Giuliani pop

Lieske Spindler BottomsLieske Spindler Guitars: Bottom’s Dream
Guitar Duos by Lieske, Mingus & Piazzolla
Aufgenommen im September 2010, erschienen 2011
Challenge Classics CC72511, im Vertrieb von Sunny Moon, Köln

Isaac Albéniz: Evocación
Lieske Spindler Guitars
Aufgenommen im Juni 2008, erschienen 2010
BONUS-CD Wulfin Lieske, solo: Werke von Isaac Albéniz
Aufgenommen im August 1994
Challenge Classics CC72374, im Vertrieb von Sunny Moon, Köln
… haarscharf an der Grenze zum Banalen …

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Lieske Spindler Albeniz
Wulfin Lieske und Fabian Spindler sind seit 2008 ein Paar … musikalisch gesehen, natürlich! Die Albéniz-CD war ihre erste gemeinsame Platte.

Dass die beiden Musiker Werke von Isaac Albéniz (1860—1909) für ihre Debüt-CD ausgewählt haben, verwundert nicht, hat doch Wulfin Lieske, der „Seniorpartner“ des Duos, vor rund fünfzehn Jahren schon einmal seine Wertschätzung für diesen Komponisten und seine Werke auf einer Solo-CD kundgetan. Diese Aufnahme bekommt man als Käufer der Duo-CD obendrauf.

Die Klavierstücke von Isaac Albéniz gehören seit Jahren zu den Schlachtrössern des Gitarrenrepertoires – und sie wirken so blutsverwandt mit ihren Adoptivinstrumenten, dass immer wieder aufs Neue erklärt wird, Albéniz habe, als er sie zum ersten Mal auf der Gitarre (oder auf zwei Gitarren) gehört hatte, dem Klavier (für diese Stücke) abgeschworen. Auch hier wird wieder in diese Richtung suggeriert: „Das ist es, was ich entworfen hatte! Ich schwöre, dass ich dieses Stück nie wieder auf dem Klavier spielen werde“ soll Albéniz gesagt haben [so „zitiert“ im Booklet] … aber wann und wo, wird nicht belegt. Es ist zwar bekannt, dass Albéniz (1860—1909) seinen Freund Miguel Lobet (1878—1938) mit Transkriptionen seiner Werke gehört hat … aber mehr nicht! [Walter Aaron Clark: Isaac Albéniz – Portrait of a Romantic, Oxford 1999].

Aber überhaupt: Ist es nicht arg deutsch, wenn für so wirkungsvolle instrumentale Bearbeitungen immer wieder neue Legitimationen aus dem Zylinder gezogen werden (müssen)? Hat sich etwa auch Maurice Ravel (1875—1937) zeit seines Lebens dafür rechtfertigen müssen, dass er die „Bilder einer Ausstellung“ von Mussorgski (1839—1881) orchestriert hat?Die Sätze jedenfalls, die das Duo Lieske/Spindler hier vorführt, sind hinreißend schön! Von Llobet, Pujol, Renata Tarragó und auch Lieske selbst sind die Arrangements und von Antonio de Torres sind die Instrumente, auf denen gespielt wird … „La Leona“ und FE 13 … und trotzdem: Der Anspruch, es handle sich bei der vorliegenden Aufnahme um so etwas wie die Erfüllung sämtlicher Postulate der historischen Aufführungspraxis, ist mir zu vollmundig! Es sind und bleiben Transkriptionen, die wir hören. Auch wenn die Jünger Tárregas die Stücke von Albéniz auf den gleichen oder sogar denselben Instrumenten gespielt haben, adelt das nicht ohne Weiteres eine Aufnahme, die rund hundert Jahre später entstanden ist. Die Instrumente klingen wunderbar, auch in der modernen Aufnahme. Und Wulfin Lieske und Fabian Spindler spielen engagiert und schön … das muss als Apologie reichen!

Zur Neuerscheinung: Es wird ein Stück von Lieske gegeben, eines von Charles Mingus und die legendäre Tango-Suite von Piazzolla. Sie, die Tango-Suite, hat Piazzolla 1984 für Sergio und Odair Assad geschrieben, ein Jahr später haben die beiden Gitarristen das Stück aufgenommen. Das Erscheinen der Platte war eine Sensation, und zwar aus mehreren Gründen. Zunächst boten die brasilianischen Brüder Musik, die bis dahin nicht von klassischen Gitarrenduos gespielt worden war und dann spielten sie diese Musik auf eine völlig unerwartete Art. Ihr Spiel war virtuos, hoch emotional und es war vor allem frei und nicht von einem Metronom in die Schranken gewiesen. Hätte nicht Hugo Riemann (1849—1919) den Begriff „Agogik“ hundert Jahre vorher in die Musikwissenschaft eingeführt, spätestens nach dem Hören dieser Aufnahme hätten sich Kritiker vermutlich Gedanken darüber gemacht, wie man dieses Spielen mit Tempo und Akzenten nennen kann, das diese Musik so aufregend macht. Aufgeschrieben ist die Musik – wie kann es anders sein – metrisch präzise und erst die Interpreten erfüllen sie mit Leben.

Aber nicht die mittlerweile fast dreißig Jahre alte Interpretation von Sergio und Odair Assad gilt es hier zu würdigen, sondern die brandaktuelle von Wulfin Lieske und Fabian Spindler! Sind sie vielleicht Vertreter der neuen Sachlichkeit“, der kühleren, weniger emotional engagierten Spielweise, die man seit Jahren bei Gitarristen hört? Oder ist vielleicht das, was sie zum Thema „Tango-Suite“ anzumerken haben, epigonal an den Vorgaben der Assads orientiert?

Lieske/Spindler versachlichen das Stück nicht … und doch fehlen mir die Laszivität, die Tangos umgibt und auch deren tiefe Traurigkeit und die Einsamkeit, die vermittelt wird. Wie fast immer ist das eine Sache des Timing … wobei wir wieder bei der Agogik wären. In jeder darstellenden Kunst ist richtiges Timing eines der großen Geheimnisse: nicht nur das allgemeine Tempo, sondern wohlproportionierte Pausen, angemessenes Retardieren und rechtzeitiges Auflösen der Spannung – keineswegs zu früh und nie zu spät. Ich rede von Momenten, von der Zeit eines Wimpernschlags oft, die zwischen Spannung und Langeweile entscheiden.

Lieske/Spindler haben für meine Begriffe dieses Stück zu früh eingespielt. Bei der Tango-Suite hört man nämlich deutlich, wie gut die jeweiligen Kombattanten aufeinander eingespielt sind – und den Duopartnern, um die es hier geht, fehlt hie und dort noch dieser musikalische Gleichklang, der das Stück so begeisternd machen kann. Und außerdem: Virtuosität wirkt nur virtuos, wenn sie aus der „Lamäng“ kommt … und das ist beispielsweise im dritten Tango der Suite von Piazzolla überhaupt nicht der Fall. Und wenn das Virtuose nicht aus dem Ärmel geschüttelt wird, wirkt es gezwungen und aufgesetzt.

Aber das Programm der CD hält noch einen anderen Tango bereit: Gleich zu Beginn des Programms hören wir den „Tango melancolique“ von Lieske, der nach eigenen Angaben (im Booklet) mit Piazzolla gearbeitet hat. Zusammen mit drei weiteren Sätzen gehört der Tango in eine Suite namens „Bottom’s Dream“.

Lieske nascht in „Tango“, „Westcoast“, „Oriental“ und „Rush“ an verschiedenen musikalischen Töpfen und transportiert damit „ein Lebensgefühl auf höchstem artifiziellen Niveau“, wie er selbst meint. „Gegenwartsmusik und nicht Avantgarde“ (Booklet) hat er mit den Miniaturen geschrieben, die sich wie Seiten aus einem kompositorischen Skizzenbuch zu einer Suite fügen und dabei doch haarscharf an der Grenze zum Banalen entlangkratzen. Denn die musikalischen Ideen, aus denen sich Stücke von doch knapp sechs bis über zehn Minuten Dauer entwickeln, sind zwar treffend, allerdings nicht sehr ergiebig … und originell schon gar nicht.

Das Duo Lieske Spindler Guitars spielt auf hohem Niveau, professionell und höchst selbstbewusst … aber mich berühren sie mit ihrer Musik (noch) nicht … auch nicht mit ihren vollmundigen Worten.