Giuliani pop

CD Nyhlin 300x295Karl Nyhlin
The Jacobean Lutenists
Werke von John Dowland, Daniel Bachelor, Philip Rossetter, John Sturt, Robert Johnson
Aufgenommen im Juli 2011
DB PRODUCTIONS dbCD147, im Vertrieb von Klassik Center, Kassel
… er geht mit den musikalischen Vorgaben konservativer um, als man vielleicht erwartet …

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Unverkennbar schottisch beginnt Karl Nyhlin seine CD. Und unverkennbar englisch sind die Lautenstücke, die folgen. Immer wieder stößt man dabei auf Pretiosen von John Dowland, dem Großmeister der englischen Lautenmusik, Nyhlin hat sich aber bemüht, Werke weniger bekannter Zeitgenossen Dowlands in sein Programm einzubinden und besonders solche, die anonym überliefert sind.

Was den aufführungspraktischen Ansatz angeht, den Karl Nyhlin verfolgt, sieht er in den ausgeschriebenen Divisions Vorschläge für deren Ausführung und weniger endgültige Werkfassungen. Formal folgen viele englische Lautenstücke der Zeit um 1600 der Abfolge A-A’-B-B’-C-C’, wobei die variierten Teile, Divisions, oft höchst elaborierte Einschübe sind, die in ihren spieltechnischen Ansprüchen von einer Quelle zur anderen variieren. Bis auf das Buch „Varietie of Lute Lessons“ von Robert Dowland (London 1610) ist in England keine Lautenmusik gedruckt worden und von den zahlreichen überlieferten Handschriften sind viele von Lautenmusik-Liebhabern angefertigt worden. Speziell diese Manuskripte unterscheiden sich, was die Ausführung der Divisons angeht. Je nach Neigung und Spielfertigkeit hat der eine Amateur-Lautenist sie virtuoser oder kunstfertiger ausgestattet, als ein anderer. Natürlich ist es dabei für heutige Lautenisten sehr aufschlussreich zu wissen, wie jene legendäre Jane Pickering das eine oder andere Stück ihrer Zeit ausgeziert hat … auch, wenn wir über sie nicht viel mehr wissen, als dass sie zwischen 1616 und 1645 ein Buch geführt hat, in das sie Lautenstücke ihrer Zeit eintrug. Dieses Buch enthält auf fol. 1v den Eintrag: „Jane Pickeringe owe this Booke 1616“ und wird heute mit der Signatur „Egerton 2046“ in der British Library in London aufbewahrt.

Ein Lautenist des 21. Jahrhunderts wie Karl Nyhlin kann Divisions, auf eine Galliard von John Dowland zum Beispiel, anders ausführen als es beispielsweise Jane Pickering vor vierhundert Jahren getan hat und, um ehrlich zu sein, muss er es auch. Nyhlin selbst appelliert: „Professional lute players of today must draw their own conclusions by comparing the existing written and/or printed versions of a piece, ending up with their own versions based on their preferences, taste and experience with the style.“ Und er schildert spieltechnische und stilistische Neuerungen, die eingeführt wurden: Arpeggio-Figuren zum Beispiel oder Akkordbrechungen. Und doch: Er geht mit den musikalischen Vorgaben konservativer um, als man vielleicht erwartet. Karl Nyhlin spielt sehr lebendig, hat seine eigene Meinung und tut sie kund, ist sich aber seiner Verantwortung bewusst. Das „neue“ Freiheitsgefühl jedenfalls nutzt er nicht bis an seine Grenzen aus.

„Modern“ ist Nyhlins Umgang mit Timing (nicht unbedingt Tempo!). Sein ständiges Bemühen um Legatobögen und die damit verbundene Orientierung an den Usancen gesprochener Sprache ist bemerkenswert.

Jane Pickering hatte, nebenbei bemerkt, die Angewohnheit, leer gebliebene Stellen in ihrem Tabulaturbuch, halbe Seiten vielleicht oder nur ein paar Zeilen, mit kleinen Lautenstücken zu füllen. Komponisten hat sie dabei selten genannt und oft konnte sie das wahrscheinlich auch nicht, weil es sich um Volkslieder oder „Gassenhauer“ handelte oder vielleicht auch um eigene Stücke. Einige der anonymen Stücke in Karl Nyhlins CD-Programm stammen aus dieser Quelle, darunter die unverkennbar schottische Miniatur mit dem Namen „Scots Tune“, die er zu Beginn seines Programms spielt.