte ein Instrument anbieten, das so billig sein sollte, dass es sich jedes Kind leisten konnte, so einfach in der Konstruktion, dass es in großer Stückzahl zu bauen war, so einfach zu spielen, dass keine Notenkenntnis nötig sein musste um es zu erlernen. Stössel entwickelte daher eine „Tabulaturgrifftechnik“, veröffentlichte im Selbstverlag erste Lauten-Schulen (darunter die erwähnte) und bot das Grundinstrument, die Übungslaute Typ „Freudenborn“, für unter zehn Mark inklusive Segeltuchhülle, Schule und Stimmschlüssel an. Am 31.8.1915 hatte er vom Deutschen Patentamt, zusammen mit drei Weiterentwicklungen des Grundtyps, das offizielle Startsignal für seine Laute bekommen. Er begann seine Produktion gestützt auf die kleinste, siebensaitige Übungslaute (auch Mandolaute, Kölner Laute genannt), die Wanderlaute mit sieben Doppelsaiten, und die Basslaute mit dreizehn Basssaiten für die fortgeschrittenen Spieler.
Doch zunächst hatte Stössel Pech. Die Zäsur des Ersten Weltkriegs behinderte den Start der Stössel-Lauten, ein Schicksal, das dreißig Jahre später erneut in die Geschichte der Stössel-Laute eingreifen sollte. Darüberhinaus war die musikwissenschaftliche Fachwelt alles andere als aufgeschlossen gegenüber dem ihrer Meinung nach allzu simpel zu erlernenden Instrument, das gehobenen Ansprüchen nicht zu genügen schien. Franz Peter Kürten schrieb in einem Nachruf „Krieg und Notjahre behinderten noch die Verarbeitung. Aber nach der Handwerkerausstellung 1925 in Köln begann der eigentliche Siegeslauf dieses auch für die Kinderhand geschaffenen Instrumentes beim Publikum.“
Das Instrument wurde im Laufe der zwanziger und der ersten Hälfte der dreißiger Jahre in den Kölner Volksschulen für den Musikunterricht eingeführt – die Lehrer waren vom pädagogischen Effekt überrascht. Männerchöre, Wander- und Freizeitvereine wie katholische Mädchengruppen oder Nonnen in Klöstern, Kindergärtnerinnen in München, die Franziskaner-Jugend in Köln, das Schulorchester des St. Ursula-Gymnasiums der Domstadt, Gruppen in Steyr (Österreich), in der Schweiz, in England, in Amsterdam spielten auf Stössel-Lauten. Der Nordwestdeutsche Rundfunk strahlte im Schulfunk Unterrichtskurse für Stössel-Lauten aus … es begann parallel zur Wandervogel-Bewegung eine ArtStössel-Bewegung mit einer Fülle an Heimat- und Volksliedern, die zum Teil für die Spezielle Notenschrift Stössels umgeschrieben wurden.
Stössel, der gebürtige Würzburger Geigenbaumeister, der zuerst durch seine von ihm erfundene Legato-Zither bekannt geworden war, und einen anerkannt guten Ruf als Geigenbauer in Köln hatte, stellt nun den Großteil seiner Arbeit in den Dienst seines Traums vom „Volksinstrument für jedermann“. Ein neues Geschäft in der Schwalbergasse 10 wurde eröffnet – die Familie zog vom Friesenplatz in die Moltkestraße – im Souterrain der neuen Wohnung das Lager voll mit Instrumenten, die dort „wie die Wäsche nebeneinander von der Decke und an den Wänden hingen“, so der Volksschullehrer Hermann Engeländer, der Stössel 1930 kennenlernte. (Ein Kuriosum am Rande: Stössel zählte 1935 zum anerkannten Allgemeinwissen des Bürgertums. Er wurde im „Großen Herder“ erwähnt. Die heute 63-jährige Erika Liesmann, die sich an ihrem Wohnsitz am Teutoburger Wald ganz der Spurensicherung ihres Onkels gewidmet hat, erinnert sich: „Der Alte stand in der Regel erst spät am Vormittag auf. Das Geschäft hielt seine Frau Florentine offen, der Sohn Hans-Georg half nachmittags mit. Stössel selbst war ein typischer Nachtarbeiter. Dann hatte er die größte Ruhe in der Werkstatt. Bis in die Morgenstunden hinein saß er vor seinen Instrumenten und tüftelte.“ – Eine Beobachtung, die der bekannte Kölner Blechblasinstrumentenbauer Wilhelm Monke bestätigt: „Ich habe ihn mal gegen Mitternacht besucht. Stössel war hellwach bei der Arbeit.“
Aus der sich entwickelnden großen Nachfrage zog Georg Stössel die Konsequenz. Am 23.6.1923 gründete er in Stuttgart die „Stössel Instrumentenbau AG“. Er selbst war technischer Direktor; der Ingenieur Kurt Schiffler wurde für Werbung und Vertrieb angestellt. Nach den Plänen des Meisters bauten von nun an drei Facharbeiter die Lauten nach. Dem Idealisten Stössel ging jedoch der Sinn für Verkauf und Wirtschaftlichkeit seiner Lauten völlig ab. Das bekam die Stuttgarter Manufaktur schon bald zu spüren. Weil Stössel, ganz dem Primat des „Volksmusikinstrumentes für jedermann“ gehorchend, für die industrielle Fertigung seiner Lauten nur billiges, poröses Gabun-Holz verwenden ließ, quoll die Werkstatt in Stuttgart aber auch das kleine Geschäft in Köln schon bald vor Reparaturaufträgen über. Der Absatz brachte zudem nicht den erhofften finanziellen Erfolg, denn Stössel bot zu billig an. Nach nur zwei Jahren musste die Stuttgarter Firma am 8.11.1925 Konkurs anmelden. Die Nachfrage war nach wie vor groß, vor allem die Musiklehrer an Volksschulen verlangten für ihre Klassen große Mengen an Übungslauten. Da traf der Ingenieur Kurt Schiffler eine Entscheidung: „Ich habe mir selbst Maschinen und Werkzeuge angeschafft, um wenigstens noch Ihre alten Aufträge zu erfüllen“ schrieb er am 14. Januar 1926 an Stössel. Zunächst war Stössel noch mit den Plänen seines ehemaligen Angestellten einverstanden, jedoch im Laufe der nächsten Jahre muss es über den sich einstellenden Verkaufserfolg der Schiffler-Stössel-Lauten zu einem erbitterten Streit um die Patentrechte gekommen sein. Schiffler verbesserte nämlich die Lauten, professionalisierte die Vetriebskonzeption mit aufwändigen Werbebroschüren, und gründete die „Dusyma-Werkstätten“ in Stuttgart-Ostheim.
Trotz allem erreichten die industriell gefertigten Lauten natürlich nicht den Qualitätsstandard der handgefertigten Instrumente, vielleicht mit ein Grund dafür, dass die Verbreitung der Stössel-Lauten im großen Stil schon sehr schnell sauf Nordrhein-Westfalen begrenzt blieb. Daran änderte auch der Versuch von Stössel jn. 1930 Stössel-Lauten in Bakalit bei der Troisdorfer Firma „Dynamit AG“ gießen zu lassen, um die Produktion zu steigern, nichts. 1936 übernahm Hans-Georg Stössel das Geschäft des Vaters. Er konnte ca. 20 verschiedene Stössel-Lauten-Schulen mit einer Einzelauflage von bis zu 287.000 Exemplaren vorweisen – ein sicheres Zeichen dafür, dass die Lauten etabliert waren. Auch die Nationalsozialisten schienen zunächst keine Einwände gegen das „Volksinstrument“ zu haben. Das änderte sich jedoch 1937. Erika Liesamnn: „Die Reichsjugendführung verfügte, dass die Instrumente Stössels nicht mehr in der Hitlerjugend und dem BDM gespielt werden durften. Die Begründung des reichsweiten Verbots stützte sich auf die Charakterisierung der Laute als mechanisches Instrument“ Wilhelm Monke bestätigt, dass die Stössel Instrumente als „Bastard-Instrumente“ bezeichnet werden durften. Original-Wortlaut des Obergaubefehls 12/37 vom 1.11.1937: „Von der Firma Stössel in Köln ist verschiedentlich an die Einheiten mit dem Versuch herangetreten worden, in diesen die sogenannte ‚Stössel-Laute’ als besonders geeignetes Instrument für die Musikarbeit einzuführen. Die Stössel-Laute ist als Instrument zum Musizieren in der Gemeinschaft als Begleitinstrument denkbar ungeeignet. Die Einführung ist deshalb für die Einheiten des Obergaus verboten.“ Die Gründe für dieses Verbot liegen im Dunkeln. Wilhelm Monke vermutet „eine persönliche Feindschaft zwischen dem Ortsparteileiter in Köln und Stössel“. Tatsache aber ist, dass damit der Hauptabnehmer der Stössel-Lauten in den dreißiger Jahren wegfiel – ein schwerer wirtschaftlicher Schlag für Stössel.
Am 1. Juni 1939 eröffnete Georg Stössel ein neues Geschäft am Rothgerberbach 40. Aus der ehemaligen Geigenbauwerkstatt, danach Lautenhandel, war eine gemischte Musikhandlung geworden – dem Zug der Zeit zwangsweise gehorchend: „Im Laden finden Sie eine reiche Auswahl Akkordeons, Streich- und Zupfinstrumente, Blockflöten, sämtliches Zubehör, Ausrüstungen für Musikzüge sowie Stössel-Lauten in allen Preislagen“ heißt es in einer Zeitungsanzeige zur Geschäftseröffnung. Der junge Stössel stellte selber keine Instrumente her, nur der Vater tüftelte und reparierte weiter. Finanziell muss es Ende der dreißiger Jahre schlecht um Stössel-Instrumentenbau“ gestellt gewesen sein, denn der Sohn arbeitete nebenberuflich auf dem Kölner Wirtschaftsamt um die Familie und die Großeltern zu ernähren.
In der Nacht zum 26. Juni 1943 brachte ein Luftangriff auch der Musikhandlung Stössel ein Ende: „Die wertvolle Instrumentensammlung mit über 250 Einzelexemplaren, die Wohnung in der Moltkestraße, das Geschäft und die Werkstatt wurden völlig zerstört, alle Konstruktionszeichnungen bis auf die in Berlin gesicherten Patentzeichnungen wurden vernichtet. Der alte Stössel starb in den Trümmern“ … so Erika Liesmann.
76 Jahre alt war Georg Stössel, er wurde in einem Massengrab auf dem Kölner Melatenfriedhof beigesetzt. Mit einer schweren Rauchvergiftung konnte seine in Köln gebürtige Frau Florentine gerettet werden. Der Sohn, Hans-Georg, fiel ein Jahr später an der Front in Frankreich. das Unternehmen Stössel war am Ende. Florentine Stössel versuchte bis zu ihrem Tod 1960 alles, um die Idee ihres Mannes weiterleben zu lassen. Die „Marma Musikindustrie Karl Bauer“ in Markneukirchen, DDR, nahm nach Kriegsende die Produktion versuchsweise wieder auf, ebenso Richard Oertel in Braubach im Saarland und bei der Firma Moeck in Celle. Vermutlich sind sie aber, genau wie ein anderes vielversprechendes Angebot der Firma Willi Hopf in Taunusstein bei Wiesbaden, Opfer des Zeitgeistes geworden. Wilhelm Monke: „Frau Stössel war nach dem Krieg wiederholt bei mir gewesen, ich hatte zu Hopf Geschäftsverbindungen aufgenommen. Die Verhandlungen für eine Wiederaufnahme der Produktion erwiesen sich jedoch als sehr schwierig, denn Hopf wollte mindestens hundert Stück auflegen, damit sich die Produktion lohne – und das Problem war die fehlende Nachfrage.“ Von 1952 an versuchte Hopf trotzdem einen Neuanfang in Stössel-Lauten, stellte jedoch die Bemühungen 1959 wieder ein. Die Stimmung beschreibt der damalige Geschäftsführer des Kölner Musikhauses Tonger, Hans Westendorp, in einem Brief an Florentine Stössel vom 10. April 1959: „Wir haben hier alles menschenmögliche getan, um wieder zu einem Umsatz in der Stössel-Laute zu kommen. Wie Ihnen bekannt, haben wir nach dem Kriegsende alle Schulen angeschrieben, ihnen die Prospekte zugesandt und gleichzeitig in einem unserer großen Schaufenster eine Sonderausstellung veranstaltet. Leider erfolgte beim Publikum keinerlei Resonanz. Zurückzuführen ist dies vielleicht auch darauf, dass jetzt in den Schulen besonderer Wert auf Gitarren- und Blockflötenunterricht gelegt wird. Beide Instrumente erfreuen sich eines enormen Absatzes.“
Heute – 70 Jahre nach der ersten öffentlichen Vorstellung der „Kölner-Stössel-Laute“ – sind Meister Stössel und seine Idee weitgehend in Vergessenheit geraten. „Wer von den Älteren noch eine Laute aus Jugendtagen hat, behält sie als Erinnerungsstück. Die Jüngeren betrachten sie als Kuriosität auf Flohmärkten – ohne vielleicht überhaupt zu wissen, von wem die Laute ist, und wie sie gespielt wird“ bewertet Erika Liesmann die Situation. Sie machte sich, wie andere ehemalige Stössel-Spieler, auf die Suche nach alten Instrumenten. Margarethe Will, die in den dreißiger Jahren selbst Musikunterricht gab, besitzt sieben Instrumente, darunter auch handgearbeitete Exemplare. Die vereinzelten Nachrufe auf Stössel, kuriose Sendungen im Radio nach dem Zweiten Weltkrieg, die Stössel-Lauten-Spieler in einer Mischung aus Exotik und Nostalgie präsentierten, waren alles in allem Versuche, eine vergangene Epoche der Haus- und Volksmusik wieder aufleben zu lassen. Heute taucht Stössel zum Beispiel bei Bernd Korfmacher in Köln-Brück wieder auf, der eine Laute nachgebaut hat; oder bei Mauricio Kagel als „Stössel-Laute auf Rädern“, die dieser innerhalb seines „Theatrum Instrumentarum“ im Kölner Kunstverein 1975 verwendete.
In der Musikwissenschaft hat Stössel seinen, wenn auch kleinen Platz gefunden. Im Kölner Stadtmuseum wird der Schätzwert einer Stössel-Laute auf 40 Mark beziffert – laut Karteikarte des Museums-Archivs. Helmut Hoyler, dort für die Betreuung der Instrumentensammlung zuständig, meint: „Die Stössel-Laute ist eines der wenigen Instrumente aus diesem Jahrhundert mit originär Kölner Bezug. Sie war zwar sehr populär, hat sich aber nicht durchsetzen können, wie es sich Stössel selbst wohl wünschte – als die Zeiten überdauerndes Musikinstrument für jedermann.“
Dr. Martin Elste, verantwortlich für die wissenschaftliche Betreuung der Streichinstrumente bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin ausgegliedertem Instrumentenmuseum mit Schwerpunkt 20. Jahrhundert, schätzt Stössel vor allem als Rekonstrukteur wertvoller alter Meistergeigen: „Seine Violin-Arbeiten gelten als ungemein sorgfältig. Seine Lauten gehören in die Gruppe ‚Pädagogisierung der Musik’, das heißt, es wird versucht, ein möglichst einfach zu spielendes Instrument herzustellen, wobei auf die klangliche Reinheit nicht so viel Wert gelegt wird, sondern es vor allem auf die Spielweise ankommt.“ Wilhelm Monke: „Das Erstaunliche bei der Stössel-Laute war, dass man mit ihr wesentlich mehr machen konnte als zum Beispiel mit der Gitarre. Die Laute ist immer eines der am schwersten zu erlernenden Instrumente gewesen – bis Stössel kam. Jetzt waren sie innerhalb von ein paar Stunden in der Lage, alle Lieder zu spielen – dank Stössels Tabulaturgrifftechnik und der einzigartigen Konstruktion des Instruments. Heute scheitert ein Neubeginn sehr wahrscheinlich schon daran, dass es keine Lehrer für die Stössel-Laute mehr gibt, und so gut wie keine Noten für das Instrument existieren. Und das ist für den Start egal welchen Instruments eine fast aussichtslose Sache“.
Bei der Firma Hopf erfuhr ich Überraschendes von Wolfgang Hopf, dem kaufmännischen Geschäftsführer des Familienunternehmens: „Natürlich ist die Stössel-Laute heute zunächst für uns kein Thema mehr. Aber wenn wir mindestens 50 Aufträge erhalten würden, nähmen wir die Produktion versuchsweise wieder auf.“ Susanne Klas, 73, wüsste da möglicherweise schon einen Kundenstamm. Auf ihre Anfrage in der „Kölnischen Rundschau“ vom 1. März 1982 „Wer besitzt eine Stössel-Laute?“ meldeten sich an die zwanzig Interessenten, die „entweder eine Laute kaufen wollten oder noch besaßen“. Sie hatte damals das Gefühl, „dass man da sofort wieder eine Spielschar ins Leben rufen könnte.“
Foto 1: Kölner Fronleichnamsprozession 1932 mit einer Gruppe Stössel-Lauten-Spielerinnen; Foto 2: Klasse der Volksschule Duisburg-Hochfeld an der Werthauser Straße im Jahr 1924.Foto 3: Georg Stössel; Foto 4: Spielschar mit Stössel-Lauten;
Der Artikel erschien in Gitarre & Laute VII/1985/Nº 4, S. 13—18